Sklave und König. Michael Aulfinger

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Sklave und König - Michael Aulfinger

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Ich gehöre keiner Religion an.« Meinen früheren Glauben an unseren Gott Assur, verschwieg ich ihr absichtlich, denn sonst hätte sie meine wahre Abstammung erraten.

      »Erkläre mir aber bitte, warum deine Religion dir die Schadenfreude verbietet. Was ist das eigentlich für eine Religion, der ihr Zartoshti angehört?«

      Zum ersten Mal ließ sie meine Hand los. Mich überkam das Gefühl, dass ihr das Halten der Hände plötzlich ein schlechtes Gewissen bereitete, als hätte sie sich einer Sünde schuldig gemacht. Ich verstand dies alles nicht und war daher neugierig.

      »Ahura Mazda hat den Menschen als eigenständiges Wesen mit eigenem Willen geschaffen und nicht als Puppe in der Hand ihrer Götter, wie es in anderen Religionen gesagt wird. Bei ihnen sind die Menschen nur Werkzeuge der Götter. Ahura Mazda hat aber ein selbstständiges Wesen geschaffen, der für sein Handeln selbst verantwortlich ist. Deshalb soll er auch Gutes tun, reden und denken. Wenn er es nicht tut, hat er sich von Angra Mainju lenken lassen,

      Der Gott Ahura Mazda will, dass Menschen ihre Pflichten gegenüber anderen als eigenständige Wesen.

      Angra Mainju dagegen ist die Lüge. Wer lügt und tugendlos lebt, ist ein Sklave Angra Mainjus. Wer sich für das Gute entscheidet, ist ein Freund Ahura Mazdas – des weisen Herrn. Deshalb bürdet uns der weise Herr die folgenden Pflichten auf: Der Feind muss zum Freund gemacht werden, der Böse zum Gerechten, der Unwissende zum Wissenden.«

      Bewundernd starrte ich sie an.

      »Was du alles weißt.«

      »Wieso, das ist doch seit jeher meine Religion und meine Überzeugung, mit der ich aufgewachsen bin.«

      »Das habe verstanden. Wie verhält sich Zarathustra zu Gewalt, die einem im Alltag oder im Krieg ereilen kann?«

      »In der siebenten Strophe der dreizehnten Hymne der Gatha heißt es:

      Vermeidet Zorn und Haß und erlaubt nicht,

      dass Gewalt und Zerstörung eure Gedanken beherrschen.

      Oh Ahura

      Jene, die sich mit guten Gedanken für die Verbreitung

      der Reinheit und Wahrhaftigkeit einsetzen,

      werden zu dir finden.«

      »Das hört sich gut an und spricht für einen Frieden liebenden Propheten. Aber Worte hören sich immer gut an. Entscheidend ist, ob auch danach gelebt wird und nicht alles nur leere Phrasen sind. Oft genug war und ist doch alles nur Gerede. Und wenn einmal der Tag der Not kommt, dann ist kein Gott zur Seite, der einem beisteht und hilft. Wie schön wäre es doch, wenn deine so wohlklingenden Worte auch wahr wären.«

      Zynisch hatte ich meinen Gedanken freien Lauf gelassen. Enttäuschung über meinen Gott Assur, der tatenlos dem Untergang seines Volkes zugesehen hatte, ohne einzuschreiten, war der Grund meiner Lästerei gewesen.

      Erneut erlebte ich eine weitere Wesensart der jungen PouroUista. Mit einem Satz sprang sie von ihrem Platz auf und baute sich vor mir auf, während sie ihre Fäuste in ihre Taille drückte, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen.

      »Das mag in anderen Religionen vielleicht sein, aber bei den Zartoshtis gibt es das nicht. Wir sagen nicht nur, dass wir nach den Weisungen Ahura Mazdas leben, sondern wir tun es auch. Und dann hilft uns der weise Herr. Wir leben rein in allen möglichen Lebenslagen, um die größtmögliche Reinheit zu erreichen. Aber du bist ein ungebildeter junger Mann, der von Frust zerfressen ist. Was du an Zweifel und Unglauben deinem Gott gegenüber hast, ist deine Sache. Wir Zartoshtis sind anderen Religionen gegenüber sehr aufgeschlossen und tolerant. Du magst an deinem Gott zweifeln oder an ihn glauben. Das ist alleine deine Angelegenheit.

