Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit страница 10

Автор:
Серия:
Издательство:
Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit

Скачать книгу

zeigen. Dazwischen gab es eine Geschichte von einem Mord im Palacehotel. Ich drehte die Zeitschrift um, und was stand darauf? Nichts geringeres als Das Leben.

      Das sahen sich Millionen Menschen im Kino an und das war ihre Lektüre. Das alles, dachte ich, ist zum Untergang reif. Ich hatte eine Offenbarung empfangen. Ich wußte, was das Leben ist von Uranfang an. Fische fangen im Meer, mit seinem Mann schlafen, Kinder zur Welt bringen, Kinder sterben sehen, krank werden, zurückgebracht werden zum Staube, aus dem man genommen ward. So war das wahre Leben, das himmlische unbewußte Leben.

      Diese meine Sehnsucht und diese meine Offenbarung waren keine private Offenbarung und keine private Sehnsucht. Hunderttausende hatten die gleiche Sehnsucht. Es war das Mißbehagen an der Kultur. Es war eine von den Ingredienzen, aus denen der Nazipudding gekocht wurde.

      Der regierende Engländer war das, was wir in Preußen albern genannt hätten. Aber schon am ersten Tag der Reise wurde mir klar, daß ich es mit einer überragenden Intelligenz zu tun hatte. Jeden Morgen rief er mir entgegen: »Hallo, what about the love story of the fat Englishman?« »Sorry, no material«, sagte ich. So fing der Tag an und so setzte sich das fort bis zum Abend. Ich nannte ihn von Zeit zu Zeit zu mir selber »Geheimrat« oder »Excellenz«, um mir den Unterschied klarzumachen. In Deutschland hatte man Probleme, in Deutschland hielt man immer eine Fahne hoch, in Deutschland war es unfein, es sich so wohl wie möglich sein zu lassen. Man hatte zu leiden: unter der Schande des Versailler Vertrags, unter dem Mangel an Sozialisierung oder unter sonst was.

      Am tollsten war es, als wir von Brindisi abfuhren. Der dortige Konsul sprach mit zwei winzigen Kinderfähnchen Flaggensprache, noch dazu auf zwei Kisten stehend. Unserer erwiderte im Stil eines englischen Clowns. Ich hatte nicht gewußt, daß hohe Beamte, Männer von vierzig Jahren sich so wie lustige Schuljungen benehmen konnten, und obwohl mir klar war, daß der Lustige Schuljungen-Ton genau so ein Comment war wie das Hackenschlagen der preußischen Offiziere, war es eine beneidenswerte Haltung.

      Am selben Tag hatte ich grundlegenden politischen Unterricht von ihm empfangen.

      Mir waren zwar immer die zu weiten Breeches und zu hohen Kragen der italienischen Offiziere auf die Nerven gegangen, aber Mussolini erschien mir doch als Nachfolger Cäsars. Und Cäsar liebte ich nach der Darstellung Mommsens, und weil man uns in der Schule gelehrt hatte, Cäsar zu bewundern. Als ich mit dem Engländer durch Brindisi ging, kamen wir an einem Denkmal vorbei, an dem mit goldenen Buchstaben stand: »Hier ruht der heldenhafte Roberto Giuseppe Schniprikapazzo, der im heroischen Kampf gegen die roten Verbrecher sein junges wertvolles Leben um des Vaterlandes willen aushauchte. Evviva Italia, evviva il Duce.«

      Der Engländer las das durch, dann blies er sich auf, hob die gekrümmten Arme bis zur Brust. Es machte den heldenhaften Schniprikapazzo endgültig lächerlich. »So sehen Sie das?« sagte ich.

      »Wie denn sonst?«

      »Sie glauben also nicht, daß Mussolini den Wohlstand Italiens hebt, für Ruhe und Ordnung sorgt?«

      Der Engländer quakte mit cäsarischen Gesten, und dann sagte er: »Awful lot« (Gräuliche Bande).

      Es war der Anfang vielen Nachdenkens und das Ende meiner Heldenverehrung.

      Ganz aus war es damit, als wir genau zwölf Jahre später im verdunkelten Winter 1939 in London den Shakespearschen Julius Caesar sahen, einen nervösen Diktator, einen Epileptiker, der mit Schaum vor dem Munde hinfällt, der nicht schlafen kann, der Leute nicht leiden kann, die denken und lesen, der sich aufbläht: »Ich fürchte nicht … Doch wenn ich überhaupt fähig wäre, was zu fürchten …« Und als ihm die Frauen zujubeln, sagt Caska, der Börsianer von ihnen: »Wenn er ihre Mütter getötet hätte, würden sie ihm genau so zujubeln.« Alles von Shakespeare, nicht bearbeitet, nichts geändert. Und über die Worte, an denen wir uns in der Schule berauscht haben: »Mir haben stets Gefahren im Rücken nur gedroht; wenn sie die Stirn des Cäsars sehen werden, sind sie verschwunden«, lachten die Londoner. Aus dem Munde eines aufgeregten Herrn in Pumphosen und Militärstiefeln klang es ja wirklich nur großmäulig und dumm: »Die Gefahr«, rief er, »weiß ganz genau, daß Cäsar gefährlicher ist als sie! Wir sind zwei Zwillingslöwen, nur daß ich der ältere und schrecklichere bin!«

      Hand aufs Herz, wer von uns hat gelacht, wenn Julius Cäsar erklärte, er sei das Zwillingskind der Gefahr und ein schrecklicher Löwe?

