Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer
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Читать онлайн книгу Reise nach Rûngnár - Hans Nordländer страница 15
Nils erschrak. Die letzten Worte hatte Narvidur nicht laut gesprochen. Sie waren in Nils´ Kopf entstanden, aber es war die Stimme Narvidurs. Nils wischte sich kalten Schweiß von der Stirn und unterdrückte seine Übelkeit. Er fasste sein Schwert fester, was mit dem noch nicht getrockneten Blut an seiner Hand nicht einfach war, und ging hinter Narvidur her, der bereits im nächsten Flur verschwunden war. Nils beeilte sich, ihn wieder einzuholen.
Sie brauchten keine Fackeln. Die Flure waren zwar nicht sehr hell, aber ausreichend ausgeleuchtet, auch wenn hier und da eine Fackel auf dem Boden lag oder erloschen war. Der Kampf hatte heftig getobt und Nils war dankbar, dass Narvidur mit dem Ausbruch gewartet hatte, bis er beendet war. Nils schauderte, als er daran dachte, was alles hätte passieren können, wenn sie sich ihren Weg durch die Kämpfer hätten bahnen müssen. Und er war ziemlich sicher, dass zumindest er es nicht einmal bis dorthin geschafft hätte, wo sie mittlerweile waren.
Der Keller war größer, als Nils ihn in verschwommener Erinnerung hatte. Als er zu seiner Gefängniszelle geführt wurde, erfüllten ihn allerdings andere Dinge, als das Verlangen, sich alles genau anzuschauen. Dann kam die erste Treppe nach oben in Sicht. Dort unten, wo sich Narvidur und Nils jetzt befanden, war es vollkommen still und nur ihre leisen Schritte waren zu hören – und Nils´ Herzschlag, wie er glaubte. So wurden sie durch die hastigen Schritten rechtzeitig gewarnt, die ihnen vernehmlich von oben entgegenkamen.
„Schnell! Dort in die Zelle!“, raunte Narvidur Nils zu und schob ihn auf die offene Tür zu. Bevor der Fremde die unterste Stufe erreichte, standen beide in der Dunkelheit des Kerkers und beobachteten den Flur. Mit schnellen Schritten lief ein Krieger, mit Schwert und Speer bewaffnet, in die Richtung, aus der sie kamen. Er verschwand hinter der nächsten Biegung des Ganges.
„Ein Steppenkrieger“, erklärte Narvidur leise. „Er wird wahrscheinlich gleich zurückkehren. Lass uns hier noch einen Augenblick warten.“
„Kommt er unseretwegen?“, fragte Nils. „Aber – deine Augen!“
„Was ist damit?“
„Sie leuchten nicht.“
„Meinst du nicht, es wäre unpassend, wenn sie es täten, während wir uns im Dunkeln zu verbergen versuchen? Ich gebe aber zu, dass meine Sehkraft darunter leidet. Aber zu deiner Frage. Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“
Es dauerte tatsächlich nicht lange. Nach wenigen Augenblicken hörten sie seine Schritte wieder. Der Mann hastete an ihrer Zelle vorbei und die Treppe hoch. Dass die vorher offenstehende Tür jetzt fast geschlossen war, schien er nicht zu bemerken.
„Gut, ich glaube, jetzt können wir wieder los“, meinte Narvidur. „Von nun an halte dein Schwert besonders gut fest und sei bereit, es zu benutzen. Dort oben werden sich noch mehr Krieger herumtreiben und es ist nicht damit zu rechnen, dass sie uns sehr wohlgesonnen sind.“
Nils schluckte unbehaglich. Ihm war jetzt nicht mehr übel, aber er hatte Angst, und wenn Narvidur darauf geachtet hätte, dann wäre ihm sein etwas bleicher Gesichtsausdruck aufgefallen. Aber er achtete nicht darauf, und es war unwahrscheinlich, dass Nils´ Befinden seine Absicht beeinflusst hätte. Nils folgte Narvidur dicht auf und was blieb ihm auch anderes übrig. Nicht zum letzten Mal fragte er sich, in was für eine irrsinnige Geschichte er geraten war.
Narvidur sammelte zwei erloschene Fackeln vom Boden auf.
„Wofür –?“, begann Nils.
„Später. Los jetzt.“
Schon bald hörten sie, dass die Kämpfe im oberen Teil der Burg noch nicht beendet waren. Zwar spärlich, aber doch deutlich drang Waffenlärm an ihre Ohren. Sie mussten drei Treppen emporsteigen und an der oberen Schwelle der Letzten blickte Narvidur vorsichtig um die Maueröffnung herum. Nils drückte sich hinter ihm eng an die Wand. Prüfend beobachtete er den Flur hinter ihnen, aber er blieb leer.
