Eine Geschichte über rein gar nichts. Thomas Arndt
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»Er ist mit mir verabredet!«, schrie Laura Philips Freund ihrer Wut freien Lauf lassend an. »Ich warte hier seit Stunden während er irgendwo rumhängt und nicht mal ans Handy geht?«
»Ähm . . . bleib doch ruhig. Komm runter! Deshalb musst du doch nicht so schreien.«, antwortete dieser, der sich erst jetzt der Situation bewusst wurde, in die er hineingeraten war und die ihm ganz und gar nicht gefiel. »Wir waren ja nicht irgendwo, sondern bei Simone und was ist schon dabei, wenn man mal ein paar Minuten mit seinen Freunden abhängt.«, versuchte er Philip und auch ein wenig sich selbst zu rechtfertigen, ahnte jedoch, dass er womöglich nicht den richtigen Ton getroffen, nicht die passenden Worte gefunden hatte.
»Hast du eigentlich eine Freundin?«, fragte Laura und sagte, als er ihre Frage kopfschüttelnd verneint hatte, dass sie das gut verstehe und blickte ihn bedeutungsvoll an. Wissend, mit jedem weiteren Wort seine und Philips Lage nur verschlechtern zu können, schlug er zu seiner eigenen Überraschung vor, in den Park zu gehen und eine zu rauchen, um in Ruhe reden zu können. Da Laura nun ohnehin nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wusste, willigte sie ein und so fanden sie sich einige Minuten später auf einer Wiese im Schatten eines Baumes wieder, wo es dann geschah und sie ihn küsste, wie Laura Tania tief betrübt schluchzend und schniefend gestand.
»Und dann?«, fragte Tania in Erwartung weiterer delikater Einzelheiten.
»Was dann?«, fragte die Freundin.
»Weiter ist nichts passiert? Ihr habt euch nur geküsst?«, versicherte sich Tania.
»Ich habe ihn geküsst!«, jammerte sie. »Ich ihn und nicht wir uns oder er mich. Das ist doch das Schlimme! Verstehst du? Auf einmal kam es über mich. Ich weiß überhaupt nicht wie und warum. Da hab ich ihn geküsst und dabei finde ich ihn doch so, so, so . . . BÄHHHHHHHHHH!«
Tania verstand, dass dieser Kuss für die Freundin eine Katastrophe darstellte, da er von ihr ausgegangen war, weder Sinn noch Bedeutung hatte und Laura den Geküssten nicht einmal mochte. Mit diesem Kuss war sie Philip untreu geworden und befürchtete nun, er könne sie verlassen, wenn er davon erfuhr. Eine Lösung musste gefunden werden, um den worst case vorzubeugen, denn vermutlich würde es sehr schwer werden, den Ausrutscher vor Philip zu verheimlichen.
Nachdem sich Laura nach einigen Stunden beruhigt hatte, brachte Tania sie nach Hause. Sie wolle sich etwas einfallen lassen, versprach Tania, es werde sicher nicht einfach werden, doch schließlich gäbe es immer einen Weg. Dankbar aus ihrem verheulten Gesicht lachend verabschiedete sich Laura von Tania, die nochmals bekräftigte, ihr unter allen Umständen zu helfen.
Als sich die Freundinnen am nächsten Tag in der Schule trafen, deutete Tania an, eine Idee zu haben, wie das Problem aus der Welt geschafft werden könnte. Sie wollte Laura jedoch nicht verraten, was sie im Sinn hatte, sondern bat vielmehr um Vertrauen und ein wenig Geduld. Sie müsse sich noch über einige Einzelheiten klar werden, bevor ihr Plan in die Tat umgesetzt werden könne, schließlich müsse alles zusammenpassen, Sinn machen und unverdächtig sein, wie sie umständlich und doch nichts sagend ausführte und selbstbewusst stellte sie ihrer begeisterten Freundin in Aussicht, dass Philip sogar dann mit ihr zusammenbleiben werde, sollte er je von dem Kuss erfahren. Die überglückliche Laura forderte Tania auf, zu tun und zu lassen, was sie für richtig hielt; darüber hinaus bot sie ihre volle Unterstützung an, denn natürlich werde sie alles in ihrer Macht stehende tun, um ihre eigene Dummheit wieder gutzumachen. Womöglich werde sie darauf zurückkommen, meinte Tania, aber das werde sie ihr zu gegebener Zeit mitteilen, bis dahin solle sie sich so normal wie nur irgend möglich verhalten, bestimmt wisse noch niemand von dem Kuss und das solle schließlich auch so bleiben.
