Das Medaillon. Gina Mayer

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Das Medaillon - Gina Mayer

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Dorothea Angst.

      Denn wenn Tante Liobas Geist zurückkehrte, wenn ihre Verwirrung nachließ, dann würde sie auch merken, dass Dorothea sie betrog. Und früher oder später würde sie sie verraten. Ihre Eltern besuchten die Tante manchmal nach der Kirche, wie würden sie reagieren, wenn Lioba ihnen offenbarte, dass Dorothea nur zweimal am Tag bei ihr auftauchte? Würden sie alles auf die Verwirrtheit schieben oder würden sie misstrauisch werden? Und nachforschen?

      Dorothea hasste sich selbst für diese Gedanken, aber sie wurde sie nicht los. Sie war so erschöpft und zerstreut in diesen Tagen, dass sie immer mehr Fehler machte. Sie füllte die Leihkarten falsch aus und steckte sie dann kopfüber in den Karteikasten zurück, sie ordnete Bücher unter dem Anfangsbuchstaben des Titels in die Regale ein, sie brachte alles durcheinander und war Kirschbaum keine Hilfe mehr. Aber er beklagte sich nie, sondern korrigierte stillschweigend alle ihre Irrtümer, wenn sie ihm auffielen, und das bemerkte sie, und sie schämte sich dafür.

      »Wenn es etwas gäbe, womit ich Ihnen helfen könnte, so würde ich es gerne tun«, sagte er eines Mittags, als sie wieder in ihren Mantel schlüpfte, obwohl es aus dem Hinterzimmer so köstlich nach Essen roch und sie so hungrig war und der Weg in die Nordstadt so weit. Er war gerade aus der Küche nach vorn gekommen und lehnte an dem Schreibtisch, den er Dorothea am ersten Tag angeboten hatte. Sein Ton war ganz beiläufig und ruhig. Sie zögerte einen Moment, während ihre Finger fortfuhren, die Schute unter ihrem Kinn zusammenzubinden. Dann beschloss sie, sich ihm anzuvertrauen, nicht, weil sie wirklich Hilfe von ihm erwartete, sondern weil es ein Wink des Himmels war, eine Gelegenheit, ein bisschen mehr Wahrheit in ihr Leben zu bringen.

      Als sie einmal zu reden begonnen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören, sie erzählte alles, von Tante Liobas Verwirrtheit und von der Kälte in ihrem Haus, von Walpurga, die sich nicht richtig kümmerte, und ihren Eltern, die sich viel zu viel um alles kümmerten, und von ihrer eigenen Angst, dass alles zusammenbrechen könnte und ihre Lügen ans Licht kommen würden.

      »Du liebe Zeit«, sagte er, als sie ihren Bericht beendet hatte. »Warum haben Sie mir das nicht schon früher erzählt?« Er klang dabei ehrlich verwundert, fast bestürzt, so dass auch sie sich unwillkürlich fragte, warum sie bloß so lange geschwiegen hatte.

      »Es ist so, dass ich mich schäme«, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu Kirschbaum.

      Kirschbaum widersprach nicht, er nickte langsam und dann schob er seinen Stuhl zurück und erhob sich. »Dennoch begreife ich nicht, warum Sie nicht mehr mit mir essen.«

      »Aber der Gang in die Nordstadt, das ist meine Mittagszeit, ich bleibe schon länger aus, als es vereinbart war ...« Sie brach ab, weil ihr bewusst wurde, dass sie und Kirschbaum nie irgendetwas vereinbart hatten, sie kam um acht, wenn die Leihbibliothek öffnete, und verließ sie abends um sechs oder um halb sieben.

      »Fräulein Leder«, sagte Kirschbaum mit fester Stimme. »Ich muss Ihnen sagen, dass Ihre Arbeit in letzter Zeit wenig zufriedenstellend war. Sie waren zerstreut und unaufmerksam und die Gründe dafür kenne ich ja jetzt. Nun kann ich Ihnen die Sorge um Ihre Tante nicht abnehmen, genauso wenig wie Ihr schlechtes Gewissen. Aber zumindest gegen Ihren Hunger lässt sich etwas ausrichten. Ich fordere Sie deshalb auf, des Mittags mit mir zu essen, vor oder nach dem Besuch bei Ihrer Tante. Unter anderen Umständen können Sie nicht mehr bei mir arbeiten.«

      Seine kleinen Hände mit den kurzen Fingern hielten sich an der Kante des Schreibtischs fest, auf seiner Stirn und an den Schläfen glitzerten winzige Schweißperlen.

      »Nun?«, fragte er.

