DÄMONEN DER STEPPE. Michael Stuhr

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу DÄMONEN DER STEPPE - Michael Stuhr страница 12

Автор:
Серия:
Издательство:
DÄMONEN DER STEPPE - Michael Stuhr

Скачать книгу

viel aufgeben müssen, und plötzlich wurde es ihr klar, dass sie noch viel mehr verlieren würde. Die Stadt, mit allem was dazu gehörte, würde es in wenigen Jahren nicht mehr für sie geben. Sie würde mit dem Clan in die Steppe ziehen müssen, einem ungewissen Schicksal entgegen. Ysell spürte, wie Angst sich in ihr regte. Niemand, der auch nur halbwegs bei Verstand war, ging freiwillig in die Steppe, und sie war gerade dabei, ihr ganzes Leben zu verschenken.

      Der Regen prasselte mit unverminderter Heftigkeit auf das Dach, und unter den Bodenbrettern gluckste ab und zu das Wasser. Ysell saß im letzten Licht des Tages auf dem Bett in ihrer Kammer und war in der Sortierarbeit erstarrt. Gedankenverloren saß sie da. Ihre Phantasie machte die Stadt noch schöner als sie in Wirklichkeit je gewesen war, und mit jedem Bild ihrer Erinnerung war ein einziger Name verknüpft: Sabé! - Es wurde nun langsam wirklich Zeit, ihn einmal zu besuchen, fand Ysell.

      Läufer lernte rasch und wurde immer selbständiger. Immer seltener versuchte er sich bettelnd und fiepend bei Féira einzuschmeicheln, so dass sie sich niederlegte und ihn trinken ließ. Dafür wurde er um so rabiater, wenn die Schüssel mit dem Hackfleisch kam, und bald schon reichte nur ein Napf für die sechs Welpen nicht mehr aus. Langsam begann die Welpenpflege richtig Arbeit zu machen. Näpfe mussten geschleppt und gesäubert werden, das Wurmmittel war zu verabreichen, frisches Stroh musste aufgeschüttet werden, und die Welpen mussten lernen, ihre Notdurft nicht mehr im Schuppen zu verrichten. Ysell war von den anderen Arbeiten weitgehend freigestellt, und wenn sie ein Problem mit den Tieren hatte, dann fand sich beim Essen immer jemand, mit dem sie es besprechen konnte. Ab und an kam auch Bogan zu ihr in den Schuppen, aber das war selten. Mittlerweile hatte der Alte die Überzeugung gewonnen, dass Ysell in der Lage war, selbständig zu handeln und nicht mehr der dauernden Aufsicht bedurfte.

      Immer häufiger kamen hingegen die Aufspürer, die einen von Féiras Welpen in ihr Rudel aufnehmen sollten. Sie nahmen erste Kontakte zu ihren Tieren auf und gingen mit ihnen auch schon mal vor den Schuppen, damit die anderen Hunde sie kennen lernten. Nur Läufer bekam keinen Besuch, denn er sollte ja bald Ysells Hund werden.

      Es war ein ständiges Kommen und Gehen und Ysell hatte von morgens bis abends alle Hände voll zu tun. Fast einen Mond lang hatte sie nun schon keinen Fuß mehr vor das Tor des Zwingers gesetzt, dabei war sie ja keineswegs hier gefangen. - Alle guten Vorsätze halfen nichts. Sie kam einfach nicht mehr dazu, in die Stadt zu gehen. Ihr altes Leben begann zu verblassen. Es schien ihr fast, als habe jemand anderes es gelebt, und sie habe nur davon erzählen hören.

      Ysells Liebling war und blieb Läufer. Nahezu täglich gewann der Welpe neue Fähigkeiten hinzu, denn mittlerweile war aus dem tolpatschigen Spiel der kleinen Hunde ein Wettstreit geworden. Es wurde um alles gezankt, was man sich denken konnte. Ob es um das größte Stück Fleisch, ein Büschel Stroh oder die Hoheit über den Wassernapf ging, nie konnten die Welpen sich friedlich einigen und keiner konnte seine Eroberungen ungestört genießen. An jedem alten Lappen zerrten mindestens drei Welpen und ein Liegeplatz an Ysells Seite musste in erbitterten Kämpfen errungen werden. Ysell machte sich Sorgen, dass einer ihrer Schützlinge bei so einer Rangelei verletzt werden könne. Ganz im Gegensatz zu Féira, die sich das Treiben ihrer Sprösslinge ungerührt ansah, war Ysell ständig auf der Hut, denn die Kleinen gingen mit ihren spitzen Milchzähnen aufeinander los und kniffen sich in Ohren, Nasen, Pfoten und Schwänze. So kam zu dem Geknurre, Gekläffe und Gefiepe auch immer wieder die Stimme Ysells, die die kleinen Racker auseinander bringen wollte, und für eine Zeit lang war es recht laut in dem Schuppen am Rande des Zwingers.

      Läufer tat sich bei all diesen Spielen besonders hervor. Wo immer eine Balgerei im Gange war, da war er nicht weit, und immer häufiger setzte er sich gegen seine Geschwister durch. Ysell schimpfte zwar manchmal mit ihm, wenn er es allzu toll trieb, aber insgeheim war sie doch stolz darauf, dass Läufer - ihr Läufer - der Gewitzteste und Stärkste von allen war.

