Eine Geschichte über rein gar nichts. Thomas Arndt
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Читать онлайн книгу Eine Geschichte über rein gar nichts - Thomas Arndt страница 10
Die Gelegenheit beim Schopfe packend fragte Tania ironisch, ob er denn wirklich so eifersüchtig sei, wie es gerade den Anschein habe, wo sich doch seine Freundin lediglich mit ihrem Freund unterhalte. Das habe er nicht gewusst, antwortete er, offensichtlich bestehe kein Grund zur Eifersucht. »Aber gestört hat es dich schon, nicht wahr?«, bohrte sie weiter.
»Na ja.«, antwortete Philip zögernd. »Es hat mir nicht unbedingt gefallen. Immerhin geht das schon den ganzen Abend so.«
»Und was würdest du tun, wenn sie dir einen wirklichen Grund zur Eifersucht gäbe?«, fragte Tania mit Unschuldsmiene.
»Ich weiß nicht?«, sagte er. »Woher soll ich das wissen? Was meinst du überhaupt?«
»Also nur mal so: stell dir vor, rein theoretisch natürlich, sie küsst einen anderen. Was dann? Was würdest du tun? Wie würdest du reagieren?«
»Oh mein Gott! Ich weiß es nicht. Das wäre absolut scheiße!«
»Ja!«, erwiderte Tania. »Aber was würdest du machen? Hätte das Konsequenzen?«
»Wir haben eine Abmachung.«, sagte Philip entschieden und setzte eine bedeutungsvolle Miene auf. »So was machen wir nicht. Einer kann sich auf den anderen verlassen. Was willst du überhaupt? Wieso fragst du mich das?«
»Na . . . nur so.«, sagte Tania und hatte verstanden, was er nicht aussprechen wollte. »Es interessiert mich eben, wo wir doch beim Thema sind.«, fuhr sie fort. »Übrigens: mir würde es auch nicht gefallen, wenn Benjamin eine andere küsst. Und weißt du was? Ich glaube, für mich wäre das so schlimm, dass ich mich von ihm trennen würde. Ich könnte ihm nicht mehr vertrauen. Magst du noch Bier?«
»Klar mag ich noch Bier. Danke. Würde mich wahrscheinlich auch von ihr trennen, wenn sie so was macht und ich es erfahre. Das ist schon scheiße!«
»Ja ja, das ist es. Aber mach dir keine Sorgen, jetzt wo du weißt, dass sie sich mit meinem Freund unterhält. Da passiert schon nichts.«, sagte sie lachend und fügte hinzu, dass sie gerne ein Stück laufen wolle, nur ein paar Meter. Hinter dem Garten sei ein kleiner Weg und sie könnten ihre Flaschen mitnehmen, danach werde sie sich um Benjamin kümmern und er hätte Laura ganz für sich alleine.
So entfernten sie sich von ihren Freunden, die ihnen einige anzügliche Sprüche hinterher riefen. Misstrauisch sah Benjamin Tania gehen und wurde nur durch Laura beruhigt, von der er wusste, dass sie die Freundin desjenigen war, mit dem Tania gerade die kleine hintere Gartentür passierte. Tania ihrerseits hoffte auf eine Eingebung, mit der sie das dünne Seil der Beziehung ihrer Freundin in ein Stahlseil verwandeln konnte, denn ihr war klar, dass der Kuss auf die Lippen eines anderen die Klinge war, die dieses Seil ohne Weiteres zerschneiden konnte.
Langsam laufend und schnell trinkend erreichten sie eine Bank, die am Wegesrand stand, und ließen sich auf ihr nieder. Die Nacht war warm, der Himmel klar, dazu wehte ein sanfter Wind, der leicht ihrer beider Haut berührte. Sie redeten über dies und jenes und mit jedem Schluck wurden ihre Zungen schwerer und die Nacht dunkler. Bald schon saßen sie stumm nebeneinander und wussten nicht, was sie davon halten sollten. Die Stimmen ihrer Freunde, die sie eben noch vom Wind getragen im Flüsterton vernommen hatten, zogen sich diskret in den Garten zurück und überließen die beiden sich selbst. Nun waren sie allein, ohne dass sie das gewollt hatten, und sahen sich unschlüssig an. Auf diese Weise türmten sich die vergehenden Sekunden aufeinander und wuchsen zu einem riesigen, schweigenden Berg heran, der endlich hoch genug war, um den Himmel zu berühren. Nur ganz leicht und ohne jede böse Absicht touchierte er einen kleinen Stern, der sich unglücklicherweise zur falschen Zeit am falschen Ort befunden hatte; die Wucht der Kollision warf den im Schlaf beim Träumen überraschten Himmelskörper aus der Bahn und ließ ihn auf die Erde purzeln. Kerzengerade rauschte er vom Himmelszelt in die Tiefe und schlug nur wenige Meter neben der Bank auf, auf der Tania und Philip saßen. Erstaunlicherweise verursachte sein Aufprall lediglich ein leises Rascheln, geradeso, als würde ein kleines Tier durch nächtliches Gras laufen. Erschrocken blickten beide in die Richtung, aus der sie das Geräusch vernommen hatten, und als sie langsam ihre Gesichter wieder einander zuwandten, war es Tania, die, nun hellwach, die Gelegenheit nutzte, Philip in die Augen sah und ihn zu küssen begann.