„Komm!“, flüsterte Narvidur und unterstrich den Befehl mit einer Handgeste.
Der Raum, in den sie dann kamen, er glich mehr einer Halle mit tragenden Säulen in der Mitte, war verlassen. Auch hier war gekämpft worden, aber weniger heftig als unten im Keller. Neben einer Säule fanden sie die Leichen von zwei erschlagenen Kriegern und hier und dort Blutlachen. Schnell durchquerten die beiden »Ausbrecher« den Raum.
Es schloss sich ein Flur an. Und wieder lagen ein paar Tote herum. Nils hoffte schon, auch diesen Teil der Burg heil hinter sich bringen zu können, als vor ihnen ein Kämpfer der Steppenkrieger aus einem kleinen Nebenraum heraussprang. Er sagte nichts, sondern griff sofort an.
Nils hatte Glück, dass Narvidur vor ihm ging und den Angriff abfing, denn obwohl er bewaffnet war, hätte er kaum gewusst, was er mit dem Schwert anfangen sollte. Nils trat ohne zu überlegen ein paar Schritte zurück. Vielleicht kam ihm unbewusst der Gedanke, den Rûngori eher zu behindern, als ihm wirklich helfen zu können. Wahrscheinlicher aber war, dass er einfach nur Angst hatte.
Doch das Schicksal nahm keine Rücksicht auf Nils. Dieses war der erste Tag seiner Bewährung in der fremden Welt und so hielt er auch für ihn einen Gegner bereit. Nils erkannte in seinen Augenwinkeln, dass sich ihnen von hinten ein weiterer Kämpfer näherte und er nicht so aussah, als käme er in Frieden. Es war eine Lage, in der Nils nur überleben konnte, wenn sein Verstand aussetzte. Und das tat er in diesem Augenblick.
Ohne zu überlegen, ahmte er nach, was er vorher bei Narvidur gesehen hatte. Er hob sein Schwert und es gelang ihm irgendwie, den ersten Angriff des Gegners abzuwehren. Es war für ihn ein glücklicher Umstand, dass der Steppenkrieger nur mit einem Schwert und nicht mit einem Speer angriff. Denn dann wäre Nils vermutlich nicht nahe genug herangekommen, um dem Angriff wirksam zu widerstehen.
Nils parierte noch ein oder zwei weitere Attacken und brachte es sogar fertig, einen zaghaften Gegenangriff zu führen, doch dann schlug sein Gegner ihm das Schwert aus der Hand. Nils stieß einen Schrei aus, nicht vor Schmerz, er war nicht verwundet worden, aber vor Schreck. Er dachte immer noch nicht, sondern wartete nur wie gelähmt auf sein Ende.
Eine kräftige Hand riss ihn aus der Gefahr. Narvidur war zur Stelle. Der Rûngori-Krieger zögerte kurz, griff dann aber unvermittelt wieder an. Doch dieses Mal stand ihm ein erfahrener und furchtloser Kämpfer gegenüber und er kam nicht einmal zu einem gezielten Treffer, ehe ein kraftvoller Stich in seinen Hals seiner Kampfeswut ein Ende setzte. Ein hässliches Gurgeln beendete sein Dasein.
Narvidur sah sich um. Der Flur war leer. Am Boden saß Nils. Er zitterte und starrte vor sich hin. Er spürte kaum, wie Narvidur ihm eine Hand auf die Schulter legte.
„Es ist vorbei, jedenfalls für dieses Mal. Steh auf, wir sind noch nicht in Sicherheit.“
Nils löste sich aus seiner Starre und begann zu schluchzen.
„Ich – er – noch nie“, stammelte er, aber seine Worte ergaben keinen Sinn. „Ich will nicht mehr.“
Narvidur rollte mit den Augen. Sollten wir uns geirrt haben, dachte er. Er brachte Nils das Schwert zurück und hielt es ihm hin.
„Ich glaube dir und verstehe dich auch, trotzdem müssen wir hier heraus, oder nicht? Nimm also das Schwert. Ich fürchte, das kann ich dir nicht ersparen. Und wisch dir die Tränen aus den Augen, sonst siehst du nichts.“
Nils leistete keinen Widerstand. Er stand auf, schluchzte und schniefte, aber er griff nach dem Heft. Narvidur sah in lächelnd an und schlug ihm