Raju und Barbara. Wilhelm Thöring

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Raju und Barbara - Wilhelm Thöring

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Ziel liegt abseits in einer ruhigen Seitenstraße; es ist ein altes, ein großes und sehr dunkles Haus, in dem sich in der ersten Etage die Frauen um die Pastorin versammeln.

      Vollendet wie bei ihrem Einstieg, lässt Kali sie wieder aus dem Wagen steigen, dann fährt er nach Hause. Gegen Abend, so hat Raju es mit ihm besprochen, wird er die Memsabib wieder abholen.

      Ein Mädchen, fast ein Kind, öffnet Barbara und begrüßt sie nach Landessitte mit aneinander gelegten Händen. Es öffnet eine seitliche Tür, und Barbara befindet sich in einem großen Raum, an dessen Wänden ringsum Stühle stehen, die an der Fensterseite von ein paar Damen besetzt sind. Das Gespräch der Frauen verstummt schlagartig, sie betrachten den neuen Gast ungeniert, bis eine Frau mittleren Alters auf sie zukommt und sich als Rita Gopal vorstellt, die Schriftführerin dieses Kränzchens. Barbara wird von ihr in diesem Kreis willkommen geheißen, von ihr herumgeführt und mit den anwesenden Damen bekannt gemacht.

      Lachend und verschwitzt platzt die Pastorin in den Raum. Von ihr wird Barbara herzlich und etwas zu laut – wie eine Vertraute – begrüßt. Heute würde es zwanglos zugehen, sagt sie, ohne das vorgesehene Programm, denn die Referentin, die Witwe eines indischen Professors für Geschichte, die die Pflege deutscher Kultur bei den Deutschen in Indien darstellen wollte, wäre erkrankt.

      In einem Nebenraum wird von dem Mädchen, das Barbara die Tür geöffnet hat, Tee und Kaffee und Gebäck serviert.

      Die Fenster gehen in einen weitläufigen Garten, sie sind alle geöffnet, doch wegen der Affen vergittert, die manchmal in Scharen heranfluteten und lästig und böse würden, erklärt Rita Gopal.

      Barbara ist erstaunt über die Stille. Vom Lärm dieser schrillen, dröhnenden Stadt ist in diesem Garten nichts zu hören. Später setzt sich eine beleibte ältere Frau zu ihr, Frau Mamtani, die sie zuerst ein wenig aushorcht, ganz so, wie es die Pastorin bei ihrem Besuch getan hat: wo sie herkomme und wohne, wie lange sie in Indien und mit wem sie verheiratet sei ... Es sind die Fragen, die auch die Pastorin damals gestellt hat. Frau Mamtani fragt alles, was eine ältere Frau interessiert und was sie über einen Neuling wissen muss. Dann jedoch nutzt sie die Gelegenheit, um aus ihrem langen Leben mit einem indischen Richter zu erzählen.

      Das, was sie über Barbara in Erfahrung gebracht und das, was sie ihr anvertraut hat, das verbindet, findet Frau Mamtani, und so gehört Barbara Sharma für diesen Nachmittag an ihre Seite, sie lässt sie nicht mehr los, sie hat das Vorrecht gepachtet, sich um den Neuling kümmern zu dürfen.

      Frau Mamtani muss in ihrem langen Leben an der Seite ihres Mannes und in diesem Land viel beobachtet und erfahren haben; sie macht sich über vieles Gedanken, vor allem über die indischen Männer. Bei ihnen wäre eine westliche Frau, wenn sie dazu noch blass und blond ist, meistens gut und sicher aufgehoben, weiß sie. Von solcher Frau ließe sich der Inder gerne bereitwillig leiten, er beachte alles, was sie sagt und für richtig befindet.

      „Wissen Sie, die Inder haben eine uralte Kultur – was ist unsere dagegen, auf die wir so stolz sind? Doch die Zeit mit all ihrem Fortschritt hat uns in ihren Augen in eine bessere und vorteilhaftere Lage gebracht – nicht wenige Inder fühlen sich uns unterlegen, glauben Sie mir das“, sagt Frau Mamtani überzeugt, und sie fährt fort, dass die Andersartigkeit der westlichen Frau dem indischen Mann gegenüber eine beachtliche Stärke sei; das würde sie selbst doch ganz gewiss auch schon erfahren haben, nicht wahr?

      Frau Mamtani analysiert dieses und jenes, und dazwischen gibt sie Ratschläge und weist auf alles Mögliche hin, was eine Neubürgerin dieses Landes wissen sollte und zu beachten hat.

