Sünden von einst. Elisa Scheer
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„Und woran liegt das?“
„Wahrscheinlich daran, dass er auch nicht an uns gehangen hat. Er hat uns jeweils an unserem achtzehnten Geburtstag vor die Tür gesetzt, zwar mit genügend Geld, aber es wurde schon deutlich, dass er seine Pflichten als erfüllt und seine Aufgaben als beendet angesehen hat. Seitdem wurden wir nur noch etwa einmal im Moment herzitiert, um uns seine Tiraden zum Weltgeschehen, zur Jugend von heute oder zu unserer jeweiligen Nutzlosigkeit anzuhören. Heute war ich dran.“
„Warum sind Sie dann überhaupt gekommen? Hängen Sie finanziell von ihm ab?“ Das klang mir etwas lauernd, so als ob ich ihn des Erbes wegen erschossen hätte. Oder zumindest eine Erbschleicherin wäre. „Nein“, entgegnete ich also etwas schärfer als beabsichtigt, „wir haben seine Vorladungen einfach als Schicksal hingenommen. Es dauerte ja auch nie lange und es war die einzige Form von Familienleben, die wir hatten. Nicht direkt ein Dialog, freilich, eher ein Monolog, am Ende hatten wir zu sagen Ja, Vater und uns dann wieder zu trollen. Und die Vorladung mussten wir wieder abliefern.“
„Er hat Sie schriftlich – äh – einbestellt?“
Ich grinste. „Einbestellt ist ein schönes Wort. Ja. wollen Sie die Karte sehen? Warum er nicht telefoniert hat, weiß ich auch nicht – es sei denn, er war schwerhörig und wollte nicht, dass wir das wissen.“ Ich reichte ihr die Postkarte, die sie stirnrunzelnd studierte. „Kann ich das behalten?“
„Natürlich. Ich fange jetzt auch keine Souvenirsammlung mehr an.“ Sie steckte die Karte ein und sah sich um, blickte sinnend die graue, weinbewachsene Fassade hinauf und musterte dann das Gartentor. „Sie haben einen Schlüssel zu diesem Haus?“
„Nein, natürlich nicht“, antwortete ich entrüstet. „Ich glaube nicht, dass außer Vater und Frau Zittel – das ist die Haushälterin – jemand einen Schlüssel hat. Darin war er genauso eigen wie in allem anderen.“
„Haushälterin, ja?“ Sie schien einen Moment lang abgelenkt. „Ich weiß, das hört sich an wie in diesen treudeutschen Krimiserien – aber er war ein alter Mann und durchaus der Ansicht, dass niedere Dienste Weiberkram sind. Und Geld hatte er dafür bestimmt genug.“ Sie nickte. „Und wie sind Sie nun ohne Schlüssel reingekommen?“
„Das Törchen war offen, wie ich nach mehrfachem Klingeln gemerkt habe, und an der Haustür kam mir ein Mann entgegen“, ließ ich die Bombe platzen.
Sie starrte mich an. „Und das sagen Sie erst jetzt??“
Ich seufzte. „Viel nützen wird es Ihnen nicht, ich kannte ihn nicht und hab ihn nur eine Sekunde lang gesehen. Er war ziemlich bleich.“
„Kommen Sie, etwas mehr dürften Sie doch noch wissen, oder?“
Dass er einen absolut sexy Mund hatte? Das würde sie wohl kaum interessieren. „Er trug etwas Dunkles, wohl einen Anzug. Er hat mich zur Seite geschubst und ist weggerannt. Mehr weiß ich ehrlich nicht. So groß wie ich, denke ich, aber ich bin noch auf den Stufen da gestanden“, nickte ich verlogen in Richtung Haustür, „also kann ich mich da auch täuschen.“
„Alt? Jung?“ Ich zuckte die Achseln. „Kein Greis, keine weißen Haare. In den Dreißigern, denke ich.“
„Würden Sie ihn wieder erkennen?“ Sofort!
