Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield
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»Und warum werden sie die alte und der unsrige die neue Welt genannt?« fragte die aufmerksame Schülerin.
»Warum? Warum? Warum? Ja nun, weil der unsrige neu und deshalb besser ist. Alles was neu ist, ist besser als das Alte. Ja, auch weil der unsrige später entdeckt wurde.«
Der Zögling nickte Beifall zu.
»Sieh, dieser kleine Fleck da, der ganz kleine, heißt Großbritannien und der noch kleinere daneben Irland, das sind zwei Inseln.«
»Die dem törichten Häuptling gehören, der die beiden Kanadas besitzt?«
»Richtig, mein Kind!« bekräftigte die Präzeptorin. »Und hier ist Frankreich und hier Deutschland, hier Spanien und da oben Rußland und eine Menge kleiner Staaten und Königreiche.«
»Königreiche, was sind das für Dinge?« fragte Rosa.
»Das sind Länder, die Könige haben oder Häuptlinge, sowie der Miko, nur viel größer. Und sie sind keine Wilden. Sie haben auch mehr Leute, denen sie gebieten, und einen prächtigen Hofstaat. Ma wird dir dies erzählen. Sie ist im Empfangszimmer der Königin gewesen, von England nämlich, um die andern kümmern wir uns nicht viel, und sie hat mit ihr gesprochen. Sieh, diese Völker und Länder müssen Könige haben, weil sie sich nicht selbst regieren können und im Zustande der Kindheit sind, der politischen Kindheit nämlich, sagt Pa. Wenn sie die Könige nicht hätten, so würden sie in Unordnung und Revolution geraten, wie sie es in diesem Lande«, sie zeigte auf Frankreich, »getan haben. Da sie aber Könige haben, denen sie angehören und die mit großen Armeen und vielen Dienern sie im Zaume halten, so müssen sie wohl ruhig sein.«
»Und was tun die Könige mit ihnen?«
»Je nun, gerade was der Miko mit den Seinigen auch tut«, erwiderte die Lehrerin, die die Erklärungen ein bißchen in die Enge zu treiben anfingen. »Sie regieren sie und machen Krieg und Frieden und verkaufen ihre Ländereien, weil ihre armen Untertanen glauben, daß sie von Gott eingesetzt sind.«
»Ja, aber Gabriele, du sagst, daß die alte Welt noch in der Kindheit ist, das kann doch nicht sein; wenn sie alt ist, so kann sie doch nicht in der Kindheit sein.«
»Sehr gut kann sie es sein«; versicherte sie Gabriele. »Die alten Leute werden wieder zu Kindern. Weißt du das nicht? Sieh, weil wir jung sind, lernen wir noch immer. Wir haben unsere Zivilisation von ihnen und sind bereits weiter fortgeschritten. Aber sie lernen nichts von uns. Wir haben die Dampfschiffe schon seit acht Jahren erfunden, und als Ma mit Pa in England waren, sahen sie noch keins. Wir sind schon seit vierzig Jahren frei; aber sie blieben immer, was sie sind.«
»Aber wie kommt denn dies?«
»Ja eben, weil sie wie die alten kindischen Leute sich klüger dünken als andere – und weil sie in ihrer Kindheit auch gehalten werden.«
»Kinder,« mahnte die Oberstin, »wartet bis die Lichter kommen. Ihr verderbt euch sonst die Augen.«
Indem trat ein schwarzer Diener mit silbernen Leuchtern ein, der zugleich die Argand-Lampen anzündete und dann zur Herrin leise sprach.
»Laßt sie eintreten«; befahl sie dann.
Eine junge, ziemlich gut aussehende, aber etwas trödlerisch gekleidete, verschüchterte Frau trat ein, sah sich auf allen Seiten um, und nachdem sie sich verneigt hatte, eilte sie auf die Oberstin zu, um ihr die Hand zu küssen.
