gerührt. Gleichzeitig dankte sie dem Allliebenden, dass sie das nicht laut ausgerufen hatte. „Hast du es etwa nicht gewusst?“, fragte Lethon ungläubig und runzelte die Stirn. „Ich dachte Leela würde altersdick und behäbig.“, gestand Seline kleinlaut und musste zusehen, wie Lethon ein Lachen unterdrückte, dass sich ihm die Wangen blähten. Wo bin ich nur mit meinen Gedanken gewesen, schollt sich Seline und streichelte sanft Leelas Kopf. Armes Mädchen, du, dachte sie dabei. „Ich habe mit dem Ungeborenen Kontakt aufgenommen.“, erklärte Lethon. „Es ist gesund und bereitet sich nun darauf vor, dass ich es herausholen werde!“ „Herausholen? Und Leela?“, wimmerte Seline ängstlich. Lethon nickte bedächtig. „Sie ist nicht mehr so jung. Mit ihr habe ich zuerst Kontakt aufgenommen. Sie dämmert und ist in einen schützenden Halbschlaf der Erschöpfung gefallen.“ Selines Augen wurden so groß, das Lethon für einen Moment der widersinnige Gedanke kam, ihr Gesicht bestünde nur mehr aus Augen. Abgespannt rieb er sich seinen versteiften Nacken. Die Schmerzen des großen Limtaan hatten ihm körperlich zugesetzt. „Ich habe die Energiepfade der zwei Körper erfühlt.“, fuhr Lethon fort. Entweder werden wir Mutter und Kind retten können, oder aber wir werden beide zugleich verlieren. Seline nickte, voller Angst. Denn sie verstand, was Lethon damit meinte. Die Lebenskräfte der zwei Wesen, Mutter und Kind, waren hier sehr stark miteinander verknüpft. Beide gleich stark gewichtet, in einem harmonischen Gleichgewicht. Würde Leela sterben, dann könnte man auch das Kleine nicht retten und umgekehrt. Seline streckte trotzig das Kinn vor und nickte noch einmal zum Zeichen ihres Einverständnisses. Ihr Nicken galt Lethon, ihr Trotz jedoch dem Schicksal. Denn auch wenn sie ganz schreckliche Angst davor hatte, sie würde sich ihm stellen. Vielleicht ist es sogar besser so, dachte sie. Denn manchmal stirbt nur einer von beiden, Mutter oder Kind und der andere kann gerettet werden. Hier jedoch gehen sie gemeinsam, ins Leben oder ins Licht. „Willst du wirklich dabei sein?“, fragte Lethon sanft. „Ich gehe hier nicht weg!“, antwortete Seline und ihre Unterlippe schob sich noch etwas weiter vor, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. Lethon schwieg und begann mit seinem blutigen, aber notwendigem Werk. Und Seline? Während sie den verschwitzten, zitternden Körper von Leela streichelte, stiegen unwillkürlich Erinnerungen in ihr auf. So fiel ihr voller Zärtlichkeit wieder ein, wann sie ihre Leela das erst mal gesehen hatte. Das war damals gewesen, vor vielen, viel zu schnell vergangenen Jahren. In dem Wald jenseits der großen Wiesenfläche von Melan. Seline erinnerte sich noch ganz genau. Beim Beerensammeln hatte sie plötzlich stark und deutlich gefühlt, dass sie beobachtet wurde. Und im selben Moment, in dem ihr das bewusst wurde, trat plötzlich ein Limtaan aus dem Dickicht des Waldes hervor. Er war groß und schön, wenn auch nicht mehr ganz so jung. Gut gewachsen, zeichneten sich bei jedem Schritt die Muskeln unter dem Fell ab, als das Tier direkt und ohne Scheu auf Seline zukam. An dem weichen Blick der braunen Augen hatte Seline sofort erkannt, dass es ein Weibchen war. Und es kam ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen, als sie dort im Wald zum ersten Mal über das zarte dunkelbraune Fell gestreichelt hatte, so wie sie es auch jetzt tat. Sofort hatte sie damals den rechten Namen für das Tier empfunden. Leela! Und vom ersten Moment an, war es eine echte Verbindung gewesen. Ein Bund fürs Leben. Bei der schönen Erinnerung hatte Seline unbewußt gelächelt. Nun aber holte die Wirklichkeit sie wieder ein und Seline dachte traurig, ich werde das Bündnis auch alleine für uns beide weiter tragen, wenn Leela mich verlässt! In meinem Herzen werde ich es weiter tragen! Und als sie das Zittern ihrer vor Anstrengung völlig verschwitzten alten Freundin spürte, da fühlte Seline sich hilflos und schrecklich allein. Aber sie wusste nicht, dass sie auch jetzt wieder beobachtet wurde. Und auch dieses mal wieder aus einem Dickicht heraus Denn dort war jemand. In der Dunkelheit. Lautlos, heimlich lauschend. Auch aus der Entfernung entging ihm keine Bewegung, kein Wort. Doch dieses Mal war Seline zu gefangen vom Leid ihres Tieres und von ihrem eigenen, um etwas davon zu bemerken. Dort hockte er. In seinem grünen, blattreichen Versteck. Und beobachtete gespannt das hektische Treiben. Du Tor; schollt sich Trismon selber. Das also ist es, was sich hinter der übergroßen Eile der zwei vermummten Gestalten verborgen hat! Trismon war es zutiefst unangenehm, dass er hier so verstohlen im Gebüsch lauerte. Allliebender, durchfuhr ihn der Schreck. Was, wenn ihn hier jemand so sehen würde?! Eine nicht auszudenkende Schande wäre das! Trismon wollte sich schon so leise wie nur irgend möglich abwenden. Da jedoch sah er Tränen auf dem Gesicht der Empathin schimmern. Wieder erschien sie ihm viel zu jung, um jetzt schon das oberste Mitglied des Rates zu sein. Zu zart und zu zerbrechlich für diese gewiss schwere Bürde, war sie. Es rührte ihn, wie sie sich so besorgt um das kranke Tier bemühte. Sie ist ja ganz bestimmt eine gutherzige Frau, räumte Trismon ein. Aber einer der obersten Entscheidungsträger?! Niemals! Und doch ertappte er sich bei dem Gedanken, dass er ihr jetzt gerne dort in ihrer Not beigestanden hätte. Aber er war kein Heiler. So würde er dort also eher stören als nützen. Zumal sich schon genug Helfer um das Tier eingefunden hatten. Und deshalb tat Trismon das einzige, was er hier tun konnte. Er senkte respektvoll den Blick und schlich unauffällig und lautlos davon. Jedoch nicht, ohne zuvor im Stillen den Allliebenden zu bitten, das Leiden des Tieres zu beenden.