Schon das folgende Wochenende bot eine gute Gelegenheit für Tania, ihr Vorhaben anzugehen, über dessen Details sie in den vergangenen Tagen ununterbrochen nachgedacht hatte. Im Garten seiner Eltern feierte ein Mitschüler eine große Geburtstagsparty, bei der alle Beteiligten anwesend waren. Tania beabsichtigte, Philip und auch den Geküssten auf den Zahn zu fühlen und bat Laura, unbedingt Ruhe zu bewahren, mit den anderen zu feiern und zu warten, bis sie ihr sagen werde, was sie in Erfahrung gebracht, vielleicht sogar erreicht beziehungsweise unter ungünstigeren Umständen nicht erreicht habe. Nun sei es an der Zeit, ihr die zugesagte Unterstützung zu gewähren, indem sie Benjamin ablenke und von ihr fernhalte. Sie hätten sich in letzter Zeit nicht oft gesehen, sagte sie Laura, und vermute deshalb, dass er ihr nicht von der Seite weichen werde, wodurch sie die ganze Angelegenheit in Gefahr wähnte. Laura verließ sich voll und ganz auf Tania und versprach, sich um Benjamin zu kümmern.
Mit Philips Freund hatte Tania kaum Mühe, ins Gespräch zu kommen, obwohl sie ihn nur vom Sehen kannte und nie zuvor ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Durch geschickte Andeutungen eröffnete sie ihm, dass sie betreffs des Kusses im Bilde war. Der Geküsste schüttete ihr daraufhin sein Herz aus. Offensichtlich war er froh über die sich unverhofft bietende Gelegenheit und beteuerte tausendmal, das Geschehene niemals beabsichtigt zu haben, da Philip einer seiner besten Freunde sei und Laura nicht nur deshalb für ihn tabu war, sondern auch, weil sie ihm nicht einmal gefiel. Dennoch sei er seit diesem Tag durch seine Loyalität derart hin und her gerissen, dass er nicht wisse, ob er Philip von dem Kuss erzählen solle oder nicht. Ihm sei klar, dass Philip einerseits seine Freundin liebe und eine mögliche Beichte die Beziehung ernsthaft gefährden könnte – und er wolle ganz bestimmt nicht derjenige sein, der die beiden auseinanderbringe – andererseits habe sie ihn geküsst und er wisse nicht, ob sie nur ihn geküsst habe oder auch andere beziehungsweise ob dies noch geschehen werde, und schließlich verursachte ihm die Vorstellung, Philip könnte hintergangen werden, erhebliche Kopfschmerzen; sollte es denn unter guten Freunden nicht selbstverständlich sein, auch heikle Dinge anzusprechen? Aber wie gesagt, die Beziehung wolle er nicht gefährden und außerdem würde durch sein Geständnis ebenso die Freundschaft zu Philip auf dem Spiel stehen. Er versicherte, bisher zu niemandem ein Wort über den Kuss verloren zu haben, wollte aber nicht garantieren, dass das nicht irgendwann, vielleicht schon bald, geschehen werde.
Er solle sich um Himmels Willen jeden seiner Schritte gut überlegen, riet Tania. Und vor allem solle er nicht so naiv sein und der Vorstellung erliegen, Philip werde glauben, er sei völlig schuldlos. Was könne er denn zu seiner Verteidigung vorbringen, wenn Philip frage, warum er beispielsweise nicht zurückgewichen sei? Zu einem Kuss gehörten immer noch zwei, erklärte Tania, und das Allerbeste in dieser Situation sei ohnehin, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht noch einmal geschehe, doch dazu brauche sie seine Hilfe. Tania schlug vor, sich um Laura zu kümmern und mit ihr zu sprechen, um ihr in aller Deutlichkeit die Gefahren ihres impulsiven Verhaltens vor Augen zu führen; seine Aufgabe sei, Philip zu bewegen, mehr Zeit mit seiner Freundin zu verbringen, sich besser um sie zu kümmern, pünktlich bei ihren Verabredungen zu erscheinen und diese nicht zu vergessen. Er müsse aber wohlüberlegt vorgehen, Philip dürfe nicht auf die Idee kommen, dass sich mehr hinter der Sache verberge. Tania teilte ihm ihre feste Überzeugung mit, er sei all das seinem Freund schuldig. Sicher, der Kuss könne nicht rückgängig gemacht werden; aber habe er denn nicht betont, dass er nicht für eine Trennung verantwortlich sein wolle? Und wenn er ihr schon nicht aus Mitleid Laura gegenüber zu helfen gedenke, dann solle er es eben als einen Freundschaftsdienst ansehen; er mache einiges gut, was er sich mit dem empfangenen Kuss eingebrockt habe.
Als sich der Geküsste dergestalt in die Enge getrieben sah, stimmte er prinzipiell zu. Sein Gewissen jedoch war mit diesem Plan weitaus weniger zufrieden als sein Verstand. Er solle bloß vorsichtig vorgehen, insistierte Tania noch einmal, ein falsches Wort, ein Satz zu viel und Philip könnte Verdacht schöpfen. Was auch immer er sagen und tun werde, er solle darauf achten, dass alles Sinn ergäbe.
Tania machte sich keine Illusionen: der Geküsste würde ein Unsicherheitsfaktor bleiben, dem noch einige Kämpfe mit seinem Gewissen bevorstanden. Nun war es an der Zeit, Philip gründlich auf den Zahn zu fühlen. Sie traf ihn in einer merkwürdigen Stimmung an. Er war gereizt und misslaunig.