      Aber wage es nicht, meinen Gott Ahura Mazda und seinen Propheten Zarathustra zu beleidigen. Was vergeude ich überhaupt noch meine Zeit hier mit dir? Ich muss mit meinen Kamelen zurück.«

      Es war ein nutzloses Unterfangen, PouroUista in ihrem Zorn zu besänftigen. Ich ließ sie gehen, ohne einen Versuch zu starten, sie zurückzuhalten. Von meinem Platz aus sah ich zu, wie sie in wenigen Minuten die Kamele und Dromedare von der Tränke fortgetrieben hatte. Schnell kehrte wieder die Stille ein, wie ich sie hier vorgefunden hatte, als ich noch mit meiner Schafherde alleine war.

      In den nächsten Tagen geschah nichts Ungewöhnliches. Der Tagesablauf gestaltete sich immer gleich. Die Schafe waren leicht zu beaufsichtigen und zu führen. Es war eine leichte Arbeit, die mir viel Zeit zum Nachdenken ließ.

      Entweder schlief ich gleich bei meinen Schafen oder ich ging mit ihnen zu Paudashtis Haus zurück. Target ging es genauso. Deshalb sahen wir uns immer seltener und wenn wir uns trafen, hatten wir uns nichts mehr zu sagen. Es war, als hätten wir nur den gleichen Weg bis hierhin gehabt. Uns hatte die gleiche Ursache vertrieben und auf den Weg gebracht. Doch als dann das Ziel erreicht war, hielt uns nichts mehr zusammen. Wir gingen uns aus dem Weg. Wahrscheinlich war es auch ganz gut, da mich seine Anwesenheit immer an zwei Dinge erinnerte – an meine glückliche Kindheit auf dem Gut und an das gemeinsame Verbrechen, welches uns zu Flüchtlingen gemacht hatte.

      An PouroUista dachte ich immer weniger. Sie war wie ein flatterhafter Schmetterling in mein Leben geflogen. Nachdem dieser Schmetterling einen Augenblick lang neben mir verweilt hatte, wobei ich seine Schönheit bestaunen konnte, flog er auch schon wieder mit schnellen Flügelschlägen von dannen. Manchmal kommt so ein Schmetterling wieder zurückgeflogen, manchmal jedoch nicht.

      Der Tag neigte sich dem Ende. Die hohen Berge im Westen warfen schon ihre langen Schatten über die Häuser. Es schien, als wenn sie der langsam kriechende Schatten verschlucken wollte. An diesem Abend wollte ich mit meiner Herde zum Stall von Paudashtis Haus. Ich trieb die Tiere vor mir her, als ich im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

      Ich drehte mich instinktiv in diese Richtung, während mein Herz gleichzeitig lauter pochte, auch wenn mein Verstand mir riet, einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch da war sogleich wieder dieses undefinierbare Gefühl. PouroUista war zurück und lief direkt auf mich zu. Außer Atem hielt sie vor mir an. Ihre Augen strahlten.

      »Gut, dass ich dich hier noch treffe, Luskin. Hast du noch einen Moment Zeit für mich?«

      »Natürlich.« Die Schafe blieben stehen, weil ich sie nicht mehr antrieb und nutzten die Gelegenheit zum Grasen.

      »Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen«, sagte sie.

      »Entschuldigung angenommen. Aber ganz schuldlos war ich auch nicht. Jedenfalls fällt mir auf, dass du dich jetzt schon das zweite Mal bei mir entschuldigt hast. Wird das zur Angewohnheit?« fragte ich mit einem Zwinkern.

      Herzhaft lachte sie auf und strahlte mich an. Mir war sofort bewusst, dass sie in den vergangenen Tagen darunter gelitten hatte.

      »Also bist du mir nicht mehr böse?«

      »Nein, wirklich nicht. Ich hatte die letzten Tage bei meinen Schafen Zeit zum Nachdenken und gutes Reden, gutes Denken und gute Taten klingen nach einer vernünftigen friedlichen Grundlage. Ahura Mazda scheint ein Gott zu sein, der nicht Blut von seinen Gläubigen fordert, sondern Liebe. Was kann daran verkehrt sein? Ich würde noch mehr von ihm hören wollen.«

      »Deshalb bin ich hier«, ließ sie mich gleich mit glücklichen funkelnden Augen wissen. »Wann hast du deinen freien Tag?«

      »Übermorgen.

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