15. Kapitel
Ein neuer Morgen war angebrochen und hatte die Schatten der vergangenen Nacht hinfort gewischt. Der frühlingshaft, fahlblaue Himmel, war durchzogen von kleinen, zerfetzten Wolkenfäden. Aber das störte die Sonne nicht. Mit ihrer Kraft erwärmten sie den noch jungen Tag und verschenkte ihr Licht an alle. An die grüne Natur ebenso wie an die rote Stadt. Mit ihren freigiebigen Strahlen bedachten sie die Sandsteingebäude, die Tiere in den Gärten und die Einwohner auf den Straßen und Plätzen. Und sie vergaß dabei auch nicht die zwei Männer, die dort unten auf dem Boden so früh schon gewichtige Dinge zu bereden hatten. „Das hier ist unsere Siedlung, NordcumMelan.“ Trismon kniete auf dem Boden und zeichnete mit dem Finger, die Umrisse seiner Heimat in den Sand. „Sie liegt direkt am Meer.“ Er zog oberhalb der Siedlung einen dicken Trennstrich und versetzte dem Bereich darüber durch Wischbewegungen mit seiner Hand ein dunkles Muster. „Zu beiden Seiten der Ansiedlung liegen Wälder. Und in etwa hier“, Trismon drückte mit der Fingerspitze ein Loch in den Boden, „haben wir den unterirdischen Zugang entdeckt!“ Trahil stand direkt neben ihm und sah sich aufmerksam an, was er dort im Sand zu erklären suchte. Trismon hatte diesen alten Mann vom ersten Augenblick an gemocht. Den scharfsinnigen Blick seiner Augen, der durch sein ruhiges und zurückhaltendes Wesen noch betont wurde. Dies alles erinnerte ihn an seinen alten Lehrmeister Mimail. Und obschon Trismon eher als Einzelgänger zu beschreiben war, der gerne alleine blieb und auch seine Gedanken eher für sich behielt, war er mit Trahil schnell vertraut geworden. Und bei einer eher zufälligen Begegnung heute morgen, hatten sie sich bald in ein Gespräch vertieft. Vor allem ging es dabei um die Frage, was das dort unter der Erde eigentlich sein könnte. Mit einfachen Zeichen im Sand versuchte Trismon ihnen beiden nun einen Überblick zu verschaffen. Dabei beeindruckte ihn im Besonderen die schnelle Auffassungsgabe Trahils. Denn die gezielten Fragen des Alten bezogen sich auf Trismons Schilderungen in der gestrigen Ratsversammlung und damit auf nur einmal Gehörtes. Und doch hätte man meinen können, auch Trahil hatte das unterirdische Gebäude selbst schon einmal gesehen. Er hat ein sehr ausgeprägtes Vorstellungsvermögen, lobte Trismon ihn im Stillen. Und er blickte zu ihm auf, fast so, wie einst zu seinem Lehrmeister. Trahil lächelte hinab und fragte in seiner ihm eigenen, wohltuend besonnenen Art: „Könntest du versuchen wiederzugeben, an was du dich in dem Raum dort unten erinnern kannst?! Einzelheiten, die dir jetzt womöglich noch unwichtig erscheinen. Sie könnten uns helfen zu verstehen, wozu dieses unterirdische Bauwerk dienen soll!“ Trismon schürzte nachdenklich die Lippen. „Wie schon gesagt, es war alles in dieses dunkle rote Licht getaucht, das die Gegenstände viel eher verhüllte, als sie zu erhellen.“ Trismon legte die Stirn in Falten und blickte für kurze Zeit in die Ferne. So als würde er dort noch einmal sehen können, was sich an jenem schicksalhaften Tag ereignet hatte. Dann wandte er sich wieder der Zeichnung auf dem Erdboden zu und fuhr mit dem Finger durch den warmen, roten Sand. Hier ein Strich, dort eine Schraffur und schon entstand der rätselhafte Ort vor den Augen der zwei Männer noch einmal. Während er den Erdboden bemühte, gab Trismon zu jedem der gezeigten Gegenstände eine Erklärung ab. „Alles war voll seltsamer schrankähnlicher Gebilde. Sie hatten in sich Lichter in vielen verschiedenen Farben. „In sich?“, fragte Trahil nach, um sicherzugehen, dass er sich hierbei nicht verhört hatte. „In ihnen leuchtete es immer wieder auf, in unterschiedlichen