Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Reise nach Rûngnár - Hans Nordländer

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sie befürchtet hatten. Plötzlich bewegte sich der Türgriff und als sich die Tür nicht öffnen ließ, klopften die Krieger unüberhörbar dagegen und forderten sie laut auf, sie zu entriegeln. Es verwundert nicht, dass Nils und Narvidur nicht geneigt waren, ihrem Wunsch nachzukommen. Nach einer kurzen Ruhe, in der die Bergkrieger schweres Werkzeug besorgten, begannen die Krieger, die Tür einzuschlagen.

      Davon hörten die beiden Flüchtigen schon nichts mehr. Narvidur hatte einen geschickten Plan in die Tat umgesetzt.

      In einer Ecke der Küche befand sich ein Brunnen, aus dem Wasser geschöpft werden konnte. Es war vielleicht ein etwas ungewöhnlicher Ort für eine solche Einrichtung, aber zweifellos ein zweckmäßiger. Und dieser Brunnen war groß genug, um Menschen und Rûngori aufzunehmen.

      „Dort hinein!“, befahl Narvidur nach den ersten Klopfgeräuschen.

      „In den Brunnen?“

      „Los jetzt. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

      Widerwillig und ein wenig unbeholfen tat Nils, was Narvidur von ihm verlangt hatte. Er schob den zweiteiligen Deckel zu Seite und ließ sich an dem Seil, an dem der Schöpfeimer hing, hinab. Währenddessen warf Narvidur ein paar Töpfe und Teller laut und vernehmlich durcheinander, öffnete ein Küchenfenster und folgte Nils dann. Ehe er im Brunnenschacht verschwand, schob er die beiden Deckelhälften wieder ordentlich darüber zusammen. Dann ließ auch er sich hinab.

      Nils fürchtete, dass Narvidur in dieser Falle ausharren wollte, bis die Bergkrieger wieder aus der Küche verschwunden waren und fand diesen Plan nicht sehr überlegt. Er hoffte inbrünstig, dass sie nicht auf den Gedanken kamen, den Brunnen genauer zu untersuchen. Aber er stellte fest, dass es in der Tiefe nicht so dunkel war, wie er erwartet hatte. Von irgendwoher kam Licht.

      „Au!“, hörte Narvidur plötzlich, der sich noch ein kleines Stück über Nils befand.

      „Leise, verdammt!“, fluchte er verhalten. „Was ist?“

      „Ich habe mir mit meinem Schwert ins Bein gestochen.“

      „Tölpel. Ist es schlimm?“

      „Ich glaube nicht. Der Schreck war größer als der Schmerz.“

      „Gut. Hier wäre ein schlechter Ort, eine weitere Wunde zu versorgen.“

      Narvidur hatte Nils keine Schwerttasche gegeben und so hatte er die Waffe in seinen Gürtel geschoben, bevor er in den Brunnen eingestiegen war. Als er dann schließlich den Grund erreichte und mit den Beinen einknickte, stach sie zu. Allerdings hatte sie kaum sein Hosenbein beschädigt.

      „Ein unterirdischer Fluss“, stellte Nils fest. „Das ist genial.“

      „Was hast du gedacht? Dass ich mich in einem dunklen Loch verstecken wollte? Dann wäre ich mit dir nicht in die Küche geflohen. Also los, weiter. In die Richtung. Aber sei am Ende vorsichtig. Auch dort können Krieger sein. Stürz nicht gleich ins Freie.“

      Nils watete los. Es dauerte nicht lange, bis er die Quelle des Lichtes sehen konnte. Hinter einer langgezogenen Krümmung des Flussbettes kam der Ausgang des Tunnels in Sicht, nicht mehr weit entfernt. Das Wasser ging Nils bis zur Hüfte und war ziemlich kalt. Aber das war ihm allemal lieber, als kämpfen zu müssen.

      Als die Bergkrieger endlich die Küchentür einstießen, waren Narvidur und Nils schon nahe des Ausgangs des unterirdischen Flusses. Den Kriegern war sofort klar, dass diejenigen, die sich in der Burgküche versteckt gehalten hatten, durch das offenstehende Fenster geflohen waren. In ihrer Eile hatten sie noch einiges von dem Geschirr umgestoßen, das war draußen auf dem Flur zu hören gewesen. Sofort lief einer los, um die Wachen auf dem Hof zu alarmieren. Die anderen schauten sich hungrig um, aber außer einem abgenagten Bratenknochen und etwas rohes Gemüse fanden sie nichts auf die Schnelle Essbares mehr. Miesmutig verließen sie die Küche.

