Das Quaken der Frösche. Erich Szelersky

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Das Quaken der Frösche - Erich Szelersky

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nicht ganz nutzlos zu sein, obwohl er seit seiner Pensionierung vor zwanzig Jahren nicht oft gedacht hatte, unnütz zu sein. Im Gegenteil, er hatte sich gefreut, als ihm von der Personalabteilung mitgeteilt wurde, dass er in den Sozialplan käme.

      Sein ganzes Leben war er auf der Hütte gewesen. Mit vierzehn hatte er die Volksschule verlassen und eine Lehrstelle als Maurer bekommen. Deutschland lag in Trümmern und musste neu aufgebaut werden. Aber es gab Arbeitskräftemangel. Viele Männer waren im Krieg gefallen oder waren noch in Kriegsgefangenschaft. Die Währungsreform brachte ersten Optimismus und die Hoffnung darauf, dass die Hungerjahre und die Zeit des Schwarzmarktes und Organisierens des nackten Überlebens zu Ende gehen würden. Die Jahre waren bestimmt vom wirtschaftlichen Aufschwung. Seine Mutter arbeitete in der Fabrik und beide hofften darauf, dass der Vater bald aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehren würde. Sie mussten lange warten. Zuerst erhielten sie einen Brief, dass er noch lebte. Sie schrieben zurück, ohne jemals erfahren zu haben, ob die Briefe seinen Vater erreicht hatten. Erst nach weiteren zwei Jahren kam die befreiende Nachricht. Vater war auf dem Weg nach Hause.

      Als sie ihn eines Tages vom Bahnhof abholten, war er Gerd völlig fremd. Er hatte sich in den sechs Jahren, die sie sich nicht mehr gesehen hatten, sehr verändert, war im Kriegsgefangenenlager gealtert. Seine Mutter hatte zwei Flaschen Bier am Kiosk gekauft und jeder hatte auf die glückliche Heimkehr ein Glas getrunken.

      Nach der Lehre arbeitete Matuschak noch ein paar Jahre auf dem Bau. Als er hörte, dass die Hütte Arbeiter suchte und besser zahlte, ging er zur Hütte. Da er Maurer gelernt hatte, wurde er im Stahlwerk eingesetzt und mauerte die Pfannen mit Schamottsteinen aus, damit der flüssige Stahl sich nicht durch die Stahlwand der Pfanne fressen konnte.

      In der Halle war es stickig, heiß und staubig. Die schwere Arbeit ging rund um die Uhr. Die Arbeiter arbeiteten in drei Schichten. Samstag, Sonntag, und an den Feiertagen wurde auch gearbeitet. Freie Tage waren nach einem ausgeklügelten Schichtplan verteilt und fielen nur alle paar Wochen einmal auf ein Wochenende.

      Ein monotoner Ablauf, der vor nichts Halt machte, nicht vor Wochenenden, nicht vor Familienfesten und auch nicht vor Feiertagen. Und wenn er einmal das Glück hatte, dass sein freier Tag auf einen Sonntag oder Feiertag fiel, versuchte er, trotzdem zu arbeiten. Panzerschicht nannte er das. Je nachdem, um welchen Feiertag es sich handelte, konnte man an einem solchen Tag bis zum Doppelten seines Lohnes verdienen. Das war für ihn sehr reizvoll, denn schließlich sparte er mit seiner Frau für ein Auto. Erst vor einem Jahr hatten sie sich den ersten Fernsehapparat gekauft. Es ging aufwärts. Sie waren zufrieden, auch wenn ihr Leben von dem erbarmungslosen Arbeitstakt der Hütte bestimmt wurde.

      Je älter er wurde, desto schwerer fiel ihm die Arbeit, und nach dem Unfall litt er ständig unter Schmerzen. Die Pensionierung kam ihm wie eine Erlösung vor.

      Für ihn kamen nun ein paar sehr schöne Jahre. Er lebte damals mit seiner Frau in einer Werkswohnung der Hütte. Sie war nicht sehr groß, nur sechzig Quadratmeter, aber für die beiden reichte es. Sie fuhren mit ihrem kleinen Auto an die Nordsee und in die Berge und einmal flogen sie sogar in die Türkei.

      Sie wollten sich gerne einmal die Stadt ansehen, aus der ihre türkischen Nachbarn stammten.

      Matuschak war in den sechziger Jahren Vorarbeiter einer Kolonne mit einigen türkischen Gastarbeitern, die man angeworben hatte, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen.

      Zwei von ihnen kamen aus Akcabaat am Schwarzen Meer, Öczan Yilmaz und Bülent Gökdal. Wenn man in den sechziger Jahren in Akcabaat lebte, arbeitete man entweder auf dem Bau oder in der Fischfabrik.

      Etwas anderes gab es nicht, und beides ernährte eine Familie nicht. So waren sie den Anwerbern, die ihnen guten Verdienst versprachen, nach Deutschland gefolgt.

