Hexenhammer 1 - Die Inquisitorin. Uwe Voehl
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Doch vor dem Anblick ihres Leibes konnte sie die Augen nicht verschließen. Wenn sie an sich hinabblickte, sah sie die Narben und Wülste, die kreuz und quer über die Haut liefen. Als hätte jemand ihren Körper aus verschiedenen Stücken zusammengesetzt. Wie ein Schöpfer, der mitten in der Arbeit verschwunden war und sie unvollendet zurückgelassen hatte. Ihre Arme waren unterschiedlich lang, genau wie ihre Beine, sodass sie leicht humpelte.
»Geht und zieht euch etwas über!«, befahl die Schwester Oberin nun und schreckte damit Lotte aus ihren Gedanken. »Nicht, dass ihr euch noch den Tod holt.«
Plötzlich stutzte sie. »Ihr seid nur zu zwölft! Wer fehlt?«
»Angela, Schwester Oberin«, sagte Kundula, der es als Einziger erlaubt war zu antworten. »Sie hat wieder Fieber.«
»Haben die Ratten ihr denn nicht Beine machen können?«
Lotte senkte den Kopf noch tiefer und betete inständig, dass nicht ans Licht kam, welche Dreistigkeit sie sich erlaubt hatte. Noch mehr versteckte sie ihre Gedanken vor der Schwester Oberin, aber diese dachte zum Glück nicht daran, nachzuhaken oder eines der anderen Mädchen zu befragen. Keines von ihnen hätte es gewagt, ihr die Unwahrheit zu sagen, und anders als bei Lotte vermochte die Schwester Oberin in ihren Gedanken zu lesen wie in einem Buch.
Stattdessen drehte sie sich nur zu den beiden Schwestern um und befahl: »Schwester Gertrud. Sieh zu, dass unser kleiner Engel wieder auf die Beine kommt. Und du, Schwester Adelheid, bestrafe sie für ihre Schwäche, die sie sich zu zeigen erdreistet.«
Die beiden Schwestern nickten.
»Und jetzt trödelt nicht länger herum!«, rief die Schwester Oberin mit scharfer Stimme. »Es liegt viel Arbeit an.«
Arbeit lag immer an. Selbst im Winter mussten sie auf blanken Knien den Steinboden schrubben, mit steifgefrorenen Fingern Näharbeiten verrichten und die Ställe ausmisten.
Die Vormittage waren den Lehrstunden vorbehalten. Ansonsten wurden die Arbeiten nur von den Andachtsgebeten unterbrochen.
Während sich Lotte ihr sackähnliches, grobes Gewand überstülpte, schaute sie noch einmal nach Angela. Das Mädchen murmelte im Fiebertraum. Lotte bückte sich zu ihr hinab und flüsterte ihr ins Ohr: »Schwester Gertrud wird dich gesundmachen, ganz bestimmt.«
Sie hoffte, dass ihre tröstenden Worte bis in Angelas Bewusstsein drangen. Absichtlich verschwieg sie, was die Fiebernde erwartete, wenn Schwester Adelheid sich ihrer annahm …
Nachdem die Mädchen sich angekleidet hatten, marschierten sie in einer Reihe hintereinander aus dem Dormitorium durch die verwinkelten Klostergänge hinab ins Refektorium, in dem die Jungen bereits an ihrem langen Tisch Platz genommen hatten. Stumm, den Kopf gesenkt, wirkten sie wie eingefrorene Statuen, die erst dann zum Leben erwachten, wenn eine der Schwestern Brot und Wasser verteilte.
Nur einer von ihnen hob den Kopf ein wenig, als die Mädchen das Refektorium betraten. Lotte wusste nicht, wie er hieß, aber er war ihr von Anfang an aufgefallen. Seit einem Jahr war er im Kloster. Seitdem war er kaum gewachsen. Er wirkte noch schwächlicher und kümmerlicher als die anderen Jungen. Manchmal bildete sich Lotte ein, durch ihn hindurchsehen zu können, so blass war seine Haut, die sich wie Pergament über die Knochen spannte.