      Wir hörten auch eine schauerliche Szene. Der von Antonius aufgehetzte Mob trifft Cinna den Poeten und verhört ihn und fragt ihn nach seinem Namen, und als er »Cinna« sagt, rufen sie: »Schlagt ihn tot!«

      »Ich bin der Dichter Cinna, ich bin nicht der Verschwörer Cinna.«

      »Ganz gleich. Er heißt Cinna.« Und dann wird er auf offener Bühne totgeschlagen.

      Diese Begebenheit wurde nicht von Shakespeare erfunden. Sie ist wahr und von Plutarch überliefert. Uns aber im Londoner Theater überlief es kalt, niemand anderes ist der Dichter Cinna als der Musiker Willy Schmidt, der aus Namensverwechslung ermordet wurde am 30. Juni 1934 in München, wie der Dichter Cinna aus Namensverwechslung ermordet wurde am 16. März 44 v. Ch. in Rom. Das eine Mal ein Dichter, das andre Mal ein Musiker. Der Mob vergreift sich am liebsten an den Zarten.

      1980 wurde am BBC gesagt, daß die Cinna-Szene der Angelpunkt des Stückes sei. Sie wurde in deutschen Aufführungen meist weggelassen. Es ist auch welthistorisch interessant, daß der Julius Cäsar im verdunkelten London des Winters 1939/40 in moderner Faschistenuniform gespielt wurde. Mussolini, das war der Feind, seine afrikanischen Abenteuer, der Seeweg nach Indien gefährdet, der Suezkanal, das Mittelmeer. Was ging einen Engländer die Tschechoslowakei an?

      Am selben Tag in Brindisi nahm mich die englische Gesellschaft in ein dem Schiff gegenüberliegendes Hotel mit. Wir saßen bequem in der Halle, als der Kellner sich dem Regierenden näherte und mit der Serviette wedelte. Der winkte ab: »We are only sitting down, there is our boat.«

      Ich wurde rot. Ich dachte an meinen Vater, der zu sagen pflegte, wenn wir in ein Wirtshaus gingen: »Man muß dem Wirt was zu verdienen geben.«

      Am späten Abend lag ich noch im Liegestuhl. Der junge italienische Offizier, der mir seit dem Beginn der Reise folgte, saß auf einem Feldstuhl. Wir schwiegen. An diesem Abend wurde ich ihm freundlicher gesinnt. Irr dich nicht, sagte ich in Gedanken, ich gehöre nicht zu den Mächtigen, auch wenn ich den ganzen Tag mit ihnen zusammen bin. Wenn du und ich in ein Hotel gehen, dann müssen wir vorher in unserem Portemonnaie nachsehen, ob wir genug Geld haben, und wenn ein Mensch müde Füße hat und er geht in so ein Hotel und setzt sich in einen weichen Sessel, dann schmeißen sie ihn raus. Aber ein englischer Regierer, der darf. Warum? Weil er Macht hinter sich hat. Wenn man zum britischen Empire gehört, dann setzt man sich in die weichen Sessel umsonst. Aber wir beide haben keine Macht.

      Als wir in Venedig das Schiff verließen, gab mir der Engländer seine Visitenkarte, die ich verlor. Ich kam nicht auf die Idee, sie könnte für mich wichtig sein. Ich brauchte keine Adressen. Das Berliner Telefonbuch genügte.

      In München fand ich Heinzens sorgfältig vorbereiteten Plan mit allen Zügen und Anschlüssen, genau wie es mein Vater gemacht hätte, indem er das dicke gelbe Kursbuch wälzte. Er würde mich in Weimar vom Bahnhof abholen. Falls wir uns verfehlten: Zimmer im Erbprinzen. Im Coupé München/Weimar saß nur eine nette junge Norddeutsche, die aus Wien kam, wo sie studiert hatte.

      Sie half mir mit dem Gepäck, und wir unterhielten uns ausgezeichnet. Später in London hatte Heinz zweimal dasselbe ulkige Erlebnis, es sprachen ihn großgewachsene Intellektuelle an und fragten: »Cambridge?« »Oxford?«, weil sie offenbar annahmen, so ein Geschöpf wie sie selber könne nur zu einer der alten Universitäten gehören, also ein Kollege sein. Heinz konnte nur den Kopf schütteln

Скачать книгу