      „Ganz wichtig ist die Sprache“, sagt sie. „Die Hausfrau muss dem Personal sagen können, was sie von ihm erwartet und was sie nicht leiden oder dulden mag. – Sie sprechen doch Bengali? Nein? Lernen Sie es! Warten sie nicht lange damit. Ich weiß einen guten Lehrer. Wenn Sie wollen ...“

      Ja, ja, Barbara will die Sprache lernen, aber im Moment wird es nicht gehen, denkt sie. Frau Mamtani erzählt sie nichts von ihren häuslichen Sorgen, vom kranken Schwager, der ihre Hilfe braucht ... Es passe ihr schlecht mit dem Lernen, sagt sie. Sie werde damit noch warten müssen.

      Beim Abschied sagt Frau Mamtani, sie würde gerne außerhalb dieser Treffen Kontakt zu Barbara halten, darum lade sie sie in ihre Wohnung, die jenseits des Hugli, am äußersten westlichen Ende der Stadt liege. Sie sucht in ihrer Handtasche nach einer Visitenkarte.

      „Hier ist meine Anschrift, meine Telefonnummer. Rufen Sie mich bitte vorher an, ich bin viel unterwegs. Noch etwas, Frau Sharma: Einmal im Jahr, bevor der Monsun beginnt, lädt der Verein der deutschen Frauen, zu dessen Vorstand auch die Pastorin Sonnenberg gehört, zu einer Schiffsfahrt auf dem Fluss ein. Alle Damen, die Sie hier sehen, wie auch die, die heute verhindert sind, werden dabei sein. Ich werde veranlassen, dass Sie eine Einladung bekommen. Ihren Mann können Sie mitbringen, das halten alle so, die noch ihren Mann haben. Darüber werden sich die Damen freuen, denn die meisten haben keinen mehr, sie sind seit Jahren Witwe!“

      Frau Mamtani lacht über das, was sie gesagt hat und drückt Barbara einen Prospekt in die Hand, auf dem alles zu lesen wäre, was sie über diese Fahrt wissen müsse.

      Wenn es möglich ist, werde sie kommen, verspricht Barbara, und ihren Mann, wenn er Neigung dazu zeige, würde sie auch mitbringen.

      Auf die Einladung des Vereins zur Bootsfahrt über den Fluss wird Barbara vergeblich warten.

      6

      Mit einem Besuch bei Frau Mamtani hat Barbara nicht lange gewartet. Eines Vormittags hat sie Frau Mamtani angerufen und sie sind übereingekommen, sich am übernächsten Tag zum Tee zu treffen. Um Schwierigkeiten zu umgehen, hat Frau Mamtani dem Chauffeur den Weg in seiner Sprache beschrieben; und Kali hat nur wenig notiert, denn er kenne die Gegend, hat er Frau Mamtani erzählt, er habe da vor einigen Jahren gewohnt; und so war er für diese Fahrt sofort bereit und wartete darauf, dass es bald losgehe.

      Das Haus, in dem Frau Mamtani wohnt, ist dem sehr ähnlich, in dem die Treffen der Pastorin Rosenberg stattfinden: Es ist groß und dunkel, im Flur hängt ein schwerer Geruch von Gewürzen, von Fäulnis und Unrat und voll von Ausrangiertem und jeglicher Art Müll. Oben über dem Geländer zeigt sich Frau Mamtanis Kopf.

      „Frau Sharma? Drei Treppen müssen Sie steigen. Ich wohne in der dritten Etage. Seien Sie vorsichtig! Sie sehen ja, was hier herumliegt!“

      Müll liegt auf jeder Etage, und je höher sie kommt, umso mehr liegt da herum, ist Barbaras Eindruck.

      Strahlend streckt Frau Mamtani ihr beide Hände entgegen. Sie hat sich fein gemacht, als wollte sie ausgehen.

      „Willkommen in diesem vor Dreck und Speck strotzenden Haus! Wie schön, dass Sie das Treffen nicht auf die lange Bank geschoben haben, Frau Sharma. Bitte, treten Sie ein. – Der Mensch, der den Müll zu entsorgen hatte, ist einfach abgetaucht“, erklärt sie.

      Frau Mamtani scheint die Reinlichkeit und Ordnung ihrer eigenen Wohnung gegen den Dreck im Treppenhaus setzen zu wollen. Sie ist eingerichtet wie manche kleinbürgerliche Wohnung irgendwo in einem deutschen Nest: Frau Mamtani hat sie vollgestopft mit dunklen, geschweiften Möbeln. Überall steht Nippes auf Häkeldeckchen zwischen Fotografien und einer Unzahl von kleinen, zum Teil leeren, Blumenvasen, und neben dem Fenster tuckert sogar eine Kuckucksuhr durch die Zeit.

      „Von allem indischen Kram hatte ich die Nase voll“, sagt Frau Mamtani. „In allen Räumen hatte mein Mann Indisches aufgestellt – sogar im Klo! Shiva, Shiva, und nochmals Shiva! Und dazwischen Kali, die Schreckliche, der Affengott Hanuman, Vishnu und Ganesh, Sie wissen, der mit dem Elefantenkopf

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