Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Sei nicht gleich bös, ich kann mich doch nicht so ausdrücken wie Du. Oh Du! Preßt sie wieder stürmisch. Und man erzählt sich, daß er weiß Gott wieviel Laster habe? Wie verbringt er seine Zeit?

      Alpha: Er ist doch Beamter.

      Freundin: Das ist seltsam.

      Alpha: Dummchen! Er ist ein mathematischer Beamter. Mathematiker für eine große Versicherungsgesellschaft. Da entwirft er, weißt Du, die Formeln, nach denen die Menschen sterben müssen, das heißt, wieviel sie zahlen müssen … so genau weiß selbst ich es nicht.

      Freundin: Das muß ja sehr schwer sein.

      Alpha: Natürlich ist es ungemein schwer. Er könnte sicher Professor sein, wenn er wollte.

      Freundin: Und trotzdem ist er immer nur Korrepetitor oder Versicherungsmathematiker oder Agent oder höchstens Aushilfslehrer gewesen? Das ist herrlich!

      Alpha: Er ist ein Mensch, den nichts zu binden vermag. So wie ich.

      Freundin: Natürlich laufen ihm die Weiber nach!? Sie sind ja schamlos!

      Alpha: Man sagt, er hat viel schlimmere Abenteuer.

      Freundin: Schmutzige Weibergeschichten?

      Alpha: Man sagt, noch viel schlimmer. Spiel, Händel, Kokain, polizeiliche Anstände, was weiß ich.

      Freundin an ihrem Hals: Du! Du! Weißt Du: warum muß er gerade Dir gehören! Jeder andren würde ich ihn einfach wegnehmen! Ich würde sie umbringen! Dringend. Und Du sagst bestimmt: er macht sich nicht viel aus der Liebe?

      Alpha: Mache ich mir etwas aus seiner Liebe? Weiber. Geschichten!

      Freundin: Ich mache mir auch nichts daraus. Ich liebe natürlich die Menschen. Aber es ist mein Unglück, daß es bei Männern schneller geht.

      Alpha: Er hat aber auch für Musik wirklich nichts übrig.

      Freundin: Die Kunst langweilt ihn überhaupt, hast Du gesagt? Recht hat er! – Du! Ich glaube, ich höre ihn im Vorzimmer!? Sie läuft weg, läßt aber Vinzenz noch eintreten. Ich gebe gar nicht so viel auf Musik, wie Du glaubst. Für einen wirklichen Mann ist sie ganz gewiß nichts und für uns arme Weiber auch nur etwas, weil es so wenig wirkliche Männer gibt! Ich könnte ja meiner Violine manchmal den Hals umdrehn! Küßt Alpha rasch und herausfordernd, dann, nicht ohne mit einem langen, begeisterten Blick Vinzenz zu streifen, ab.

      Alpha: Schade, daß ihr Atem so unangenehm riecht, wenn er heiß wird … Ich bin ja so glücklich, daß Du wieder da bist. Ich habe das alles ja so satt!

      Vinzenz sie betrachtend: Du hast Dich wenig verändert. Der Ausdruck ist heute etwas anders, aber der ist bei Dir ja künstlich. Mein Gott, was warst Du für ein Mädel. Was warst Du für ein Wunderding von Mädel! Wenn ich die Augen schließe, stehst Du auf der Dampferbrücke; der Wind rauft mit Deinen Röcken, die Beine strecken sich und halten den einen Arm hochgestemmt, der Arm hält das kleine weiße Taschentuch über sich, und oben hinaus lodert es wie eine luftfarbene Flamme. Unsre Zuversicht war es, die oben hinausloderte, unsre Liebe und unsre Träume. Du standest wie ein Berserker.

      Alpha: Und Du hättest nach drei Wochen zurückkommen sollen und bist fünfzehn Jahre lang nicht gekommen!

      Vinzenz: Ja, das ist es eben. Man kann es natürlich von zwei Seiten ansehn, von damals und heute. Damals hattest Du sehr große Ideen: Reichtum, Leidenschaft, Berühmtheit, das war eigentlich alles noch nichts! Und als Wirklichkeit hattest Du bloß mich. Du warst so unverdorben wie ein hungriger Magen und hattest einen herrlichen Lebensappetit. Ich aber auch. Also waren wir eigentlich gar nicht wie Mann und Frau, sondern wie zwei Mädchen, die sich nach dem gleichen Mann sehnen!

