Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit страница 8
Es kamen auch ausländische Journalisten an unseren Tisch. Knickerbocker, dessen Buch Deutschland so (Hakenkreuz) oder so (Hammer und Sichel) ein Bestseller war. Er hatte in ganz Deutschland vom Untergang an den Reparationen gehört, (zum Beispiel hatte Reusch, der Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, gesagt: »Wenn Frankreich nicht unsere politischen Schulden streicht, stehen wir Deutschen vor einem geistigen Zusammenbruch.«) Von Knickerbockers Tatsachen wurde nicht Notiz genommen: deutsche Stahlausfuhr dreimal so groß wie die amerikanische, Stickstoffwerke allein könnten Reparationen decken. Beruhigend war aber sein Besuch bei Klagges: »Bürgerkrieg, Blutvergießen und Anarchie: das ist es, was viele unter den Gegnern der Nationalsozialisten dem deutschen Reich für den Fall prophezeien, daß Hitler ans Ruder kommt. Umsturz der internationalen Vereinbarungen, wirre Verhältnisse auf dem Kontinent, vielleicht ein Revanchekrieg.« … Und nun will er den Amerikanern die Wahrheit sagen:
»Der einzige Nationalsozialist, der bereits an der Macht ist, erwies sich als eine humorvolle und ausgeglichene Persönlichkeit mit überraschend gemäßigtem politischen Standpunkt, dessen Hauptneigung nur schwer mit dem Ruf der Nationalsozialisten, blutrünstig zu sein, in Einklang zu bringen ist, diese Neigung galt seinen fünf Kindern … Die meisten Hitlerianer tragen angeblich Schlagringe. Der hier hatte einen Ehering an der Hand. Die meisten Hitlerianer sind angeblich überaus brutal. Dieser hier sieht dem liberalen und menschenfreundlichen Herausgeber der New Republic, Mr. Bruce Bliven, so ähnlich, daß er sein Zwillingsbruder sein könnte … Der Besuch in der Wohnung des Herrn Klagges hatte eine ebenso beruhigende Wirkung wie die Unterredung mit ihm. Vater Dietrich, Frau Mali und die fünf kleinen Germanen mit den ganz germanischen Namen, Ingrim, Hugdietrich, Irmhild, Rainer und Waltraut boten ein Bild des Familienglücks, das unmöglich mit den Vorstellungen in Einklang zu bringen war, die man sich nach den Karikaturen gemeinhin von den Nazis macht.« Trotz dieses Quatsches ist Knickerbocker ehrlich genug, die Sturmabteilungen zu erwähnen, und trotz der »Gesetzesfürchtigkeit und Ordnungsliebe des deutschen Volkes« seien Morde vorgekommen, aber immerhin auch bei Klagges habe er jene Redlichkeit gefunden, die die Zinsen für die amerikanischen Anleihen bezahlen würde. Auch der französische Journalist Kessel sagte mir am Telefon, als ich ihn warnen wollte, daß Göring ganz ungewöhnlich angenehme Manieren habe. Im Gegensatz zu mir schien er sagen zu wollen. Ich dankte und legte den Hörer auf.
Was konnten diese unabhängigen Deutschen erwidern, wenn Amerikaner und Franzosen andeuteten, die Nationalsozialisten schienen doch gar nichts anders zu wollen, als den schandbaren Versailler Vertrag zu revidieren, die Größe ihres Vaterlands, den Deutschen wieder Selbstachtung zu geben. Sehr schwer zu sagen: »Das sind Gangster. Sie irren sich.«
Komisch war auch, daß unsre angelsächsischen Besucher so entsetzt waren über Dinge, die sie in Paris ganz selbstverständlich fanden. »Pre-Hitler Berlin was a sink of iniquity. The fingers of any moderately fussy patriot must have itched to springclean it. Its male prostitution alone with their india rubber breasts and padded hips – the fair hostesses of Eldorado – were a standing invitation to the puritan to organize a ›March on Berlin‹«, schrieb Wyndham Lewis. Ich weiß nicht, wer in Londons Fleet Street den Tip »Eldorado« und »Mali und Igel« gegeben hat, aber genauso gut hätten wir alle einen Falschspielerklub in Soho als Charakteristikum von London ansehen und finden können, deswegen müßte die englische Demokratie gestürzt werden.
»Eldorado« und »Mali und Igel« waren, am Gesamtbild dieser gewaltigen Stadt gemessen, irrelevant, genauso irrelevant wie Isherwoods Hurenpension in der berüchtigten Motzstraße. Das Allerkomischste dieser Überbewertung ist, daß bei Isherwood aber auch die Journalistinnen, die von ihren Besuchen im Eldorado und Mali und Igel erzählten, Kommunisten waren. Die freundliche Unterstützung der Nazis haben solche Schriftsteller ausgezeichnet vorbereitet. Wenn man in der angelsächsischen Welt kratzt, kommt kein Barbar, sondern ein Puritaner heraus. Die wirklich gefährlichen und unsittlichen männlichen Prostituierten waren jene Naziführer, die von den angelsächsischen Literaten für Patrioten gehalten wurden im Gegensatz zu den Leuten an unserem Stammtisch, die nichts waren als »zersetzende Elemente«.
Im Winter 1932, November oder Dezember, trafen wir uns noch einmal nicht im, aber am ›Capri‹. Olden, Kiaulehn, ich standen in einem Hausflur und sahen hinüber auf unser ›Capri‹, das ein SA-Verkehrslokal geworden war. Wir waren vertrieben, bevor wir noch vertrieben waren.
Niemand hatte daran gedacht, von der Wand hinter dem Tisch die Ansichtskarten eines großen Teils der europäischen Intellektuellen zu retten, die sie an uns geschrieben hatten.
Reise nach Griechenland 1927
Friede in Europa. Briand und Stresemann hatten sich in Locarno getroffen, und Austen Chamberlain hatte Stresemann den Liebestrank in der Guildhall kredenzt.
Ich fuhr nach Griechenland, um eine Freundin und ihre Ausgrabungen zu besuchen. Der Mond stand hoch, die Augustnacht war warm im Hafen von Triest. Ein Flugzeug hob sich vom Wasser, ein Segelschiff flitzte mit Marinesoldaten dahin, übers Wasser hörte man »Giovinezza« singen. Neben mir stand ein Italiener. »Sehen Sie sich diese verrückte Jugend an! Krieg und nochmal Krieg!« Er gehörte meiner, der Kriegsgeneration des ersten Weltkrieges, an.
So ging das internationale Gespräch: »Oh yes – mais oui – si si – ne, ne. Es ist auch bei uns schlecht. Vor dem Krieg da ging es uns gut, aber jetzt – die Steuern, die taxes, die Inflation, die zweite Zwangsanleihe für die Flüchtlinge (griechisch) – mein Sohn fiel in Frankreich – Haben Sie die Kirchhöfe gesehen? In Triest? An der Somme? In Jerusalem? In Flandern? In Saloniki? Tja. Da liegt unsere Jugend. Und die blieben? Alle kaputt – Wir haben schlechte Zeiten. Keine Arbeit – si, si – eine internationale Handelskrise.«
»A devilish thing«, sagte die Engländerin, »mein Bruder war in Deutschland gefangen, in Krefeld, er kam schwindsüchtig nach Hause. Wir schickten ihn nach Afrika, yes, and the other one has bad nerves.«
Ich saß neben einem alten Matrosen aus Fiume auf aufgerollten