Aber nicht deswegen fühlte sie sich ihm wesensverwandt. Sondern weil er genauso hässlich und unfertig war wie sie selbst. Sein narbenübersätes Gesicht war geradezu furchterregend. Es ähnelte eher einer Holzpuppe, an der sich ein unbegabter Schnitzer versucht hatte. Eine schlecht verheilte Narbe zerteilte sein Gesicht in zwei Hälften, wobei das linke Auge tiefer hing als das rechte, die Nase in der linken Hälfte der eines Schweins glich und der lippenlose Mund der rechten Seite Lotte wie ein klaffendes Loch vorkam. Auch schien er von den anderen Jungen nicht nur gemieden, sondern gleichzeitig gehänselt und schikaniert zu werden. Mehr als einmal hatte sie beobachtet, wie er heimlich getreten wurde, einen Schlag auf den missgestalteten Hinterkopf erhielt oder man ihm ein Bein stellte.
Lotte hatte ihm in der letzten Zeit des Öfteren ein heimliches Lächeln geschenkt, um ihn aufzumuntern. Seitdem suchte er ihren Blick, wenn sie das Refektorium betrat. Sie hoffte nur, dass eine der Schwestern sie nicht irgendwann dabei beobachtete.
Sobald auch die Mädchen auf den harten Bänken Platz genommen hatten, betrat eine der Schwestern das Refektorium. An diesem eiskalten Morgen war es Schwester Hildegard, die ihnen aus der Schwarzen Bibel vorlas.
Schweigend und ehrfürchtig wie immer nahmen die Kinder die Weisheiten auf, wussten sie doch, dass es ein Privileg war, dass sie im haus zur heiligen dreieinigkeit die Worte des HERRN erfahren durften.
Lottes Magen knurrte. Sie hoffte, dass es Schwester Hildegards Stimme nicht übertönte, denn dann würde sie zur Strafe aufs Frühstück verzichten müssen, wie es ihr schon mehrmals passiert war.
Die neben ihr sitzende Rebecca warf ihr einen tadelnden Blick zu. Vor Rebecca musste sie sich in Acht nehmen. Das Mädchen mit den struppigen roten Haaren war eine Petze, die sie nur zu gern für eine Belobigung bei den Schwestern angeschwärzt hätte.
Aufstehen. Antreten. ASMODI UNSER …
Schwester Hildegard hatte die Schwarze Bibel beiseitegelegt und zum Gebet aufgerufen. Sie faltete die Hände auf dem Rücken und begann zu beten. Die Kinder taten es ihr gleich und sprachen die Worte mit.
»Asmodi unser …«
Oft schon hatte sich Lotte gefragt, wie er wohl aussah, dieser Asmodi. Wie er wirklich aussah. In den Lehrbüchern gab es viele Bilder von ihm, ebenso im Gebetsraum, doch ein jedes zeigte ihn anders. Mal als gelehrten, grimmig dreinschauenden Herrn mit langem weißem Bart, mal als schwarze Gestalt mit Hörnern und glühenden Augen. All diese Bilder flößten ihr Respekt ein, während das Wesen, dessen Namen niemand der Schwestern jemals über die Lippen brachte, ein ganz und gar schreckliches sein musste. Und sie warnten auch die Kinder davor, seinen Namen nur ja niemals zu erwähnen, denn dann würde man auf der Stelle in Flammen aufgehen und …
DER DU WANDELST AUF ERDEN …
Ihr Bauch knurrte erneut. Diesmal so laut, dass es auch Schwester Hildegard gehört hätte, wenn sie noch aus der Schwarzen Bibel vorgelesen hätte. So aber übertönte der Gebetschor der Kinder ihre Missetat. Nur Rebecca warf Lotte einen erneuten Blick zu.
Lotte kam es vor, als zöge sich das Gebet heute endlos. Ihre Gedanken drifteten ab, sie dachte an Angela, die sich fiebernd auf dem Lager wälzte. Sicherlich würde sich Schwester Gertrud erst nach dem Frühstück um sie kümmern.
Erneut hob sie den Blick und schaute auf den hässlichen Jungen. Auch er schaute sie an, unverblümt. Sie schüttelte den Kopf, um ihm begreiflich zu machen, dass es Strafe nach sich zog, wenn die Schwestern sie während des Gebetes bei einer Unaufmerksamkeit erwischten.
Sie senkte den Kopf, spürte aber, dass er sie nach wie vor anstarrte.
Aufstehen. Antreten. Asmodi unser, der du wandelst auf Erden. TROCKEN BROT …
Es dauerte ewig, aber endlich gab Schwester Hildegard mit einem Nicken den Befehl, die Speisen hereinzutragen. Die zwei Jungen, die heute Morgen dafür eingeteilt waren, sprangen sogleich auf und eilten in die Küche.
Als sie zurückkamen, trugen sie gekochte Eier