Der Sklave. Jürg Brändli

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Der Sklave - Jürg Brändli

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Faszination gegenüber dem Thema drängte seinen malerischen Ehrgeiz stark in den Hintergrund. Hebeisens Skizzenbuch sollte in dieser Zeit beinahe unangerührt bleiben. Aber nicht etwa, weil sich der Künstler in ihm nicht in Aufruhr befunden hätte. Der wurde in dieser Phase nämlich sehr wohl von einer ganzen Reihe von bizarren Fantasien heimgesucht. Aber sie wirklich aufzuzeichnen, davor sollte der werdende Bürger Hebeisen letzten Endes stets zurückschrecken.

      Er spielte mit dem Gedanken, an einer SM-Party teilzunehmen, verwarf dann aber die Idee. Es gingen schliesslich auch nicht alle normalen Heteros in einen Swinger-Club, argumentierte er gegenüber sich selbst, um dem starken widersprüchlichen Verlangen Herr zu werden.

      An Parties teilzunehmen, wie sie von Mitstudenten jedes zweite Wochenende organisiert wurden, geriet für ihn zu einem zusätzlichen Problem. Hebeisen übte auf die Frauen seines Alters nämlich eine starke Anziehung aus. Er hatte jede Menge Angebote. Gleichzeitig war ihm klar, dass es beim nächsten Mal nicht mehr so sein konnte wie mit Tonia. Es führte dazu, dass er sich von allen Verehrerinnen, und mochten sie noch so attraktiv sein, irgendwann zurückzog, weil er innerlich noch nicht zum Mut gefunden hatte, den Schritt zu machen: mit einer Partnerin hindurchzugehen.

      In einer Zeit, da sich alle seine Kollegen die Hörner abstiessen, musste Hebeisen feststellen, dass seine Neigung zwischen ihn und die Frauen, die er begehrte, einen Keil trieb, der ihn tief in der Seele verletzte und ihm einen Schmerz auslöste, von dem er bereits ahnte, dass er ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loswerden würde. Damit lud er nicht nur Leid auf sich. Es verursachte ihm auch Schuldgefühle.

      Es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Sein Elternhaus hatte ihn eingeholt und knebelte ihn mit der ganzen Ohnmacht des autoritär erzogenen Hochsensiblen. Hebeisen stand daneben und musste zusehen, wie es passierte.

       9

      Begonnen hatte alles in den Sechzigerjahren, noch bevor Christian Hebeisen geboren worden war.

      Vater Heinz hatte damals angefangen, seine militärischen Wiederholungskurse in der Nachbarsgemeinde Hinwil zu absolvieren. Dort, am westlichen Dorfrand, befand sich das sogenannte AMP, der grosse Armeemotorfahrzeugpark mit seinen flachen unauffälligen Bauten und den schmalen Teerstrassen, auf denen der Probeverkehr durch den Moosstock und das Pilgerwegholz kreiseln konnte. An drei Wochen im Jahr war er hier, am Fuss des Bachtels, zwischen den Schiessübungen als Soldat um die Revisionen von Armeelastwagen bemüht, um Materialtransporte, um Tarnanstriche und um den Fahrzeugputz.

      Heinz Hebeisen wusste nicht, womit er es verdient hatte. Seine Rekrutenschule hatte er nämlich als einfacher Lastwagensoldat bei den Transporttruppen in Thun absolviert: Panzerparaden, Schiessverlegung in den Berner Alpen, Kilometermarsch, Dosenfleisch, Gamellenteigwaren. Er hatte eben seine Berufslehre beendet, und es stand ihm sein Ingenieurstudium am Technikum in Rapperswil bevor. Als Rekrutenschüler fiel er positiv auf, er hatte den Respekt der Vorgesetzten und der Kameraden, jedoch keine Ambitionen aufs sogenannte Weitermachen, was respektiert wurde.

      Heinz ging davon aus, auch für seine Wiederholungskurse ins Bernische aufgeboten zu werden. Es kam anders. Jemand, der es offensichtlich gut mit ihm meinte, liess ihn danach nämlich nicht in einen regulären Dienst einrücken, sondern bot ihn dazu auf, seine verbleibenden Diensttage in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Heimatgemeinde abzuleisten. Aber damit nicht genug. Er war um die fünfundzwanzig Jahre alt, als er vom Kommando dazu abdetachiert wurde, die Funktion eines Ordonnanzfahrers auszufüllen, um für den Rest seiner Dienstpflicht im Jeep hohe Offiziere zu chauffieren. Man wollte nicht, dass er sich noch länger die Hände schmutzig machte. Es führte dazu, dass Heinz sein Sturmgewehr, sein Stgw 57, im Zeughaus Rapperswil abgeben konnte, um stattdessen eine leichtere Pistole zu beziehen.

      Er bedankte sich für das Privileg mit einem offiziellen Brief.

