Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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selbst daran geglaubt, in diesen Augenblicken, und es ist klar, daß Du der Typus eines phantastischen Lügners bist!

      Vinzenz: Angenommen: Doch was heißt lügen? Von etwas Wünschenswertem behaupten, es ist der Fall, statt es sollte der Fall sein? Das ist das gleiche wie bei einem Moralstifter, bloß hat man eine noch festere Überzeugung. Und was vergrößert die Unsicherheit in der Welt mehr: wenn ich an zwei Tagen zwei verschiedene Dinge behaupte, oder wenn Deine sechs Freunde sechs verschiedene Weltanschauungen gleichzeitig haben?

      Alpha: Es heißt: Dinge einem einreden, die nicht zu den Tatsachen stimmen. Sie wirft sich enttäuscht und abgewendet auf die Ottomane.

      Vinzenz: Aber stimmt nicht alles zu den Tatsachen?

      Siehst Du, jetzt habe ich es: Ein phantastischer Lügner ist jener Lügner, dessen Lügen zu den Tatsachen stimmen!

      Die Tatsachen sind nämlich phantastisch. Wenn Du behauptest, daß sich die Sonne um die Erde dreht, hast Du nach den neuesten Forschungen nicht weniger recht, als wenn Du sagst, die Erde dreht sich um die Sonne. Mütter opfern sich für ihre Kinder, aber sie opfern auch ihre Kinder. Das Feuer frißt und das Feuer nährt. Der Mensch macht Ordnung, weil er Mist macht, und er macht Mist, weil er sonst kein Bedürfnis nach Ordnung hätte. Er ist abstinent und säuft. Bestraft den Dieb, aber auch den Armen.

      Alpha ärgerlich, verzweifelt: Hör auf! Fang nicht wieder mit Deinen Lügen an! Du hast gar keinen Ernst!

      Vinzenz Hände an den Schläfen: Das ist ein fürchterlicher Lärm. Ein Lärm und ein höllisches Durcheinandergepolter!

      Und in diesem Durcheinandergehämmer, wo man seine eignen Gedanken nicht versteht, in dieser wahrhaftig sträflichen Unordnung lasse einfach auch ich manchmal ein kleines Kügelchen rollen; und das Merkwürdige ist: in welcher-noch so verkehrten – Richtung Du auch eine solche kleine Handlung abgehen läßt, sie kommt immer gut durch die Wirklichkeit durch, als wäre sie dort geradezu erwartet worden.

      Alpha vor ihm: Das wirst Du ihnen sagen. Du wirst den Leuten Deine Meinung sagen, meinen Freunden!

      Vinzenz: Ich? Ihnen? Gott bewahre. Mir ist es immer schlechter gegangen als meinen Lügen. Ich muß ihnen durchaus nachgeben. Sie verfolgen mich, weil Bärli sie seither meidet.

      Alpha: Nun? Und?!

      Vinzenz: Sie haben mir den Kampf um meine Existenz und gegen mein Wesen angedroht, und ich – habe da doch eigentlich gar nichts zu verteidigen.

      Alpha: Feigling! Ich nicht! Ich heirate Dich! Vinzenz wehrt ab. Doch! Wenn ich auch des Zusammenseins natürlich viel überdrüssiger bin als Du, darauf kommt es jetzt nicht an! Sie rast wieder auf und ab. Sie erlauben sich, uns vorzuschreiben, was ich tun soll! Sie erlauben sich, Dich mir zu verbieten! Mir, der Du, weiß Gott, egal bist! Ich habe noch, Gott sei Dank, etwas zu verteidigen! Weißt Du, was ein Anarchist ist? Ja? Also, ich bin eine Anarchistin. Solang ich lebe. Ich habe die Welt nicht gemacht. Ich hätte sie auch wirklich besser gemacht, wenn ich gefragt worden wäre; das ist kein Kunststück. Und diese, von diesen Männern gemachte Welt soll ich ernst nehmen? Das wollen sie ja von mir; ich soll die Welt respektieren! Da würde ich ja eher Sufragette werden!

      Vinzenz: Du hast es auch viel leichter. Ja, wenn ich – Weiblichkeit andeutend – Deine natürlichen Anlagen hätte, wenn ich eine Frau wäre – Es läutet.