So unentschlossen, zögernd und misstrauisch Philip auch gewesen war, als sie ihn zu küssen begonnen hatte, er spielte mit ihr in dieser warmen Sommernacht inmitten einer Blumenwiese ein Spiel, dass beiden nur allzu gut gefiel; es war Tanias erstes Mal.
Als sie wieder bei Sinnen waren, schworen sie einander, niemandem zu erzählen, was geschehen war. Philip fühlte sich sichtlich unwohl, hatte er doch vor wenigen Minuten erst vom Treueversprechen zwischen ihm und Laura gesprochen. Tania gefiel es, ihn beschämt und niedergeschlagen zu sehen. Die untrüglichen Zeichen, die ein schlechtes Gewissen in die Gesichter der Menschen zu stempeln vermag, tanzten in seinem Angesicht. Er fühlte sich wie ein Sünder, stand wie blöde da und wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Er kam sich so dumm vor, sich selbst so fremd, das hatte er nicht gewollt. Laura dürfe das nie erfahren, stammelte er unentwegt in einer Mischung aus Beschwörung, unterschwelliger Aggressivität, Unsicherheit und Verwunderung; Tania lachte in sich hinein.
Niemand werde es je erfahren, versicherte sie, er könne sich ganz auf sie verlassen. Sie versuchte sich so gut wie möglich zu verstellen, um den Eindruck zu erwecken, als bereue sie die vergangenen Minuten genauso wie er. Sie wisse nicht, wo ihr der Kopf stehe, erklärte sie und fügte hinzu, dass sie sich unter keinen Umständen etwas anmerken lassen durften, denn schließlich habe er eine Freundin und sie einen Freund. Dann gingen sie in den Garten zurück.
Tania glaubte ihr Ziel erreicht zu haben. Nach dem, was geschehen war, hatte Philip in ihren Augen kein Recht, sich allzu sehr über Laura aufzuregen, sollte er je von dem Kuss erfahren. Außerdem hatte sie nun ein Druckmittel in der Hand; sein Fehltritt ließe sich gegen ihn ins Feld führen, wenn es nötig werden sollte.
Nachdem die beiden den Garten wieder betreten und sich unter die Feiernden gemischt hatten, teilte Tania Laura mit, sie habe mit Philip gesprochen, ohne dass dieser auch nur den geringsten Verdacht hätte schöpfen können; sie sei sich ziemlich sicher, dass sich der Ärger in Grenzen halten würde, sollte er jemals von dem Kuss erfahren. Tanias Worte machten Laura augenblicklich glücklich und überschwänglich dankte sie ihr für alles, was sie getan hatte. Tania fühlte sich gut. Als sie dann sah, wie innig sich Laura und Philip küssten, verstärkte sich noch dieses Gefühl. Offen blieb nur die Sache mit Benjamin, der schon auf sie zukam.
Tanias angeblicher Plan war alles andere als bis ins kleinste Detail sorgfältig ausgetüftelt. Im Grunde genommen hatte sie lediglich einige vage Ideen verfolgt, die allesamt darauf zielten, Lauras und Philips Beziehung zu retten – nicht mehr und nicht weniger. Sie war überzeugt, umsichtig und richtig gehandelt zu haben, da weder der Kuss, noch der One-Night-Stand jemals ans Tageslicht kamen, außerdem festigte sich das Band, das Laura und Philip noch viele Jahre verbunden hielt.
Dennoch darf man fragen, ob es wirklich nötig war, mit Philip zu schlafen, nur um ihm rein präventiv den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ist denn nicht vorstellbar, dass Philips Freund geschwiegen hätte? Sicher ist das eine nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit. Doch darum geht es nicht. Was geschehen ist, ist geschehen, sagte sich Tania, wenn sie von Zeit zu Zeit an jene Nacht dachte, und bei diesen Gelegenheiten versäumte sie nicht, sich die unabweisbare Notwendigkeit ihres Handelns ein ums andere Mal zu bestätigen. Dadurch erhärtete sich ihre Vorstellung, sie habe tatsächlich nach einem Plan gehandelt, dessen strikte Einhaltung und Durchführung den angestrebten Erfolg gesichert hatten, und selbstredend wiesen Pläne auch