Raju und Barbara. Wilhelm Thöring
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„Auch dabei nicht?“
„Ja, auch dabei nicht, so ist es bei uns! Auch die Mutter bleibt hier, sie kennt es nicht anders.“
„Soll sie hier alleine sitzen? – Eure Religion geht hart mit den Frauen um ...“
Raju hebt ratlos die Schulter. „Wenn du hier bleibst, dann ist sie nicht allein. Man sagt, wenn bei solchen Handlungen Frauen dabei sind, dann gibt es ein Malheur in der Familie.“
„Ich bin keine Hindufrau.“
„Aber eine Frau!“
Barbara wirft die Decke von den Schultern und läuft einige Male durchs Zimmer, und dabei stößt sie hervor: „Raju, wie kann ich deine Mutter trösten? Jede spricht eine andere Sprache. – Bitte, nimm mich mit. Ich halte mich abseits. Ich stehe irgendwo als zuschauende Touristin. Es ist wichtig für mich, zu sehen ...“
Barbara bricht ab und setzt sich wieder in ihren Sessel, bis an die Augen hat sie sich in ihre Decke eingehüllt, so dass er nur wenig von ihrem Gesicht sehen kann.
„Wenn du mitfährst, Barbara, dann wird die Mutter jedes Missgeschick, jedes Unheil, das uns vielleicht treffen wird, allein der Tatsache zuschreiben, dass du dabei gewesen bist, als ich Vaters Asche der heiligen Mutter Ganga übergeben habe.“
Der Tag ist gekommen, dass Raju seine Sohnespflicht dem
Vater gegenüber erfüllen kann, und somit auch der Wunsch Barbaras, die kleine Dose mit dem unangenehmen Geist des Schwiegervaters wegzutragen, um sie dem Fluss übergeben zu können.
Einen Tag, bevor es soweit ist, kommt Raju aus Kolkata zurück und winkt ihr aus dem Auto mit Papieren zu. Neben dem Wagen herlaufend, den Kali sehr vorsichtig, weil beide Hunde ihn umspringen, durch den Hof zur Garage fährt, ruft sie:
„Was hast du da?“
„Zwei Fahrkarten nach Varanasi! Bärbel, du wirst mitfahren und dir die heilige Stadt ansehen, während ich Vaters Asche dem Ganges übergebe, so werde ich das der Mutter erklären. Das wird sie vielleicht verstehen.“
Raju hat Karten für den Doon Express gekauft, der nicht in der Frühe nach Varanasi fährt, sondern am Nachmittag, so dass sie ihr Ziel am anderen Morgen gegen sieben erreichen. Sie hoffen, die Nacht über durchschlafen zu können; ausgeruht werden sie sich in Varanasi nach einer Bleibe umsehen.
„Rahul“, jammert die Mutter, und dabei hält sie Rajus Hand fest, „Rahul hätte niemals seine Frau dazu mitgenommen. Aber diese europäische Frau setzt alles durch, was sie sich vorgenommen hat, und du lässt sie gewähren! Sie lebt nun schon so lange Zeit in unserem Land, aber seine Ordnungen gelten ihr noch immer nichts. Sie legt es geradezu darauf an, Unglück ins Haus zu holen. Ja, das Unglück hat damit begonnen, dass sie Rahul, meinen Ältesten, fortgetrieben hat, dass er bei der Einäscherung nicht tun konnte, was seine Pflicht gewesen wäre.“
Eine Weile hat Raju sich ihre Klagen angehört, dann meinte er, er hätte ihr alles erklärt, und Barbara würde sich vernünftig verhalten und sich bei der Puja nicht am heiligen Fluss sehen lassen. Die Fahrkarten nach Varanasi wären gekauft und er werde mit seiner Frau fahren und die Sache zu Ende bringen.
Eine Weile jammerte die Mutter noch, dann ergab sie sich ins Unabänderliche und sagte: ja, sie wäre es gewohnt, dass man weder auf Sitten noch auf sie selbst Rücksicht nähme.
Barbara, die die meiste Zeit hinter der weißen Mauer ihres Anwesens lebt und nur selten in die Betriebsamkeit der Stadt kommt, ist vom Lärm auf dem Bahnhof Varanasi Junction ganz verwirrt, greift nach Rajus Hand, als könnte sie im Getümmel verloren gehen.
