Raju und Barbara. Wilhelm Thöring

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Raju und Barbara - Wilhelm Thöring

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ist fremd, der Priester verrichtet es mechanisch, ohne den feierlichen Ernst, den sie bei religiösen Zeremonien erwarten würde. Ob er nun betet oder die heiligen Sanskritverse rezitiert – er ist mehr an dem interessiert, was um ihn herum geschieht.

      Seine Teilnahmslosigkeit an dem, wozu er von Raju angeworben worden ist, erschreckt sie.

      Als das beendet ist, besteigen die Männer das bestellte Boot und werden ein Stück weit in die Flussmitte gerudert. Steif, mit starrem Blick sieht Raju in die Ferne, als suche er nach einem Platz, der dem toten Vater während des Wartens auf seine Wiedergeburt behagen könnte. Als sie fast die Mitte des Flusses erreicht haben, lässt Raju, auf ein Zeichen des Priesters, die Asche des Vaters aus der tönernen Urne ins trübe und graue, ins heilige Wasser rieseln. Es ist der jüngere und hübschere der beiden Priester, der bisher nichts sprach, auch nicht gebetet und gelesen hat, sondern nur darauf acht gab, was der ältere tat und dass vom Angehörigen des Toten kein zeremonieller Fehler begangen wurde.

      Der leitende Priester rezitiert aus den heiligen Texten, leiernd und hastig und den Kopf nach diesem und jenem drehend, wie er es die ganze Zeit getan hat. Dazu räuchert er und lässt immerzu das hell klingende Glöckchen ertönen.

      Barbara sieht Staub aus der Urne rieseln, und alle schauen dem Staub nach, der eine Weile auf den Wellen schaukelt, dann ist er wie ein Dunst verschwunden; nur die Öllämpchen sind da und die Blüten der Tagetes, die von Raju der Asche hinterher gesendet wurden. Die Urne ist ihm beim Entleeren aus den Händen gefallen und mit einem glucksenden Laut verschwunden. Jetzt erinnert Raju sich, dass seine Frau oben zwischen den Häusern steht, er wendet den Kopf, nickt ihr zu und wendet sich gleich wieder ab.

      Noch am selben Tag hat Raju sein Bad im Ganges genommen.

      Alles ist für den verstorbenen Doktor Sharma gehalten worden, wie es sich gehört, obwohl Raju sagte, ihm bedeute das nichts, er täte es nur wegen der Mutter: Sie haben gefastet, haben nach den Vorschriften die Zeit ohne Fleisch und ohne Fisch eingehalten, sie haben keine weiten Reisen unternommen und des Toten gedacht.

      Dagegen hatte seine Mutter nichts einzuwenden, das wäre ein guter Brauch, sagte sie und sie freue sich auf den Tag, an dem wieder Fleisch und Fisch auf den Tisch käme.

Kapitel II

      1

      Es kommt immer öfter vor, dass Raju in der Stadt zu tun hat; so viele Gründe zwingen ihn, sich von Kali in Kolkatas Gewühl und Gestank, in Dreck und Dunst fahren zu lassen. Manchmal bleibt er den ganzen Tag weg; bevor er fährt, lässt er sich jedoch von Barbara sagen, was sie an diesem Tag von ihren Leuten, vom Koch, von der Haushilfe und dem Gärtner erwartet und was zu tun ist. Und das sagt er ihnen und droht Strafen an, wenn sie nicht tun, womit die Memsahib sie durch ihn beauftragt.

      So ist Barbara jetzt manchen Tag mit der Schwiegermutter allein. Die alte Frau langweilt sich. Oft wandert sie durch den Garten; sie betrachtet die Blumen, schwatzt mit dem Gärtner oder liest die alten Zeitungen, die Raju für sie mitgebracht hat. Das Lesen jedoch strengt ihre Augen an, sie werden rot und tränen und scheinen zu schmerzen, denn sie reibt immer öfter mit dem Handrücken darüber; manchmal legt sie sogar Lappen mit lauwarmem Wasser darauf. Dann wieder sitzt sie auf der Terrasse und legt Patiencen, Stunde um Stunde. Hin und wieder steht Barbara hinter ihr und schaut zu, aber sie begreift nichts davon, und die alte Frau kann es ihr nicht erklären. Sie lächelt nur, tippt auf eine Karte und wiegt den Kopf, als läge da etwas Bedenkliches vor ihr auf dem Tisch. Dann hat sie vergessen, dass die Schwiegertochter sie nicht versteht, denn sie schwatzt munter drauflos, um es ihr zu erklären.