      Inzwischen hatte er Esther kennengelernt, und die beiden waren übereingekommen, nach Abschluss seines Studiums zu heiraten und eine Familie zu gründen.

      Es war die Zeit, in der Heinz Hebeisen die folgenschwere Bekanntschaft mit Harald Grendelmeier machte.

      Grendelmeier, ein herrischer Oberst in den Vierzigern, war der erste und der einzige Vorgesetzte, dem Heinz Hebeisen während seiner Widerholungskurse als Fahrer zur Verfügung stehen sollte. Im zivilen Leben war er als Anwalt für eine Grossbank tätig, mit Büro an der Genferstrasse in Zürich. Er war ein kalter Chauvinist. Er hatte graues, krauses Haar und eingefallene, fahlbraune Wangen. Er trug eine bundesrätliche Hornbrille, und an der Stelle seines Magens klaffte eine Grube, was seine uniformierte Gestalt auf Gürtelhöhe ins Lächerliche zog. Trotz seiner hohen Stellung besass er einen krankhaften, unkontrollierten Zug ins Respektlose und einen selbstgerechten Tick ins Erzieherische. Er war ein miserabler Zuhörer, der andern Menschen ständig ins Wort fiel. Er war gönnerhaft und humorlos.

      Heinz Hebeisen mochte Harald Grendelmeier.

      Stunden verbrachte er damit, im offenen Jeep, im Puch oder im hellbraunen VW Golf vor Kasernen und Gasthöfen auf ihn zu warten, während er die Zeitung las, einen Kaffee trank oder sonst eine Freiheit genoss, die andern Soldaten von seinem Rang verwehrt blieb.

      Er hatte einzig auf seinen Schlaf zu achten und darauf, dass der Vorrat an Benzinkanistern aufgefüllt war. Das Kartenstudium erledigte der um fünfzehn Jahre ältere Grendelmeier, der stets die Kontrolle wahren musste, in den meisten Fällen selbst.

      Ihre gemeinsamen Fahrten brachten die beiden Männer näher zusammen, wobei sie oft zwischen den Jahreszeiten im Glarnerland unterwegs waren, im Rheintal und auf den Seitenstrassen des Linthgebiets.

      Grendelmeier erzählte wenig aus seinem zivilen Leben. Sein Beruf war ihm gleichermassen eine Verschlusssache wie die militärischen Geheimnisse, die er im feldgrünen Holzkoffer bei sich führte. Hie und da gab er Hebeisen aber legale Tips für Aktienkäufe, die sich in der Regel bezahlt machten. Gelegentlich erzählte er von seiner Frau. Dies tat er meistens dann, wenn Hebeisen vor einer Telefonkabine der PTT angehalten und Grendelmeier sie angerufen hatte. Angeblich mochte sie die Filme von Lina Wertmüller. Grendelmeier selbst war ein Fan von Pier Paolo Pasolini. Hebeisen konnte mit keinem der Namen etwas anfangen.

      Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums nahm Heinz Hebeisen eine Stelle in Hombrechtikon an, nämlich im Kleinbetrieb, wo er bereits seine Lehrzeit absolviert hatte. Bald darauf sollte es zum ersten ausserdienstlichen Kontakt zwischen ihm und Grendelmeier kommen. Der diplomierte Ingenieur stiess im «Zürcher Oberländer» nämlich auf ein Inserat, das eine Kaderstelle bei Sulzer ausschrieb, die ihn sogleich brennend interessierte. Nachdem er sein Vorhaben mehrmals gründlich überschlafen hatte, wählte er die Nummer von Grendelmeiers Büro in Zürich, um seinen militärischen Vorgesetzten um ein Empfehlungsschreiben zu bitten.

      Es war die Zeit unmittelbar vor den blutigen Globuskrawallen im Juni 1968. Die Dienstkollegen trafen sich im ersten Stock des Buffets im Zürcher Hauptbahnhof, um nach Feierabend einen kalten Weissen mit Siphon zu trinken. Grendelmeier hatte sich bereits am Telefon spontan dazu bereiterklärt, Hebeisen den Gefallen zu machen. Kurzangebunden und zackig. Jetzt sass er seinem Protegé im massgeschneiderten konservativen Leinenblazer gegenüber und überreichte ihm ein verschlossenes Kuvert im C6-Format. Der Akt wurde begleitet von einer wegwerfenden Geste der Zuversicht. Grendelmeier wollte um die Sache keine grossen Worte machen. Vielmehr genoss er es, eine Stunde lang Abstand zu gewinnen von seinen Palastpflichten, um an der mittelständischen Welt des Heinz Hebeisen teilzunehmen, in den er ehrlichen und festen Glauben zu setzen schien.

      Heinz Hebeisen sollte die Stelle bekommen.

      Es waren damit unerwartete Annehmlichkeiten verbunden: das grosse Haus zur Miete in der unmittelbaren

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