Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield

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Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen - Charles  Sealsfield

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Virginier nicht erlaubte, die Anmaßungen eines kaum dem Namen nach bekannten und, wenn das Gerücht wahr sprach, von einer unbedeutenden irischen Familie abstammenden Emporkömmlings, den der Zufall gehoben, so geduldig hinzunehmen. Es wurde ziemlich allgemein angenommen, daß vorzüglich Mistreß Parker an dieser politischen Gefügigkeit des Obersten ihren Anteil habe.

      Diese politischen Gesinnungen hatten nun auch auf das gesellschaftliche Verhältnis der Familie einen bedeutenden Einfluß geäußert und einen gewissen höfisch berechneten, stattlich steifen und wieder leichten Ton in ihr hervorgebracht, der selbst den Nachbarn eine nähere Verbindung zu verleiden schien, die, obwohl sie in gutem Vernehmen mit ihr standen, doch ihr Bestreben, sich populär zu machen, nichts weniger als zu würdigen schienen, insofern dem Obersten bereits mehrere Bewerbungen um öffentliche Vertrauensstellen mißlungen waren, und dieses trotz der Bedeutsamkeit, die ihm seine frühe Ansiedlung gab.

      Es waren bereits zehn Jahre seit dieser Übersiedlung aus seinem Mutterstaate Virginien verstrichen. Nichts verknüpft aber bekanntlich leichter, bindet Bürger und Bürger inniger aneinander, als eine solche, und besonders eine frühe Übersiedlung. Die mannigfaltigen Hilfsleistungen, die selbst der Ärmste dem Reichen zu leisten imstande ist, die vielfachen Entbehrungen, die sich alle – wenigstens für einige Zeit – gefallen lassen müssen, bringen die beiden Endpunkte der Gesellschaft einander so nahe und knüpfen sie so fest, daß ein geringer Grad von Vertrauen und Zuvorkommen hinreicht, aus den neuen Nachbarn dauernde Freunde zu machen. Das Benehmen der zarten, an Überfluß und Bequemlichkeiten des Lebens gewöhnten Mistreß Parker hatte damals sehr gefallen. Sie hatte die Entbehrungen des Hinterwäldlerlebens mit einem Gleichmute ertragen, dem selbst ihre ärmsten Nachbarn die Bewunderung nicht versagen konnten. Hilfreich und tröstend, erheiternd und leitend war sie ihrem Gatten zur Seite gestanden, mit zarter Hand bemüht, selbst diese Entbehrungen in Genüsse zu verwandeln. Noch war die Blockhütte zu sehen, in der sie mit ihrem Gatten und den Kindern die ersten Jahre verlebt. Mit Rührung wies sie in die Ecke hin, wo in der einzigen Stube das Pianoforte stand, an dem sie ihres verehrten Händel fromme Melodien ihrer Familie nach vollbrachtem Tagewerke vortrug. Mit Stolz zeigte sie die abgetragenen Kleider, die in derselben Hütte als Andenken hingen, und von ihrer Hand gefertigt waren. Sie war überhaupt eine Frau von trefflichen Grundsätzen und einem ausgebildeten Verstande; aber obgleich bei einem nun fürstlichen Vermögen einfach und scheinbar anspruchslos, hatte sie doch viel von jener Vornehmheit, durch welche die Damen der amerikanischen sogenannten guten Familien ihren Mitbürgerinnen gewissermaßen als Muster vorzuleuchten beflissen sind; und obgleich weit entfernt, der guten Dame ein beleidigendes Vornehmtun zur Last zu legen, so hatte sie doch eben diese Eigentümlichkeit in eine etwas falsche Stellung zu ihren Mitbürgern versetzt, die ihrem Betragen etwas künstlich Kaltes verlieh, das vielleicht nirgends aufgefallen wäre, aber bei einem Volke, wo der gesellschaftliche Charakter mit dem öffentlichen so innig verschmolzen ist, Mißtrauen zu erregen nicht verfehlen konnte.

