Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler

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Er ließ es aber erst einmal darauf ankommen, denn so wie er sich jetzt eingerichtet hatte, versprach sein Bett doch etwas mehr Komfort. Und letztendlich musste er an diesem Platz nicht nur schlafen, sondern in den nächsten Tagen auch logieren.

      Der junge Mann gegenüber langweilte sich mächtig und wartete buchstäblich auf ein Gespräch mit dem Neuankömmling. »Isch bien Jagob Jung.« Sein Sächsisch war unüberhörbar. »Herr Nachbar, wie isch vernähme, sinn se nich fonn Vrangkreisch?« Er merkte, dass Cornelius Schwierigkeiten mit seiner Aussprache hatte und wechselt schnell in ein erträgliches Umgangsdeutsch, zu sehr war ihm offensichtlich an einer Unterhaltung gelegen.

      »Weißt du, ich komme von Leipzig und ich bin Gärtner, meine Schwester ist im hinteren Teil des Schiffes bei den unverheirateten Fräuleins und wir sind auf dem Weg nach Amerika.« Jakob hatte eine sonore Stimme, die irgendwie zufrieden, ja beinahe etwas hochnäsig klang. Cornelius war sich nicht sicher, wovon das herrühren konnte, vielleicht dass er von Leipzig kam, Gärtner war oder eine Schwester hatte, die mit ihm reiste? Wohin würden sie denn sonst wohl reisen, als nach Amerika, dafür hatten sie ja alle gebucht. Und dass Fräuleins unverheiratet waren, das war wohl auch klar. Auf jeden Fall hatte er ihn mit du angesprochen, vermutlich weil sie so etwa gleich alt waren. Jakob hatte wirre blonde Haare, wirkte nach den ersten Tagen auf See seit der Abfahrt von Hamburg ungewaschen und seine Wangen zierte bereits ein Stoppelbart.

      »Jakob, angenehm deine Bekanntschaft zu machen, du kannst mich Cornelius nennen. Du hast Recht, ich bin auch Deutscher, habe aber die letzten Monate hier in Frankreich gearbeitet.« Viel mehr wollte er in diesem Moment nicht von sich geben.

      »Dann willst du also auch nach Amerika?«

      Am liebsten hätte Cornelius geantwortet: „Ja wohin denn sonst, du Trottel, wenn sich der Kapitän nicht verirren sollte oder wir sonst wie untergehen, dann werden wir wohl alle mit diesem Schiff dort landen.“ Aber er verschluckte lieber diese bissige Bemerkung, letztendlich lagen Tage gemeinsamer Reise auf engstem Raum vor ihnen. stattdessen erwiderte er: »Wenn wir nicht untergehen oder sich der Kapitän verirrt, dann werden wir wohl gemeinsam dort ankommen.« Das war auch nicht wirklich freundlich, aber er war gerade jetzt nicht in Laune eine große Unterhaltung zu beginnen oder über sich zu erzählen, worauf sein Gegenüber offensichtlich gewartet hatte. stattdessen schwang sich Cornelius in seine, wie er sich einbildete, gemütliche Koje und vergrub sich in seine Matratzenbadewanne. Er tauchte einfach unter. Müde wie er von der Bahnfahrt war und dem frühen Aufstehen, der Anspannung und letztendlich dem Quartiernehmen, schlief er tatsächlich ein und wachte erst wieder durch das fortwährende Beben und Stampfen der Maschinen auf, das durch das ganze Schiff lief, wahrscheinlich am stärksten bei ihnen in der Enge des Zwischendecks wahrnehmbar. Er zog seine Taschenuhr aus der Westentasche, sein bestes Stück, das er schon als Zehnjähriger zur Kommunion von Großvater bekommen hatte. Damals lebte Papa noch nicht im Zank mit seinem Vater. Das entwickelte sich erst über die Jahre, je größer die Familie wurde. Laut seiner Uhr lagen drei Stunden tiefen Schlafs hinter ihm. Tageslicht gab es ja in dem Raum nicht, somit war wenigstens die Uhr ein guter Zeitmesser. Das Deckenlicht brannte immer noch und die grellen Birnen blendeten ein wenig, sobald er die Augen aufgemacht hatte. Vorsichtig über seine Matratzenkante lugend, sah er Jakob immer noch in seiner Koje sitzen. Er hatte seine Socken ausgezogen und diese fein ordentlich am Kopfende über die Bettlade gehängt. Die Kojen stießen nicht direkt aneinander, so dass ein kleiner Zwischenraum blieb, gerade Platz genug für seine Strümpfe. Jakob hatte seine Füße auf die Bettkante gestemmt und bearbeitete mit den Fingern eingehend jeden Zwischenraum seiner Zehen. Cornelius konnte seine Augen nicht von diesen Füßen wenden. So große, lange, knochige Zehen hatte er noch nie gesehen. Er schätzte, die nahmen mindestens ein Drittel von Jakobs Füßen ein. Lange Glieder, getrennt durch herausstehende Knöchel, am Ende mit langen, braunen Zehennägeln. So intensiv, wie Jakob zwischen seinen Zehen herumfummelte, mochte man meinen, er würde immer noch Gärtnererde dort finden und herausgraben.

