Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit

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Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit

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in Fiume, sehr schlecht, Fiume liegt still, der Handel geht über Giurgiu.«

      Das Meer war bewegt, das Schiff klein. Der Steward läutete, aber die Herren waren seekrank. Die Engländerin und ich aßen allein. Sie züchtete Wicken in Sussex. Sie war nach Deutschland gefahren, weil sie das Land kennenlernen wollte, gegen dessen ›Prussian customs‹ sie soviel Vorurteil hatte, und sie hatte fleißige Menschen gesehen, und freundlich war man überall gewesen. Wo waren die ›Prussian customs‹?«

      In der Nacht las ich weiter in der griechischen Geschichte von Professor Wilcken, die gerade herausgekommen war, und fand folgenden Satz: »Ein schöner Zug ist es, daß nur dem Helden, der im Kampf gefallen ist, ein besseres Los im Jenseits winkt. Wie irrig war es doch, wenn man gelegentlich die Babylonier zu Pazifisten machte, die nur dem Ausbau der Kultur gelebt hätten!«

      Genau das waren die ›Prussian customs‹, die die Engländerin vergeblich in der Freundlichkeit der Menschen und der Schönheit der deutschen Städte gesucht hatte. Ein Vertreter der höchsten deutschen Geistigkeit fand 1927 Pazifismus und Leben für den Ausbau der Kultur einen Makel, von dem man ein großes Volk reinwaschen mußte.

      Nur im Süden lebt der Mensch. Der Rand des Mittelmeers ist seine Heimat. Hier wächst der Feigenbaum des Paradieses, hier ist der Dornbusch, aus dem Gott zu Moses sprach, hier fällt das Samenkorn zwischen die Steine und wird vom Winde verweht wie im Gleichnis vom Sämann, hier ist der Weinstock Noahs und des Götteropfers. Hier ist der Ölzweig, den die Friedenstaube heimbrachte und mit dem sich zu Olympia der Sieger kränzte. Hier trafen in der hellen Luft die Göttinnen auf Paris, den Ziegenhirten.

      Einfach ist das Leben von Ewigkeiten her. Fischerboote mit großen braunen Segeln fahren abends aus dem Hafen hinaus. Morgens kehren sie heim mit Früchten vom Peloponnes, kindskopfgroßen Tomaten, Pfirsichen, Auberginen und Fischen. Frauen und Kinder kommen, holen die Nahrung, braten auf dem primitiven Dreifuß mit Reisigholz die Fische.

      In Gewölben haust das Handwerk, der Schuster, der Schlosser, der Tischler. Die Esel kommen vom Töpfer, tragen schwerbeladen die Tonkrüge zum Schiff, das wie vor sechstausend Jahren äginetische Keramik nach Attika bringt. Wie vor sechstausend Jahren kommen Schiffe, beladen mit Weizen, vom Pontus Euxinus. Vor den Häusern ist ein grauer Brei. Das ist mit Wasser vermischter Lehm zum Hausbau. Weiter im Lande aber macht der Bauer alles allein. Er kompliziert nicht sein Dasein, indem er es durch Vereinigung mit anderen erleichtern will. Nur in einem rosa getünchten Hause mit blauen Läden in einer engen Gasse, durch die man auf das Meer sieht, steht in einer Wohnstube ein Tisch mit jenem kleinen Apparat aus Holz und Messingteilen, den man Telegraph nennt.

      Wir waren stundenlang auf dem Esel geritten in einer menschenleeren kahlen Berglandschaft. Nun wanderten wir den steilen Bergweg zum Tempel hinauf. Oben wohnte der Tempelwächter, der Phylax. Er gab uns einen Tonkrug voll Wasser, sein kleiner schwarzer Hund trottete neben uns. Wir aßen unser Mittag, Ölsardinen, Eier, Tomaten, Weißbrot in der unbewegten Glut eines griechischen Julitages. Die kleine schwarze Kreatur machte Ordnung, fraß die Brotkrumen, leckte das Öl aus der Büchse und legte sich auf die andere Seite zum Schlaf hin. