She - Vivienne, eine Frau auf Abwegen | Erotischer Roman. Evi Engler
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Bis zum heutigen Tag hatte die Freundin es bei Sticheleien belassen, jedoch vorhin war der Gaul mit ihr komplett durchgegangen. Sie ließ kein gutes Haar an Vivienne, vor allem nicht an dem wilden Wuschelkopf, wie Margarete die Frisur nannte, mit der Vivienne seit Jahren zufrieden war. Margarete wies auf ihre eigene Betonfrisur hin und nannte sie »adäquat für Leute unseres Alters«.
Mit etwas Abstand konnte Vivienne sich ein Lachen kaum verkneifen, als sie an Margaretes grau melierte Kurzhaarfrisur dachte, die kein noch so heftiger Wind in Unordnung bringen konnte. Mit ihrer eigenen rötlich-blonden Mähne verglichen, die jeder Windhauch neu gestalten durfte, empfand sie Margaretes Betonfrisur als lächerlich, spießig und nicht fraulich.
Außerdem gefiel ihr das knallige T-Shirt-Kleidchen, das sie über der schwarzen Leggings trug, deutlich besser als die in gedeckten Farben gehaltene Garderobe der Freundin.
Margarete war richtiggehend ausfallend geworden, vor allem als sie bemerkte, dass Vivienne nichts von der Kritik annahm. Letztendlich rauschte sie entrüstet ab.
Im ersten Moment musste Vivienne über die hysterische Reaktion lachen, mittlerweile plagte sie jedoch eine mittlere Depression.
» … what a drag it is getting old!«, drang es aus den Lautsprechern.
Der alte Stones-Titel passte exakt zu ihrer Stimmung, es stand ihr nur leider kein »little helper« zur Verfügung.
In solcher, bisher unbekannter Form beschimpft und beleidigt zu werden, verursachte Vivienne Magenschmerzen. Margaretes blitzende Augen, die gefletschten Zähne und der geifernde Mund der Freundin erinnerten sie eher an einen tollwütigen Hund als an die kultivierte und beherrschte Frau, als die sie alle Welt kannte.
»… aufgetakelte alte Schachtel, die träumt, immer noch in den Achtziger- oder Neunzigerjahren zu leben und sich wie ein Teenie benimmt. Schau mal in den Spiegel! Du bist Großmutter, also benimm dich auch so!«
Sie wusste, dass Margarete sich in einigen Tagen bei ihr entschuldigen würde, jedenfalls ging sie davon aus und hoffte es. Ein Einlenken der Freundin wäre unumgänglich, um wieder eine normale Beziehung zu haben, und darauf legte sie großen Wert.
Die Schimpfkanonade hatte umgehend dazu geführt, dass die lockere Stimmung, die von der dunklen Seite ausging und in der sie seit etlichen Tagen schwelgte, verschwand und Trübsinn Platz machte. Ihre Niedergeschlagenheit nährte Zweifel, ob die Freundin eventuell im Recht war. Ob es wirklich so war, dass man in ihrem Alter ein spießiges Leben führen musste – ein Leben wie Margarete, eines von der Sorte, die sie, Vivienne, schlicht verachtete.
Sie war unsicher, ob die Erwartungen, die wegen des Alters an sie gestellt wurden, berechtigt waren. Musste man sich irgendwann dem Alter entsprechend benehmen? Musste man eine graumelierte Betonfrisur tragen, durch die der Wind fahren konnte, so oft er wollte, und sich nichts veränderte? Oder durfte er sie zerzausen und neu gestalten? Durfte man sich die Haare nicht tönen, sondern hatte zu grau zu stehen? Musste man in gedeckten Farben und konservativ gekleidet herumlaufen? Musste man Volksmusik mögen und regelmäßig in die Kirche gehen?
Oder konnte man nach dem Wahlspruch leben: Man ist so alt, wie man sich fühlt?
Ihrem Mann und ihr gefiel der Lebenswandel, den sie führte, Margarete und auch den eigenen Kindern gefiel er nicht. Diesem kritischen Publikum alles recht zu machen, hieße jedoch, Supergirl zu sein, überlegte sie frustriert – spießiges, überspießiges Supergirl.
Sie versuchte, sich selbst aus dem Treibsand der hinunterziehenden Gefühle zu befreien, indem sie ihre Erlebnisse hervorkramte und noch einmal das Positive daraus nacherlebte. Das Verrückte, Ausgeflippte, das Ungeheuerliche, das Lustvolle, das Schmutzige und Verderbte.
Wenn Margarete von den Erlebnissen wüsste! Vivienne kicherte verschämt. Die Erinnerung war für sie immer noch so heiß, dass sie die Wangen wärmte. Zum Beispiel, als die ganze Meute vom Parkplatz sich um sie gedrängt hatte und die Männer ihren Trieben nachgegeben hatten. Sie bekam jetzt noch eine Gänsehaut, wenn sie an die Wehrlosigkeit und an das brutale Genommenwerden dachte. Sie hatte sich diesen Urgewalten schutz- und rückhaltlos ausgesetzt, war ihnen begegnet, indem sie die eigenen Triebe auslebte. Die unglaublich starken männlichen Kräfte, die auf sie einwirkten, hatte sie genossen, von ihnen gezehrt. Die Kräfte wirkten so lange, bis sie verbraucht waren und von der männlichen Pracht nur noch verlegene Gesichter übrig geblieben waren. Noch jetzt spürte sie in der Erinnerung, wie stark und schön und unbesiegbar sie sich gefühlt hatte.
Schade, dass sie es niemandem erzählen konnte. Schade auch, dass sie niemals über ihre Ängste sprechen konnte, die Ängste, die sie ausstehen musste, bis die Ergebnisse des Aids-Tests vorlagen.
Sie würde das Haus, in dem die wildeste aller Episoden ihren Anfang genommen hatte, wiederfinden, dessen war sie sich sicher, ganz sicher. Bis jetzt ließ er nichts von sich hören. Einerseits war sie froh darüber, weil sie zweifelte, ob sie einem solchen Ereignis noch einmal gewachsen wäre, andererseits bedauerte sie es. War sie nicht gut genug gewesen, dass es ihn nach einer Wiederholung verlangte? Sie selbst sah kaum eine Möglichkeit, von sich aus die Initiative zu ergreifen. Vielleicht war damit diese Episode einfach beendet.
Oder sollte sie dort klingeln und sagen: »Nimm mich, ich bin der Frühling«? Sie kicherte albern und schaute sich verstohlen um, ob sie etwa jemand beobachtete.
Erst jetzt bemerkte sie, dass das Rockcafé mittlerweile voller junger Menschen war. Alle Plätze waren besetzt, die Stehtische umlagert. Nur sie saß allein an ihrem Platz, überall sonst drängte sich das junge Publikum.
Die Stühle, die zu ihrem Tisch gehörten, wurden mittlerweile anderweitig verwendet, ihre Tischplatte benutzten die Kids um sie herum als Abstellfläche für Gläser. Die Kellnerin hatte hinter dem Tresen alle Hände voll zu tun und den Service in der Gaststube eingestellt, deswegen sah es für ein Getränk für sie schlecht aus.
Die Clique, die um den Stehtisch nebenan stand, verursachte heftigen Lärm. Einer der Jungen, der auf einem Barhocker direkt neben ihr saß, bemerkte ihren suchenden Blick: »Brauchst du was?«, fragte er hilfsbereit.
Er duzte sie einfach, das Jüngelchen. Es war ihr recht, dadurch fühlte sie sich akzeptiert und zugehörig. Sie lächelte ihn an. Eine heiße Schokolade wäre jetzt nicht schlecht, es war jedoch bei dem Gedränge nicht realistisch zu erwarten, dass sie eine bekäme. Sie wusste nicht, was sie wählen sollte.
»Ja«, bestätigte sie, lächelte verzagt, »etwas zu trinken. Was trinkt ihr denn?«
»Bacardi-Red Bull!«
Sie gab zu verstehen, dass sie auch ein solches Getränk wollte. Der Junge gab die Bestellung weiter und reichte nach einiger Zeit ein Glas herüber. Sie griff nach ihrer Tasche, um es zu bezahlen, da grinste sie der Bube an und meinte: »Lass stecken.«
Er drehte sich auf dem Hocker so, dass sich seine prallen Schenkel unter der modischen Hose deutlich abzeichneten. Radfahrer oder Leichtathlet tippte sie, anders waren diese voluminösen Muskeln nicht zu erklären. Klein war er auf keinen Fall, auch wenn sie die hockende Gestalt nur grob schätzen konnte. Athletisch war er, extrem jung und ziemlich groß.
»Prost.« Er hob sein Glas.