      Cornelius krabbelte zum Fußende seines Bettes, wühlte in seinem Seesack und fand die Äpfel und das Brot, von dem er ein Stück herunter brach und sich daran machte sein Abendbrot zu essen. Er bemerkte Jakobs hungrige Augen und konnte nicht anders, als ihm einen seiner kostbaren Äpfel über den Gang hinüber zu reichen. Jakobs Hand war schneller ausgestreckt, als Cornelius den Apfel loslassen konnte. Es fielen keine Worte, aber Jakobs Blick hatte so viel zu sagen, bot Freundschaft an, viel, viel mehr als nur Dankbarkeit.

      In diesem Moment ging das Licht aus, wie zur selben Zeit auch an den nächsten Abenden auf dieser Reise. Das letzte Mal, als Cornelius auf seine Taschenuhr sah, war es neun Uhr. Pünktlich um sechs am nächsten Morgen wurde das elektrische Licht automatisch wieder angeknipst. Ohne Sonnenlicht, verriet dieser Rhythmus den Tagesablauf. Er hörte Jakob an diesem ersten Abend in der Dunkelheit herzhaft in den Apfel beißen. Auch er hatte Muße in Ruhe den Rest seines Apfels und die Brotkante zu genießen. Er war mit sich und der Welt zufrieden. Leise wünschte er Jakob einen guten Schlaf, was der in seiner angenehm dunklen Stimme erwiderte. Die Nacht verging sehr ruhig, es war erstaunlich friedlich, das Schnarchen blieb in Grenzen, wahrscheinlich, weil für alle im Zwischendeck der Alkohol verboten war. Ab und zu schlurfte jemand durch den engen Korridor, tastete sich an den Betten entlang, um den Abtritt zu finden. Cornelius kümmerte es nicht, wie viele Kojen belegt, noch wer die Insassen waren. Die Raumtemperatur und der Mief bleiben erträglich, trotz der vielen Insassen und geschlossenen Türen. Die großen Ventilatoren verfehlten nicht ihre Wirkung und ergossen viel Frischluft.

      Sobald das Licht am nächsten Tag aufleuchtete, begann das Leben wie in einem Hühnerstall. Cornelius schlief wie alle in seinen Kleidern, manche sogar mit Mantel und Hut oder Kappe auf dem Kopf. Die Cleveren liefen schnell zur Toilette und zum Waschplatz. Für die vielen Leute gab es nur wenige Fazilitäten und bald begann ein Meutern unter den Wartenden. Zum Glück hatte es Cornelius nicht eilig. Stattdessen machte er sich mit seinem Blechnapf und Teesäckchen auf die Suche nach der Kombüse. Er fand sie mittschiffs zwischen dem Quartier für die Familien und seiner Behausung. Dort gab es auch einen winzigen Essraum mit ein paar grob gezimmerten Tischen und Bänken. Alles sah sehr provisorisch aus, die Einrichtung hier, wie auch die Bettgestelle. Er konnte sich denken, dass es auf der Rückfahrt von Amerika keine Auswanderer mehr gab, ein Grund, das ganze Mobiliar abzuschlagen, um Raum für Cargo zu schaffen.

      Zu seinem Entsetzen herrschte ein riesiger Andrang, ein echtes Tohuwabohu in der Küche. Körper an Körper standen Frauen mit Kochgeschirr in Händen. In einem Herd loderte bereits ein Feuer, das jemand entfacht hatte und um den sich jetzt die Weibsleute schubsten und mit den Ellbogen versuchten ihre Pfanne oder den Topf auf die heiße Platte zu stellen, obwohl überhaupt kein Fleckchen mehr frei war. Ein Mann war bemüht sich mit einem Korb voller Holzscheide einen Weg zum Herd zu bahnen. Nach einigem Zögern und sein Unterfangen erkennend, wurde er durchgelassen. Er war keine Konkurrenz an der Herdplatte. Cornelius sah die Gelegenheit, dicht hinter den Mann gedrängt, sich mit nach vorne zum Wasserkessel zu schieben. Er kümmerte sich nicht um das Gemaule, goss sich schnell sein Gefäß mit heißem Wasser voll, verbrannte sich beinahe die Hände, umschloss mit seinem Taschentuch den heißen Becher und versuchte so schnell wie möglich den lauten Raum wieder zu verlassen. Wenigstens hatte er jetzt seinen heißen Tee. Für das spätere Nachfüllen plante er ab und zu in der Küche nachzusehen, ob vielleicht irgendwann zwischen den Mahlzeiten weniger Betriebsamkeit herrschte, auch um seine Pellkartoffeln zu kochen. Er konnte sie ja später kalt essen. Auf dem Weg zurück erhaschte er noch einen schnellen Blick in den Gemeinschaftsraum der Familien. Er war schockiert. Die Kojen waren zwar etwas größer als die seine, aber offensichtlich für eine ganze Familie bestimmt. In einer balgten vier Halbwüchsige, die gute Gelegenheit wahrnehmend, dass gerade einmal die Eltern nicht da waren. Überall krochen die kleinen Kinder herum und schrien. Bis auf den Gang hinaus roch der Unrat. Da war ihre Junggesellenkammer ja noch die reinste Superabsteige.

      Irgendwann am Tag tauchte der Quartiermeister auf. Er baute sich, mit den Armen in die Hüften gestützt, wichtigtuerisch im Mittelgang auf und verkündete mit lauter, alles übertönender Stimme: »Männer, alle mal herhören, ich sag’s nur einmal. Also, in diesem Raum keinen Alkohol, keinen Tabak,

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