      Alpha: Aber ich hatte Dich lieb!

      Vinzenz: Ja, das ist es doch: ich hatte Dich auch lieb. Damals auf dem Dampfer, Du warst noch nicht verschwunden, standest noch steil und klein da, beschloß ich schon, unser Versprechen – wie soll ich sagen? – zu lösen. So lieb hatte ich Dich!

      Ich hatte Dich so lieb, daß jeder Strauch, jeder kleine bellende Hund gewissermaßen einen Du-Akzent davon hatte. Du kennst das, Du hattest mich ja auch so lieb. Man ist kein Körper mehr, sondern nur ein Wölkchen in einer klaren Durchlässigkeit, in der die andren Menschen und Dinge auch nur wie Wölkchen sind. Man versteht die Reden der Berge und Täler, des Wassers und der Bäume, weil man zueinander auch nicht mehr mit Worten spricht, sondern nur mit dem Glück des Daseins als zwei kleine nebeneinander geritzte Striche in der Unendlichkeit. Man kann schließlich kein Stücklein Brot mehr essen, sondern kaut daran wie eine Gebetsmühle.

      Ich war damals auf dem Höhepunkt dieses Glücks; damals, als ich abreiste. Da sagte ich mir plötzlich, daß Kathi – damals hast Du ja noch nicht Alpha geheißen – ich sagte mir also, daß man unmöglich Kathi oder Vinzenz heißen und sich dauernd in solchen Zuständen befinden könne.

      Alpha: – Kein Mensch weiß hier, wie ich hieß! Bitte vergiß nicht! –

      Vinzenz: Außer Halm, der sich gerade damals um Dich bewarb. Hatte ich nicht recht? Mag der Teufel wissen, was für Zustände es sind. Aber eines ist sicher: daß man sie in Stein festhalten kann, wie Bernini die vom Pfeil des Himmels getroffene heilige Therese, oder in Versen, aber nicht im Fleisch und Blut. Wo kommt dieses Unirdische hin? Da packte es mich plötzlich: wo das hinkommt, will ich auch hinschaun! Ich bin meiner Liebe nachgereist; im vorhinein sozusagen.

      Alpha: Du hättest den Glauben haben müssen. Sie zieht ihn neben sich.

      Vinzenz abrückend: Meine Mütze recht hoch in die Luft zu werfen? Vielleicht wäre sie dann bis in den Anziehungsbereich des Mondes gedrungen und nie mehr zurückgekommen, und ich hätte ihr nachfliegen müssen?

      Weißt Du auch, Alpha, wer das zum erstenmal sagte? Und erinnerst Du Dich, wann? Zwei Tage damals vor der Reise? Und erinnerst Du Dich, wer die Mütze nicht werfen wollte? Zu welchem Mond ist sie kurz danach geflogen? Wenn ich zurücksinne, ist mir, als ob Du damals schon zwischen mir und dem ehrbaren Himmelskörper des Herrn Apulejus-Halm geschwankt haben müßtest.

      Alpha faßt seine Hand: Du hast zuviel verlangt. – Für damals.

      Vinzenz sich wieder loslösend: Nein, Alpha, Du hast recht gehabt! Siehst Du, schließlich habe ja auch ich später ein oder das andre Mal die Mütze geworfen, und einige Wochen später klatschte eine flatternde Gans zur Erde.

      Mit diesen Sachen muß es schon eine schwer zu verstehende Bewandtnis haben. Und mit niemand vermöchte ich darüber zu sprechen als mit Dir. Wo immer ich später und bei wem immer ich war, hatte ich das Gefühl: darüber sprechen will ich erst mit Dir, die es weiß, wie wir damals waren. Es war mir auf der Wanderschaft: weil wir zugleich den Weg verloren hatten, könnten wir auch nur gemeinsam einen wiederfinden.

      Alpha: Aber heute? Du hast doch gesagt, daß man Deine Rückkehr auch von heute ansehn muß!

      Vinzenz lächelnd: Was habe ich gesagt? Heute? … Ach ja. Ganz recht … Sag einmal, Kathi – er nimmt ihre Hand-, solang man Mädchen ist, das muß doch – muß doch das Leben, und muß die Hoffnung so aufregend ungefähr sein, wie wenn man es hinter einem Fenster von Mattglas sähe? Heute verstehe ich es erst, denn später werden überall die Scheiben eingeschlagen. Scherben, leere Rahmen. Sie an sich ziehend. Ich habe es ja so

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