Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band. Gerstäcker Friedrich
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Das geschah bald nach Sonnenaufgang und Henkel, der aber sehr ruhig über den Fall und fest überzeugt schien, daß es als ein leichtes Unwohlsein bald vorüber gehen würde, versicherte ihn er habe schon ihr Quartier und Alles in Ordnung gebracht, und gab ihm dabei zu verstehn daß ein sehr intimer Freund von ihm einer der ausgezeichnetsten Ärzte der Stadt sei, der, sollte das Unwohlsein wirklich bedeutendere Folgen haben, mit den klimatischen Verhältnissen hier bekannt, die Kranke bald wieder herstellen würde. Übrigens dankte er ihm für die seiner Frau geleisteten Dienste und schien einen Augenblick sogar unschlüssig ob er ihm ein Honorar dafür anbieten dürfe oder nicht; Donner jedoch, der etwas Ähnliches fürchten mochte, und zu stolz war seine Hülfe weiter aufzudrängen, schnitt die Unterredung kurz ab, und rüstete sich jetzt selber so rasch als möglich das Land betreten zu können.
An Bord herrschte indessen ein reges, geschäftiges Leben. Schon mit Tagesanbruch hatten die Seeleute den Anker gelichtet und zu gleicher Zeit mit dem Boot ein Tau nach dem nächst liegenden Schiff gebracht, wohin sie sich jetzt mit dem vorderen Gangspill bugsirten, und um acht Uhr etwa lag die Haidschnucke mit ausgeschobenen und wohl befestigten Planken, ihre Fracht und Passagiergüter bequem ausladen zu können, dicht an der Levée – ein Platz den ich dem Leser später näher beschreiben werde – und der Vorstadt von New-Orleans, dem zum großen Theil von Deutschen bewohnten Lafayette gerade gegenüber. Etwa zwanzig Schritt unterhalb, an derselben Stelle lief zu gleicher Zeit das Hamburger Schiff an, das mit ihnen zugleich, und von einem Dampfer geschleppt, aus dem Golf von Mexico heraufgekommen war. Welche Mühe hatten sich die Passagiere dabei vorher gegeben dieß Schiff zu betreten; wie hatten sie den Steuermann und Capitain gequält, und als es ihnen die nicht erlaubten, geflucht und geschimpft. Jetzt hätten sie es ungemein bequem haben können, ihre halben Reisegefährten zu besuchen – jetzt, wunderbarer Weise, dachte aber Niemand von ihnen mehr daran, auch nur mit einem Schritt hinüber und an Bord zu gehn, und Jeder drängte und trieb nur, hinauszukommen an Land, Amerika erst einmal unter den Füßen zu fühlen, und sich dem wohlthuenden Bewußtsein hingeben zu können endlich – endlich, nach allen ausgestandenen und erlittenen Drangsalen und Beschwerden das heiß ersehnte Ziel erreicht zu haben.
Ein Theil der Männer hatte sich übrigens schon mit Tagesanbruch, und zwar mit dem Boot welches das Tau an Bord des anderen Schiffes brachte, an's Ufer setzen lassen die dortigen Verhältnisse von einzelnen, gewiß anzutreffenden Landsleuten zu erfahren, und sich gleich zu erkundigen ob nicht irgendwo in der Nähe Arbeit zu bekommen wäre. Sie mußten doch erst einmal ein Unterkommen für die Familie und ihr Gepäck haben, wonach sie sich dann weiter und bequemer umschauen konnten. Unter ihnen waren die Oldenburger, (die besonders drängten und trieben, damit ihnen »die von dem Hamburger Schiff« nicht zuvorkämen) Steinert, Löwenhaupt, Rechheimer, Wald und Eltrich, der ebenfalls ein Quartier für seine kleine Familie zu suchen hatte, da er beabsichtigte New-Orleans zu seinem nächsten Wohnsitz und Aufenthalt zu wählen, und noch einige der Handwerker und Bauern an Bord. Sie wollten die Zeit benutzen, bis ihre Sachen gelandet werden konnten.
Es war noch die frühste Morgenstunde, nichts destoweniger schwärmte die Levée5 schon – da in dem warmen Klima fast alle Geschäfte Morgens beendet werden, von thätigen Leuten, die sich Alle in größter Eile durcheinander drängten, und die Neugekommenen kaum eines Blickes würdigten. Schwergepackte zweirädrige und eigenthümlich gebaute Karren, mit einem kräftigen Pferd bespannt, zogen in fast ununterbrochener Reihe den verschiedenen Schiffen zu oder in die Stadt hinein, und abgeladene trabten, mit dem Führer vorn darauf stehend, rasch wieder zurück, neue Fracht zu holen. Kleine einspännige Milchkarren, mit einer Masse blechener Kannen bepackt, rasselten über das Pflaster; wunderhübsche Mulatten, und Quadroonmädchen, schlank und voll gewachsen, mit elastischem Gang, ein buntfarbiges Tuch kokett um das dunkle Haar geschlagen, boten Blumen und Früchte aus; Männer und Knaben, mit Körben und kleine Glaskasten umgeschnallt in denen eine Masse verschiedener Kleinigkeiten zum Verkauf auslagen, standen an den Ecken oder wanderten an den Schiffen entlang, ihre Waaren mit ungemeiner Zungenfertigkeit und meist in einer schauerlichen Mischung von Englisch-Französisch und jüdischem Deutsch feil bietend.