      Da Läufer aber nicht nur Ysells Geschimpfe hörte, sondern auch genau wusste, was sie fühlte, machte er sich nicht allzu viel aus ihren Zurechtweisungen. Nur wenn er spürte, dass er drauf und dran war, sie wirklich böse zu machen, kam er schnell zu ihr und bat demütig um Verzeihung - um gleich darauf mit dem nächsten Blödsinn zu beginnen.

      Féira hatte sich mittlerweile fast ganz von den Welpen zurückgezogen und griff nur noch selten in Ysells Erziehungsmaßnahmen ein. Der Aufspürer, dem Féira zugeteilt war, holte sie immer häufiger tagsüber ab, um sie wieder in sein Rudel einzugliedern. Ysell staunte, wie der Mann und Féira miteinander umgingen. Die Hündin reagierte auf ihn nicht mit dem Gefühlsüberschwang, den einsame Hunde ihrem Herrn gegenüber so oft an den Tag legen, sondern sie begrüßte ihn, wie Ysell ihre Arbeitskameraden begrüßte: freundlich, sachlich und sofort, ohne Umschweife, mit der Arbeit beginnend. In Féiras Fall bedeutete das, dass sie aufstand, den Aufspürer kurz mit der Nase anstupste und an seiner Seite den Schuppen verließ.

      „Féira ist nicht einsam“, hatte der Aufspürer Ysell erklärt. „Sie spürt die Nähe der anderen Hunde, und auf ihre Art redet sie sicher auch mit ihnen. Während sie hier auf ihrem Lager liegt, erlebt sie vielleicht mehr als du, wenn du den ganzen Tag in der Stadt herumläufst.“

      Ysell hatte da leichte Zweifel, außerdem fand sie den Mann nicht sehr sympathisch. Er redete ihr zu klug daher. Um des lieben Friedens willen fragte sie aber nur mit staunendem Gesichtsausdruck: „Wirklich?“

      „Wer weiß?“, meinte der Mann geheimnisvoll und freute sich, dass sein Wissen Ysell so beeindruckte. Dann ging er mit Féira hinaus, um mit ihr ein paar Übungen abzuhalten.

      Je selbständiger die Welpen wurden, desto weniger bedurften sie des schützenden Schuppens. Schon lange zogen sie sich an den Zaun des Zwingergeländes zurück, wenn sie ihre Notdurft zu verrichten hatten, und es wurde immer schwerer, die Bande in dem düsteren Verschlag zusammenzuhalten. Schließlich gab Ysell es auf, schüttete eine dicke Packung Stroh vor den Schuppen; das Hauptquartier ihrer Welpenschule war damit nach draußen verlegt. Nun begannen die Kleinen den Hof auf eigene Faust zu erforschen, krochen in Löcher, in denen sie stecken blieben, klemmten sich unter Holzstapeln ein und alle paar Augenblicke spähte einer von ihnen in die Tiefe des Brunnenschachtes und lief Gefahr, dort hineinzufallen. Die Welpen verbrannten sich die Nase an offenen Feuerstellen, gerieten mit den Pfoten unter sich öffnende Türen und waren ständig in Gefahr, totgetreten zu werden, weil sie immer gerade dann vor den Füßen der Menschen auftauchten, wenn diese nicht damit rechneten.

      Dann waren da auch noch der verführerische Duft der frischen Kothaufen und die Verlockungen des stinkenden Küchenabfalls, in dem man sich so herrlich wälzen konnte, und einmal erwischte Ysell drei ihrer Schützlinge, die sich knurrend und ruckweise zerrend in Bogans besten Umhang verbissen hatten, der auf einer Leine hing.

      Ysell war ein Nervenbündel. Den ganzen Tag lang rannte sie kreuz und quer über den Hof, um ihre Lieblinge vor dem Schlimmsten zu bewahren. Ständig musste sie ihre Augen überall haben, und jedes Mal, wenn einer der Aufspürer seinen Welpen für einige Zeit mit sich nahm, hätte sie ihm vor Dankbarkeit die Hände küssen können.

      Bald kam jetzt auch der Tag heran, an dem die Welpen endgültig ihren Aufspürern übergeben wurden. Läufer und die anderen hatten sich dank Ysells Pflege prächtig herausgemacht. Ihre Körper ließen nun schon die typisch breiten Schultern des Troßhundes erahnen und die Köpfe waren nicht mehr welpenhaft rund, sondern fingen jetzt langsam an, kantiger zu werden. Bogan selbst war voll des Lobes über Féira, die Welpen und natürlich über Ysell. Die guten Worte, die sie heute von allen Seiten zu hören bekam, machten sie so stolz, dass sie das Gefühl hatte, eine Handbreit gewachsen zu sein. Liebevoll nahm sie Abschied von den Tieren, denn sie würde jetzt nur noch Läufer bei sich behalten. Féira war schon am frühen Morgen von ihrem Aufspürer abgeholt worden und würde nicht mehr in den Schuppen zurückkehren. Ihr Platz war jetzt wieder bei ihrem Rudel und ihre Kinder interessierten sie kaum noch.

      Ysell war bei allem Stolz auf ihre Leistung

Скачать книгу