„Kaum“, antwortete ich und setzte eine bedauernde Miene auf. „Steht denn nichts im Terminkalender? Vater hat sich solche Dinge doch bestimmt aufgeschrieben.“
„Wissen Sie das oder vermuten Sie es nur?“, fragte sie zurück.
„Ich vermute es. Ich weiß nicht viel über ihn.“
„Was ist denn mit Ihrer Mutter? Sie haben sie noch gar nicht erwähnt.“
„Sie ist vor zwanzig Jahren gestorben, ich kann mich nur noch vage an sie erinnern.“
„Und ich gar nicht mehr“, ergänzte Nathalie, die plötzlich neben uns auftauchte und Frau Kerner die Hand reichte. „Nathalie Lamont, guten Tag.“
Die Kerner erwiderte den Gruß und fragte weiter: „Hat Ihr Vater denn nie von ihr erzählt?“ Nathalie schüttelte den Kopf. „Kein Wort. Wir wissen nicht mal, woran sie eigentlich gestorben ist – oder, Nina?“ Ich konnte nur zustimmen.
„Seltsam“, murmelte die Kerner und winkte einem jungen Mann zu, der aus dem Haus trat. „Na?“
Der junge Mann warf uns einen forschenden Blick zu und zuckte dann die Achseln. „Nichts Vernünftiges.“
„Vielleicht sollten Sie Vaters Anwalt informieren“, schlug Nathalie vor, „der kann Ihnen sicher Genaueres sagen. Über unsere Mutter und Vaters Lebensstil und all so was. Wir wissen wirklich nichts, wir durften ja nur auf Aufforderung eintreten. Der Anwalt heißt – äh.“
„Kastner“, half ich aus. „Das heißt, wenn es immer noch der gleiche ist wie früher?“ Nathalie nickte. „Als er mich rausgesetzt hat, war´s noch der gleiche, und das ist erst vier Jahre her.“
„Und wenn nicht, weiß er bestimmt, wer sich jetzt um das Mandat kümmert. Kastner“, wiederholte ich, „Leopold Kastner, oder?“
„War´s nicht Luitpold?“, fragte Nathalie.
„Kann auch sein. Na, beides wird´s ja wohl nicht geben.“ Der junge Mann notierte sich das, dann sah er auf: „Brauchst du mich noch, Charlie?“
„Nein. Wenn ihr drinnen fertig seid, lasst die Leiche abtransportieren. Und kriegt mal raus, wo die Haushälterin steckt. Versiegelt das Zimmer, das dürfte reichen.“
Er nickte brav und wandte sich ab. Nathalie betrachtete versonnen seine niedliche Hinterfront und zwinkerte mir dann zu. Ich bewahrte mühsam die Fassung, als Frau Kerner die Augen zum Himmel verdrehte und Immer das Gleiche murmelte. „Bitte?“, fragte ich aber doch, und sie winkte ab und musterte unsere fast identischen dunkelblauen Anzüge. „Nicht gerade die typische Freitagabendkleidung, oder?“
„Er hasste Blue Jeans“, erläuterte Nathalie und starrte dem knackigen Polizistenhintern immer noch nach.
„Nathalie, hör auf zu sabbern“, mahnte ich leise, „ich denke, du hast den tollen Hardy?“ Sie wandte sich widerstrebend ab. „Hast ja Recht. Aber niedlich ist der schon...“
„Sollten Sie heute auch hier antreten?“
„Nein“, erläuterte Nathalie, „nie beide zusammen. Zwei gegen einen, davor hatte er wohl Angst. Heute war bloß Nina dran, mich hätte es wahrscheinlich in zwei Wochen erwischt. Was das Ganze sollte, ist uns sowieso nie klar geworden – er konnte uns doch gar nichts mehr, es war nur ein schwächlicher Versuch zu Psychoterror.“
„Vielleicht wollte er sich selbst einreden, dass er noch Einfluss auf uns hatte“, gab ich zu bedenken, aber eigentlich glaubte ich selbst nicht daran, und Nathalie warf mir auch einen entsprechenden Blick zu.
„Besitzen Sie eine Waffe?“, wollte Frau Kerner