»Lassen Sie das, Madame Madiedo«, rief diese. »Sie wissen, daß dies nicht Sitte bei uns ist. Haben Sie mir etwas zu sagen?«
»Madame!« sprach die Frau in gebrochenem Englisch, »Sie wissen, ich komme Ihre Milde anzuflehen.«
»Es tut mir sehr leid, liebe Madame Madiedo«, erwiderte die Frau des Obersten; »aber in den Fall Ihres Mannes glaube ich mich nicht einmischen zu dürfen.«
»Madame!« sprach die Französin stockend. »Sie wissen vielleicht nicht, daß mein Mann mit Ihrem Neger nichts zu tun hatte?«
»Aber desto mehr mit schlechten Menschen«, fiel ihr die Dame ein. »Er hat selbst einen Staatsgefangenen aus seiner Haft befreit.«
»Aber, Madame«, versetzte die Französin ein wenig scheu. »Aber, Madame! das ist« –
»Was wollen Sie sagen? liebe Madame Madiedo?«
»Es ist dieses eine Angelegenheit,« sprach die Französin leise und mit stockender Stimme, »welche die hohe Obrigkeit allein angeht, und mit der wir uns eigentlich, ich bitte um Vergebung, nicht befassen sollten.«
»Das glauben Sie, meine Gute«, fiel ihr die Frau des Obersten ein. »Und als Ausländerin geht Sie wirklich diese Angelegenheit nur insofern an, als Ihr Mann darin verwickelt ist; aber als Amerikanerin habe ich mit der Obrigkeit etwas mehr zu tun, und es sollte mir leid sein, wenn durch meine Schuld der Gang der öffentlichen Gerechtigkeitspflege gehindert würde. Einem Verbrecher, der sich an der öffentlichen Sicherheit so schwer versündigt, Vorschub zu leisten, dazu werde ich nimmer einwilligen.«
Die Französin erblaßte bei Anhörung dieser Worte, die in einem zwar sehr gelassenen, aber auch sehr kalten Tone ausgesprochen worden waren.
»Seien Sie doch nicht so kalt, so grausam. Seien Sie gütig! Geben Sie mir eine sanftere Antwort. Senden Sie mich nicht so trostlos zurück!« bat sie.
Rosa hatte sich unterdessen schon einige Male aus dem zweiten Zimmer herangeschlichen, war aber immer wieder von Gabrielen zurückgehalten worden.
»Was will die arme Frau?« fragte sie.
»Ihr Mann hat den wegen Spionierens und Umtriebe mit den Indianern verdächtigen Briten aus seiner Haft befreit und wurde deshalb ins Gefängnis geworfen.«
»Aber das hat ja Rosa auch getan.«
»Nein, Miß!« belehrte sie die Oberstin. »Was Sie getan haben, war edle Selbstaufopferung gegenüber einer wilden, rohen Willkür. Sie haben ein Menschenleben gerettet oder zu retten geglaubt; Ihre Handlung war edel, obwohl nicht ganz gesetzlich; aber es ist immer verdienstlich, gegen Willkür aufzustehen, wo und in welcher Gestalt sie sich zeige; aber der Mann dieser Frau hat aus schlimmen Absichten weisen Gesetzen, die unsere Mitbürger sich zu ihrer Sicherheit gegeben haben, um seines eigenen Vorteils willen allein, in die Hände gegriffen.«
Diese etwas lange Erklärung ward wieder in dem gelassenen, aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen etwas rücksichtslosen Tone gegeben, der mehr Schein – als wirkliche Tugend zu verraten schien; auch war die bedrängte Französin beinahe ungeduldig geworden. »Mein Gott,« murmelte sie halblaut zu sich selbst: »sie spricht wie ein Richter, der auf dem Stuhle sitzt, während mir das Herz im Leibe springen möchte. Was doch diese Menschen für kalte Naturen haben!«
Die Dame mochte die Worte vernommen haben; ohne sie jedoch zu beachten, fuhr sie in demselben belehrenden Tone fort: »Unser Land hat Ihrem Manne, ohne nach seinem frühern Betragen zu fragen, ein Asyl unter der Bedingung angeboten, daß er denselben Gesetzen gehorche, unter denen auch wir stehen, daß er besonders nie etwas gegen die Sicherheit des Landes unternehme, das ihn duldete«, – sie betonte dieses Wort. »Oberst Parker hat Monsieur Madiedo verhaften lassen; warum, wissen Sie. Es geziemt nicht