      „Mist, wie ich es mir dachte“, sagte Narvidur. „Dann müssen wir bis zur Dunkelheit warten. Aber lange wird das nicht mehr dauern.“

      Der Weg bis zum Ende des Tunnels war ihnen leichtgefallen. Die Strömung unterstützte ihre Schritte und der felsige Untergrund gab ihnen festen Halt. Unglücklicherweise verlief der Fluss, nachdem er seinen unterirdischen Lauf verlassen hatte, etwa fünfzig Meter durch eine Wiese, bevor er in einem dichten Wald verschwand. Und, noch unglücklicher, auf dieser Wiese lagerte das Heer der Bergkrieger. Fast ständig befand sich wenigstens einer von ihnen am Ufer und da das Wasser flach und klar war, hatten Narvidur und Nils nicht einmal tauchend eine Aussicht, unentdeckt den Wald zu erreichen.

      Waren sie erst einmal dort, dann befanden sie sich in Sicherheit. Narvidur kannte einige Schleichwege abseits der Straße, die die Bergkrieger nur durch einen Zufall finden konnten. Und selbst, wenn das bereits geschehen war, hatten sie sicher keine Wachen dafür abgestellt, wusste Narvidur, denn die Pfade waren kaum mehr als Wildwechsel und ein regelmäßiger Gebrauch war ihnen nicht anzusehen.

      Also mussten die beiden auf die Dunkelheit warten. Dem Rûngori schien das nichts auszumachen, aber Nils fing bald an zu frieren.

      Der Fluss lief nicht immer durch dieses Flussbett. Vor dem Bau der Burg war er umgelenkt und die Festung dann darüber errichtet worden. Er diente nicht nur der Wasserversorgung. Nils hatte den zweiten Schacht, ein kurzes Stück mit der Strömung, wohl gesehen, hielt ihn aber für einen weiteren Trinkwasserbrunnen. In Wirklichkeit diente er aber der Beseitigung von Abfällen. Er endete in einem Nachbarraum der Küche. Nils und Narvidur hatten Glück. Aufgrund der besonderen Umstände in der Burg wurden an diesem Tag keine Abfälle auf diesem Weg entsorgt. Trotzdem hatte Nils ein ungutes Gefühl, nachdem Narvidur ihm von den Aufgaben des Flusses erzählt hatte, und immer wieder blickte er in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nils erfüllte der beunruhigende Gedanke, dass vielleicht die eine oder andere Leiche eines Burgbewohners auf diese Weise hinausbefördert werden würde. Aber dieser Anblick blieb ihnen erspart. Solange sie an der Mündung des Flusses warteten, kam kein Toter vorbeigetrieben.

      Das Heer der Bergkrieger zog an diesem Tag nicht mehr ab. Sie hatten die Stadt und die Festung zwar erobert, aber sie waren noch nicht fertig mit der Plünderung. Es gab keine Steppenkrieger mehr und auch keine ihrer Familien. Die, die nicht umgekommen waren, hatten sich außerhalb der Stadt in Sicherheit gebracht. Und das war die Mehrzahl, denn die Flucht begann bereits, als sich die Nachricht herumsprach, dass sich ein Heer der Bergkrieger näherte. Die Steppenkrieger konnten sie nicht verhindern. Anscheinend hatten die Einwohner der Stadt nur wenig Vertrauen in die Verteidigungsfähigkeit ihrer eigenen Krieger, und der Ausgang der Kämpfe bewies, wie Recht sie damit hatten. Es war ein altbekanntes, wenn auch sehr blutiges Spiel, denn die gegenseitigen Überfälle waren schon lange Teil der Geschichte des Fehenlandes, in dem das Rûngori-Volk lebte.

      Nils wunderte sich, dass die Krieger auf der Wiese nicht in die Stadt gingen. Dort gab es sicher bessere und bequemere Unterkünfte als ihre Zelte, aber offensichtlich schienen sie diese Art der Behausung vorzuziehen. Da Nils und Narvidur aber Stillschweigen bis zum Abend vereinbart hatten, konnte er den Rûngori nicht fragen. Und auch das wunderte Nils, denn es war unwahrscheinlich, dass jemand ihr Flüstern gehört hätte, neben all den anderen Geräuschen, denn in dem Kriegslager herrschte ein beachtlicher Lärm. Besonders, seit die Rûngori angefangen hatten, mit erbeutetem Wein ihren Sieg zu feiern, wurde die Stimmung zusehends ausgelassener. Nils konnte nicht ahnen, dass der Schweigebefehl eine Prüfung seiner Disziplin war. Andererseits setzte sich der Schall in dem Tunnel erstaunlich deutlich fort, und vielleicht wären ihre beiden Stimmen tatsächlich in der Burgküche zu hören gewesen.

      In der Dämmerung wurden die Feldfeuer entzündet. Glücklicherweise befand sich keines unmittelbar am Ufer

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