      Auf Rosa hatte das Zusammenleben mit dem gebildeten, den feinen Weltton gewohnten Kreise eine ganz eigentümliche Wirkung. Zuerst war sie erschienen, als ob sie, in einen langen Schlummer versunken, plötzlich aus dem Traume erwacht wäre, so frisch lächelte sie alles an, und so lieblich spiegelte sich ihr ganzes Wesen in den neuen Umgebungen. Dieser Kontrast war wieder so fein, sie erschien so bezaubernd, selbst in den kleinen Verstößen, die sie sich anfangs zuschulden kommen ließ, daß sie für ihre neuen Freundinnen wirklich zum Rätsel wurde. Der reine mütterliche Sinn Canondahs, die wie ihr Schutzgeist nur Blumen auf ihren Pfad zu streuen bemüht gewesen war, und die Zartheit, mit der sie von allen rohern Berührungen mit den Squaws entfernt gehalten worden, hatten auch ihr eine gewisse Vornehmheit gegeben; aber ganz anderer Art, eine Art Hoheit, eine Zurückgezogenheit, die sich gleichsam um ihr ganzes Wesen gelegt. Es war etwas Mikoisches, etwas wie Anklang vom indianischen Hofleben oder vielmehr der Poesie dieses Lebens, das sie häufig in den lebhaftesten Ergüssen überraschte und besonders bei jedem unharmonischen Anstoßen auf ihr zart empfängliches Gemüt bemerkbar wurde. Dieses unharmonische Anstoßen konnte, ungeachtet der rücksichtsvollen und schonenden Behandlung, die ihr zuteil wurde, nicht ausbleiben; denn es liegt nun einmal in der Natur des amerikanischen freien Lebens, daß es diejenigen, die in zwangvollen Verhältnissen gelebt und so geschmeidiger geworden sind, allzu schroff – allzu frei und rücksichtslos anstößt, und daß selbst die verfeinerten Sitten des amerikanischen sogenannten aristokratischen und dem hohen Weltton nähern Lebens diese Anstöße um so weniger verhindern können, als ihre steifern und geregeltern Formen diktatorischer festgesetzt sind. Bei jedem dieser Anstöße nun zog sich das Mädchen immer verschüchtert zurück, der Mimosa nicht unähnlich, die, von einer rauhen Hand berührt, in sich selbst zurückschrickt. Allmählich wurden auch die Folgen dieser auf das Gemüt des Kindes fieberisch fröstelnd wirkenden Anstöße in einer gewissen scheuen Bangigkeit bemerkbar; die Eigenheiten des zivilisierten Lebens, indem sie klarer vor ihre Anschauung traten, schienen sie mit dem niederschlagenden Gefühle ihres Zurückstehens in Bildung zu mahnen. Sie hing oft nachdenklich das Köpfchen, und häufig sah man Tränen in ihrem Auge. Immerhin dauerten die Empfindungen nicht lange; ihre natürliche Elastizität und ihr Verstand gaben ihr bald ihre Schwungkraft wieder. Sie hatte überhaupt eine ungemein richtig klare Anschauung. Die Eigenheiten und Charaktere ihrer neuen Umgebungen hatte sie gewissermaßen in den ersten Stunden herausgefunden. Ohne erinnert zu werden, hatte sie sich die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Lebens im Umgange in nur wenigen Tagen angeeignet. Ihre Sprache verriet noch am meisten die Abgeschiedenheit, in der sie gelebt hatte. Sie war wortarm und kämpfte oft mit peinlicher Verlegenheit, ihren Ideen Ausdruck zu geben. Sie horchte aufmerksam auf alles, was gesagt wurde, und sann nach der Weise der Indianer eine Weile nach, ehe sie Antwort gab. Wenn sie jedoch erzählte, war sie unwiderstehlich; dann war sie ganz poetische Natur. – –

      Rosa und Gabriele tanzten in das Empfangszimmer, hinter ihnen drein ein schwarzes Kammerzöfchen, das einen ungeheuern Globus trug.

      »Uns ist es beinahe kalt in der Bibliothek geworden,« rief die Miß der Ma zu, »und ich will Rosen nun gerade alles erklären, wie Mistreß Mc Leod.«

      Die Ma nickte Beifall zu, und das Töchterchen, indem sie den näselnden Ton der Pensionsvorsteherin so ziemlich annahm, begann: »Nun kennst du Amerika und weißt also, wo unser Land zu suchen ist, nun, wo ist es?« »Hier«; wies Rosa.

      »Gerade daneben«, lachte Gabriele. »Ei du Unaufmerksame. Das ist ja Neusüdwallis. Hier ist es; merke dir es wohl«, fuhr sie gewichtig fort. »Es ist das Hauptland von Amerika, verstehst du, sowie wir die Hauptnation sind und deshalb vorzugsweise Amerikaner heißen, während die andern bloß Mexikaner, Peruvianer, Brasilianer genannt werden.«

      »Aber Ihr seid doch auch Yankees?« warf Rosa ein.

      »Pfui, wer wird so etwas sagen, du garstiges Kind! Wer hat dir denn das gesagt? Yankees heißen bloß diese da«, – sie deutete mit dem Finger auf die sechs Neuenglandstaaten. »Diese da sind und heißen Yankees. Wir heißen sie so, weil sie uns Walnußholz für Muskatnüsse und Hickory für Schinken und unsern Negern Mississippischlamm für Medizinpulver verkaufen; überhaupt weil sie wie die Juden sind.«

      »Ach, was du doch nicht alles weißt«; rief Virginie etwas pikiert vom Sofa herüber.

      »Hush, Schwesterchen! wir sind in einem freien Lande«, lachte sie, mit dem Finger drohend, ihrer Schwester zu. »Es ist natürlich, daß du dich der Yankees annimmst. Aber ich kann Kapitän Percy gar nicht« – –

      »Aber du bist doch wirklich unausstehlich, Gabriele«; flötete ihr die bitterböse Virginie zu.

      »Schwesterchen, Schwesterchen!« riefen Lehrerin und Zögling und hüpften auf die Zürnende zu und fielen ihr um den Hals, und dann trippelte Gabriele zum Fenster und tröstete sie; »er wird bald kommen, und wir müssen zuvor enden.« Und dann hüpfte sie wieder zu ihrem Globus und fuhr fort:

      »Nun, weißt du, wo wir sind? Wo sind wir?«

      »Da, Schwesterchen.«

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