Dann die Kaufläden, die wunderlichen großen Schilder mit den riesigen Buchstaben, die Heerden von Vieh, die sich, hier in der Vorstadt, mitten durch die Menschenschaaren drängten, oder gedrängt wurden, ihrem Bestimmungsort, dem Schlachtplatz zu, die Masse von Negern und Mulatten, Mestizen, Quadroonen, mit allen nur erdenklichen Schattirungen von Weiß und Gelb zu Schwarz und Braun, die eleganten Cabriolets neben den schmutzigen Marktwägen die Früchte und Gemüse aus dem Inneren zur Stadt bringen; es war ein Gewirr von Sachen daß die Einwanderer, von denen sich nur Eltrich getrennt hatte seine eigenen Geschäfte desto rascher besorgen zu können, nicht Augen genug zu sehen, nicht Ohren genug zu hören hatten, und im Anfang wirklich wie von einem wilden, hirnverdrehenden Traum befangen an der Levée hinauf, der eigentlichen Stadt zugingen, und herüber und hinüber gestoßen, denn sie schienen allen Menschen heute im Weg, endlich unfern von da stehen blieben wo eine Anzahl Männer und Frauen, neben aufschichteten Kisten und Koffern auf der Levée saßen und das Wogen und Drängen der Weltstadt still und die Hände in den Schooß gelegt, an sich vorüber strömen ließen.
»Das sind Deutsche!« rief Steinert, mit der Hand nach ihnen hinüber deutend – »die können uns auch vielleicht Auskunft geben wohin wir uns am Besten wenden, mitten in die Stadt zu kommen; wir wollen sie jedenfalls fragen.«
»Und wo wir hier Arbeit kriegen« sagte da ein Oldenburger, »Donnerwetter, seit wir hier auf dem Damm herum laufen ist mir ganz wunderlich zu Muthe geworden; ich glaubte erst wir würden den Fuß nicht an Land setzen können, ohne daß die Amerikaner auf uns zukämen, und uns frügen was wir den Tag oder Monat für Lohn haben wollten, und jetzt bekümmert sich keine Menschen-Seele um uns, und die Leute thun gerade so, als ob wir gar nicht in der Welt wären.«
»Guten Tag Landsleute« sagte Steinert als sie sich den Leuten näherten, und die Männer und Frauen drehten rasch den Kopf nach ihm um, und erwiederten den Gruß.
»Auch erst angekommen?« frug der eine Oldenburger den ihm nächst sitzenden, einen alten Mann mit braunledernen kurzen Hosen, baumwollenen langen Strümpfen, eine blaue Jacke mit bleiernen Knöpfen darauf, weiß und blaugesprenkelte Weste und eine Pelzmütze auf.
»Jes« sagte der Mann, »seit gestern Morgen.«
»Und spricht schon Englisch?« lachte Steinert.
»Jes a Bisle« sagte der Mann wieder, aber mit einem wehmüthigen Zug um den Mund, als ob es ihm leid thue.
»Und weshalb sitzt Ihr hier und verpaßt die schöne Zeit?« rief Steinert, »oder wartet Ihr auf ein Dampfboot, den Fluß hinauf zu gehen?«
»Wir sitzen hier, weil uns der Capitain nicht länger an Bord behalten und nicht wieder mitnehmen wollte« sagte der Mann finster.
»Wieder mitnehmen? – nach Deutschland?«
»Jes.«
»Aber um Gottes Willen weshalb?«
»Weil wir nicht gern gleich die erste Woche verhungern möchten in Amerika« sagte der Mann und die Frau die neben ihm saß preßte ihr Kind fester an sich und wandte den Kopf ab, daß die Fremden die Thränen nicht sehen sollten, die ihr in den Augen standen.
»Ist es so schlecht hier?« frug der andere Oldenburger rasch.
»Schlecht? –
5
Die Levée von New-Orleans ist von New-Orleans selber nicht zu trennen, denn sie macht den Hauptbestandtheil der Stadt aus und ist ihr einziger Schutz gegen den oft 12-15 Fuß höher steigenden Strom. Das ganze Ufer des Mississippi ist nämlich so niedrig, und war den jährlichen Überschwemmungen des gewaltigen Stromes so ausgesetzt, daß die Ansiedler, das werthvolle Land urbar zu erhalten, einen hohen Damm am ganzen Ufer des Stromes hin errichten mußten. Die Franzosen, unter deren Regierung dieser Damm besonders angelegt wurde, gaben ihm den Namen Levée, den die Amerikaner später adoptirten, und die Levée von New-Orleans, die jetzt an der ganzen Stadt über acht Engl. Meilen weit herunter läuft ist, mit einer durchschnittlichen Breite von 100 Fuß und 15 Fuß über niedriger Wasser-Höhe angelegt, ein eben so langer Landungs- und Stapelplatz der ungeheuren Waarenmassen, die dort täglich aus dem Inneren und für das Innere bestimmt, gelandet und geschifft werden, und läuft nach der Stadt zu in einem sanften Abhang nieder, während nach dem Strom hin, wo dieser selber eine nicht unbedeutende Strecke neuen Alluviallandes angespühlt hat, hie und da schon hölzerne Werfte errichtet werden mußten, die Waaren trocken und leicht landen zu können.