      Vinzenz rasch zusammenpackend: Das sind sie!

      Alpha am Weg zur Tür: Nun, was würdest Du tun!?

      Vinzenz: Ich? Wenn ich eine Frau wäre?! Die Leute selig, sobald ich mich nur für sie interessiere? Freiwillig mir sofort ihr Inneres offenbarend? Ich ihre Mondnacht, ihre Nachtigall, ihre schwache Stunde? Ich darf gar nicht daran denken, sonst muß ich weinen: Was ließe sich aus der Welt machen, wenn ich eine Frau wäre!

      Aber mich lieben sie eben nicht, ich muß mich verstecken! Ins Nebenzimmer eilig ab.

      Alpha hinter ihm drein: Ich nicht! Ich weiß nicht, was ich tue! Aber ich tue etwas Gewaltsames!

      Die Freunde treten ein. Polygonal aufgestellt, beschreiben im Folgenden die Sprechenden aufgeregte Diagonalen und Seitenlinien um Alpha. Manchmal ein einzelner vor ihr stehen bleibend. Der junge Mann: stummes Übereinstimmungsspiel mit den andren.

      Musiker vermittelnd: Liebe Alpha, haben Sie sich unsre Einwände überlegt?

      Alpha: Ich möchte wissen, wen es etwas angeht außer mich allein?

      Musiker: Wir sind sehr besorgt.

      Politiker: Der Mann ist kein Verkehr für Sie, das steht sozial fest.

      Gelehrter: Herr Bärli hätte längst den Wunsch geäußert, zu uns zurückzukehren, wenn ihm die Erinnerung an diesen Mann nicht unbequem wäre.

      Alpha: Bärli? Ich habe ihm doch mein Haus verboten.

      Musiker: Nun ja, – er hofft. Er ist von seinen eigensüchtigen Absichten zurückgekommen.

      Gelehrter: Es ist ja manches gegen sein Benehmen einzuwenden gewesen, aber –

      Politiker: Er ist mit einem Wort ein wünschenswerter Umgang.

      Alpha nicht unangenehm berührt: Also Bärli hofft –? … Nein.

      Musiker verzweifelt: Nur dieser Versicherungsagent – erschreckt durch einen wütenden Blick Alphas – ja, ja: – Mathematiker …

      Gelehrter: Welch ein Mathematiker, hat er bewiesen!

      Alpha: Meine Herren, ich finde Sie anmaßend.

      Gelehrter: Es ist ja keine angenehme Aufgabe, die wir uns stecken mußten. Aber es gibt eben auch schwere und unangenehme Freundespflichten. Jeder von uns hätte es Ihnen gesagt, aber Sie hätten es sich – hätten es sich – Musiker: Ja, Alpha, Sie hätten es sich ganz gewiß nicht sagen lassen. Sie wären ganz gewiß unwillig geworden, das wollte keiner von uns auf sich nehmen, nein – Gelehrter: So haben wir uns eben besprochen, es Ihnen gemeinsam vorzustellen.

      Politiker: Auch Herr Bärli weiß davon und hat sich mit dieser Lösung einverstanden erklärt.

      Musiker: Ja, ja, auch er. Auch er mißbilligt Ausschreitungen der Phantasie und Erfindungsgabe.

      Alle stehn starr um Alpha.

      Gelehrter: Und so teilen wir Ihnen mit, daß wir uns besprochen haben … Ihnen anheimzugeben … zwischen Vinzenz … der, ein ganz gewöhnlicher Hochstapler, sich erlaubt hat, einen Mann von der Position des Herrn Bärli zu kränken, … und unsrer Freundschaft zu wählen. Ich bin durch das Los bestimmt worden, es Ihnen mitzuteilen.

      Alpha: So?

      Ich finde das ausgezeichnet. Ich kann mich natürlich nicht auf der Stelle entscheiden.

      Überdies können Sie versichert sein, daß ich Sie nicht schwerer entbehren werde als Sie mich.

      Musiker weich: Dann werden Sie uns sehr schwer entbehren …

      Gelehrter: Aber es war doch noch nie da, nie da wie jetzt, daß Sie einen Mann in Ihre Wohnung

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