      Anfangs wohnten die türkischen Männer in eigens für sie errichteten Wohnheimen oder in den billigsten Wohnungen, die sie mieten konnten. Später, als sie erkennen mussten, dass sie länger bleiben würden, als nur die paar Jahre, die sie für das Zusammensparen des Geldes für eine neue Existenz in der Türkei brauchten, zogen ihre Familien nach. Ihr Traum von der gesicherten Existenz in Anatolien war für die meisten zerplatzt. Für die in der Türkei Zurückgebliebenen waren sie durch ihre Zeit in Deutschland Fremde geworden und in ihrer neuen Heimat waren sie weiterhin Ausländer. In dieser Lebenslage zwischen Baum und Borke arrangierten sie sich so gut es ging mit den Verhältnissen. Manche lernten schnell die deutsche Sprache und erzogen ihre Kinder wie die Deutschen, andere lösten sich nicht von ihrer Tradition und versuchten, so viel wie möglich von ihr zu erhalten.

      Sie zogen mit ihren Familien in Wohnungen in der Hüttensiedlung. Viele Deutsche zogen daraufhin weg. Die Matuschaks waren geblieben. Sie kamen mit den beiden türkischen Familien in ihrem Haus gut zurecht. Sie sprachen miteinander und manchmal trafen sie sich sogar. Dann erzählten die Türken von ihrer Heimat am Schwarzen Meer.

      Irgendwann wollten Gerd und seine Frau einmal die fremde Stadt sehen, von der sie so viel gehört hatten und flogen für zwei Wochen dorthin. Das war die größte Reise in ihrem Leben gewesen. Es sollte nicht die letzte sein; das hatten sich die beiden fest vorgenommen, doch das Schicksal ließ keine weitere Reise mehr zu. Gerds Frau Helga erkrankte an Krebs. Anfangs hatten sie noch Hoffnung gehabt, die Chemotherapie könnte sie heilen, doch nach zwei Jahren voller Hoffen und Bangen wurde den beiden bewusst, dass ihr gemeinsames Leben bald ein Ende nehmen würde. Ihr Zustand wurde immer schlechter. Zuletzt lag sie nur noch im Bett und bekam von ihrem Hausarzt dreimal am Tag Tramal gespritzt. Kurz bevor sie starb wurden die Schmerzen so schlimm, dass sie sich schon eine Stunde vor der Zeit, zu der ihr Arzt kam, um ihr die Spritze zu geben, vor Schmerzen wandte, und trotz der antidepressiven und anxiolytischen Wirkung des Medikaments fiel sie immer wieder in einen Zustand tiefster Depressionen und Angstzustände. Gerd stand ihr bei, saß oft die ganze Nacht an ihrem Bett. Das langsame Dahinsiechen seiner Frau belastete ihn seelisch sehr stark, aber ins Krankenhaus brachte er sie nicht. Das konnte er nicht.

      Als sie dann für immer die Augen zumachte wusste er nicht, ob er ihren Tod als Erlösung betrachten sollte. Er sagte sich, dass sie nun keine Schmerzen mehr zu erleiden hätte und tröstete sich damit ein wenig über die Trauer hinweg.

      Seine Tochter Ingrid fing ihn auf. Sie wohnte mit ihrem Mann und ihrem Sohn in einem benachbarten Stadtteil in einem Reihenhaus. Gerd Matuschak zog zu ihnen. Er war sehr froh darüber, nicht allein in der Wohnung bleiben zu müssen, in der er mit seiner Frau so viele Jahre gelebt hatte und er dachte auch, dass die Kinder das Geld, das er ihnen jeden Monat für Kost und Logis gab, gut gebrauchen konnten, um das Haus abzuzahlen.

      6

      Gerhard Matuschak hatte Helga Reselski beim Tanzen kennengelernt.

      Der Tag, an dem sie sich zum ersten Mal begegneten, war eigentlich ein Samstagabend wie jeder, an dem Gerd nicht arbeiten musste. Gegen Abend war er in seine Stammkneipe gegangen. Dort traf er sich mit seinen Freunden, alles Jungs aus dem Viertel. Die meisten von ihnen arbeiteten auch auf der Hütte. Einige spielten ebenso wie Gerd in der Fußballmannschaft vom DFV 08.

      In der Gaststube roch es nach Bierdunst und dem kalten Qualm von Millionen Zigaretten, die hier im Laufe vieler Jahre in die Luft gepustet worden waren. Die jungen Männer spielten am Kickerautomat und tranken Bier.

      Aus einer Musikbox dröhnte Musik. Eine neue Zeit war angebrochen und der Rock‘n‘Roll drückte das Lebensgefühl der jungen Leute aus. Raus aus der miefigen Schnulzenumgebung ihrer Eltern.

      Der Wirt hatte sich rechtzeitig darauf eingestellt und im Keller der Wirtschaft ein Tanzlokal eingerichtet. Nach dem Namen der Wirtin nannten sie den Tanzschuppen Elisenburg. Anfangs kam die Musik nur aus Musikboxen, doch schon bald spielten Bands nach dem Vorbild von Bill Haley. Wenn die Musik von unten heraufdröhnte war das das Signal

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