      Seitdem Doktor Sharma tot ist, trägt die Schwiegermutter keine bunten Saris mehr, als Witwe geht sie nur noch in weiß. Raju hat zwei gleiche Fotografien seines Vaters rahmen lassen, die ihn als jungen und selbstbewussten Arzt in seiner Praxis oder in einem Krankenhaus zeigen. Eins der Fotos hat er auf den Fernseher gestellt, das andere steht oben bei der Mutter auf dem Tisch und der junge Doktor Sharma sieht ihr bei allem zu, was sie macht, ob sie nun isst oder ihren morgendlichen Tee trinkt, die Zeitung liest oder Patiencen legt – es ist für sie, als wäre er durch das Foto gegenwärtig. Dann kann es vorkommen, dass sie mit ihm spricht, ihn etwas fragt oder ihm ihr Herz ausschüttet, was sie zu Lebzeiten so gut wie überhaupt nicht gemacht hat, denn Doktor Sharma hat von ihren Sorgen nichts hören wollen.

      Auch heute ist es wieder sehr heiß geworden. Der Himmel hängt wie ein blassblaues, dunstiges Tuch über dem Land; in der Nähe, vielleicht im Garten, schreit unablässig ein Vogel, den die alte Frau noch nie gehört zu haben glaubt. Sie ist mit ihrer Zeitung auf die Terrasse gegangen, aber die Hitze hat sie gleich wieder in ihre Wohnung zurückgetrieben. Um sich ein wenig zu erfrischen, hat Ninu ihr eine Schüssel mit Wasser zum Kühlen der Füße bereitstellen müssen. Die Hände über dem Bauch gefaltet, sitzt sie da und lauscht auf die Geräusche von unten. Die Schwiegertochter ist nicht zu hören, aber der Hund, dieser große, schwarze, wilde Teufel, den sie sich ins Haus geholt hat. Er muss sich in irgendetwas verbissen haben, denn er knurrt und kratzt und will keine Ruhe geben. Hätte sie nicht die Füße in der Wasserschüssel, sie würde sofort nach unten laufen und nachsehen. Plötzlich quiekt der Hund auf, dann ist er ruhig, dafür hört sie jetzt die Schwiegertochter, die leise und eindringlich mit jemandem redet; und als sie wenig später zur ihr geht, sitzt die auf der Couch; der große Hund hat beide Vorderpfoten und den Kopf auf ihren Schoß gelegt und beginnt zu knurren, als die alte Frau das Zimmer betritt. Ihn kraulend und leise auf ihn einredend und tröstend beugt sich Barbara über ihn, als wäre er ein trostbedürftiges Kind.

      „Das fehlt dir“, sagt die alte Frau in ihrer Sprache. Sie weiß, dass die Schwiegertochter nichts davon versteht. „Du solltest endlich einen Sohn gebären, dann hätten wir jemanden, der die Familie meines jüngsten Sohnes fortsetzt. Und du brauchtest deine Liebe nicht diesem wilden, schwarzen Teufel zu schenken!“

      Barbara nickt dazu, als hätte sie verstanden und wäre derselben Meinung. Sie schiebt den Hund beiseite und geht in die Küche, um für die Schwiegermutter Tee kochen zu lassen.

      Es dauert nicht lange und Pran trägt den Tee herein, für die Memsabib und die alte Frau. Jede sitzt für sich, und während sie ihren Tee trinken, stumm und wie in sich gekehrt, beobachten sie einander, beinahe lauernd wie zwei Feindinnen.

      Immer wieder hat die alte Frau beim Sohn und auch bei ihren Mann nach einem Enkel gefragt, und jedes Mal bekam sie zur Antwort, dass die Schwiegertochter über die Zeit, Kinder zu bekommen, längst hinaus wäre. Auch wenn sie jung und kräftig aussehe – die fruchtbaren Jahre wären vorüber. Aber das wollte sie nicht glauben. Nach einer alten Frau sähe die Schwiegertochter nicht aus, und im Westen sei so vieles möglich, das lese sie alle paar Wochen in der Zeitung.

      Über ihre Teetasse hin sagt die alte Frau in ihrer Sprache: „Indische Frauen sind nicht so schnell aus der Zeit heraus! Ihr Europäerinnen fürchtet euch davor, schwanger zu werden. Ihr verliert den Reiz, das schreiben auch die Zeitungen. Dabei blüht eine Frau erst durch ihre Schwangerschaften auf! Schwiegertochter, dem Raju und auch uns hast du Kinder zu gebären! – Warum zürnen uns die Götter, dass sie dir versagen, wozu du geboren wurdest? Liegt es daran, dass du und Raju die Ehe nach euren deutschen Gebräuchen geschlossen habt? Ja, sie zürnen uns, die Götter, denn die Frauen meiner Söhne bekommen keine Kinder. Die eine wie die andere sind wie ein unnützer Acker ...“

      Die alte Frau sagt das mit gleichmütigem Gesicht; Barbara hat den Eindruck, als wiederhole die Schwiegermutter etwas, was sie in der Zeitung gelesen hat. Alles, was die sich von der Seele redet, das bekräftigt Barbara durch Kopfnicken, so dass die alte Frau auffährt und ruft:

      „Und warum änderst du es nicht? Warum? Bist du zu fein zum Kinderkriegen? Bevor ich sterbe, möchte ich einen Enkel auf dem Schoß haben, hörst du! Lass mich nicht noch länger warten! Rajus Vater ist darüber gestorben.“

      Und

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