      »Also gut«, sagte sie und zog den Hut wieder vom Kopf. »Was gibt es denn?«

      Sie sprach den Segen und er hörte zu, dann begannen sie zu essen. Es gab dicke Bohnen mit Liebstöckel und wie immer schmeckte das Essen ganz anders als alles, was sie kannte. »Diese jüdische Küche ist köstlich«, sagte sie, als ihr Teller leer war.

      »Es ist nicht koscher.« Er tat ihr noch ein paar Löffel auf. »Ich koche nicht nach den Vorschriften.«

      »Es ist dennoch köstlich.« Sie zögerte einen Moment lang, ob sie ihn fragen sollte, was sie sich selbst schon so lange fragte. Es ist die Stunde der Wahrheit, dachte sie schließlich. »Sie haben sich wirklich ganz gelöst, von Ihrer Familie, von Ihrer Religion?«

      Er nickte und kaute und schluckte. »Aber ich habe den gleichen Fehler gemacht wie Sie.«

      »Welchen Fehler? Wovon sprechen Sie?«

      »Ich habe mich versteckt, ich bin ausgewichen, ich habe gelogen. Lange, lange Zeit. Endlich kam es doch zum Bruch, aber dann habe ich nicht nur meine Familie verloren. Sondern auch mich selbst.«

      Seine Familie, dachte sie. Meinte er damit Vater und Mutter oder Frau und Kinder? Sie musste wieder an die weinende Frau denken, die sie dieses eine Mal gesehen hatte und dann niemals wieder. Es waren auch sonst keine Besucher mehr erschienen. Wer war diese Frau gewesen?

      »Fräulein Leder«, sagte er. »Hören Sie auf zu lügen.«

      »Wenn ich die Wahrheit sage, kann ich nicht mehr hierher kommen. Mein Vater würde es niemals billigen, niemals!«

      »Was würde geschehen, wenn er die Wahrheit wüsste?«

      »Er würde mich einsperren. Er würde mich eher totschlagen als klein beizugeben.«

      Kirschbaum nickte, als habe er genau diese Antwort erwartet. »Also warten Sie lieber ab, bis sich die Sache von selbst klärt. Bis Ihre Eltern Sie hier in der Bibliothek sehen oder ein Freund oder ein Bekannter. Und alles ans Licht kommt.«

      »Meine Eltern kommen niemals zur Alten Freiheit und hier im Viertel haben wir kaum Bekannte.«

      »Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht«, sagte Kirschbaum.

      Sie fühlte sich plötzlich elend und wütend und ratlos, alles zur gleichen Zeit. Was wollte Kirschbaum von ihr? Was maßte er sich an? »Sie sind ein Mann, Sie können Ihren Weg gehen, Ihnen steht alles offen. Aber ich bin abhängig von den Meinen.« Ihre Stimme klang rau vor Erregung, sie griff nach ihrem Glas, um einen Schluck zu trinken, aber ihre Hand zitterte so, dass sie das Wasser beinahe verschüttet hätte. »Es ist nicht so, dass ich gerne lüge, ich hasse es vielmehr und verabscheue mich selbst dafür. Aber ich will hier sein, ich will es einfach!«

      Bei den letzten Worten war sie laut geworden, sie kannte sich selbst nicht wieder, aber Kirschbaum schien weder überrascht noch befremdet oder gar empört über ihre Unbeherrschtheit.

      Er sah sie nur an, ruhig und ernst, mit seinen schönen, braunen Augen, und plötzlich waren ihre Wut und ihre ganze selbstgerechte Empörung verschwunden. Ihr wurde bewusst, dass er recht hatte, mit dem, was er gesagt hatte: dass sie im Begriff war, sich selbst zu verlieren. Und gleichzeitig wusste sie, dass sie dennoch weitermachen würde, weil ihre Angst zu groß war, die Wahrheit zu sagen.

      Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, dachte Dorothea.

      Traugott hustete den halben Tag und die ganze Nacht. Die Arbeit in der Weberei bekommt ihm nicht, sagte Dorotheas Mutter. Sie verstand nicht, was ihr Vater antwortete, vermutlich sagte er, dass es keine Frage war, dass sie seinen Lohn bräuchten und er im Übrigen schon wieder auf die Beine käme. Aber Traugott kam nicht wieder auf die Beine, stattdessen begann er Blut zu spucken und Dorothea holte Dr. Kuhn, obwohl ihre Eltern die Heilung von Krankheiten sonst immer in die Hände des allmächtigen Gottes legten.

      »Schwindsucht«, konstatierte Kuhn, während

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