„Mir wird geradezu schwindelig“, sagt sie. „Lass uns einen Imbiss einnehmen.“
Ein missmutiger Rikschafahrer bringt sie zu einer dunklen, schmierigen Spelunke, die ungesäuertes Fladenbrot, Chapatis, anbietet und Samosas, Teigtaschen mit Gemüsefüllung; auch Tee ist zu haben. Beflissen taucht ein fast schwarzer, halbnackter Mensch aus dem Dunkel auf und langt unter den Tisch, an den die Gäste sich gesetzt haben. Da hat er einen speckigen Lappen an einem Nagel hängen, mit dem er über die Tischplatte fährt. Nachdem er den Lappen wieder an seinen Nagel gehängt hat, schleicht ein Köter unter den Tisch, um den Lappen abzulecken.
„Hier bringe ich keinen Bissen herunter“, stöhnt Barbara, und erhebt sich voller Ekel; und Raju geht es nicht anders; beide flüchten auf die Straße und lassen sich zum Bahnhof zurückfahren, wo Raju ein Fremdenverkehrsamt gesehen hat, das ihm Gasthäuser und Hotels in der Altstadt nennt.
Sie entscheiden sich für ein Hotel an den Ghats, wo Tag für Tag die Feuer der Einäscherungen brennen; ganz in der Nähe liegt der heiligste aller Badeplätze, wird ihnen gesagt. Da könnte er zu einem rituellen Bad ins Wasser steigen, erklärt Raju, denn so schnell wird sich ihm nicht noch einmal eine solche Gelegenheit bieten.
In der Frühe des nächsten Morgens drängt Raju zum Aufbruch; heute soll die Asche seines Vaters in die Fluten des heiligen Ganges gesenkt werden.
Im Speisesaal wartet der Boy mit einem kleinen Imbiss und heißem Tee, wie Raju es gewünscht hat.
Raju ist in Eile; er ist unruhig und will schnell einen Priester und ein Boot mieten, damit auch diese letzte Sache zu einem guten, zu einem würdigen Abschluss kommt.
Er geht, und Barbara folgt ihm unauffällig und in größerem Abstand; eine Touristin, die zufällig am Ghat herumschlendert.
Der Fluss und die Häuser an seinen Ufern liegen im fahlen Licht der Morgensonne. An einem Ghat sieht Barbara zwei brennende Scheiterhaufen, in geziemendem Abstand hocken männliche Angehörige und sehen zu; sie warten darauf, dass die Asche zusammengekratzt wird.
Die Ghats sind Durchlässe zwischen der Häuserzeile am Westufer des Flusses; sie sind gleichsam Tore, an denen die gläubigen Hindus über viele Stufen zum Fluss hinuntersteigen, wo sie sich reinigen und beten.
Rajus Ziel ist nicht weit von den beiden brennenden Scheiterhaufen, da wird er die Asche seines verstorbenen Vaters den Fluten übergeben. Aufrecht, mit im Licht glänzendem Schädel steigt er die Stufen zum Fluss hinunter. Langsam, die Hände aneinander gelegt und in die Höhe reckend, steigt Raju zum Bad ins heilige Wasser, zum Bad, das Körper und Seele von allem Schmutz, von aller Sünde reinigen soll.
Aus einer kleinen Gruppe Brahmanenpriester, die schweigend an einer Mauer steht, lösen sich, als sie Raju erkennen, zwei ältere, wild aussehende Männer. Sie gehen mit nacktem Oberkörper, die weiße Brahmanenschnur quer über Brust und Rücken, und mit weiß bemalten Armen. Über die Stirn läuft ein breiter weißer Strich, aus dem das Tika, der rote Punkt als drittes untrügliches Auge, hervorleuchtet, das die Wahrheit trotz aller Täuschungen erkennt.
Raju verneigt sich vor ihnen und berührt ihre Füße, dabei scheint er das Gleichgewicht zu verlieren; ungerührt steht der Priester über ihm.
Zu den hinduistischen Kulthandlungen für einen Verstorbenen, der Puja, wie alle religiösen Zeremonien heißen, wird nicht nur dem Verstorbenen, sondern auch den Vorfahren Respekt gezollt. Dazu gehören Waschungen, gehören lange Gebete, Lesungen und geweihtes Wasser, Räucherwerk und Blumen, sowie Reiskuchen und Süßigkeiten.
Barbara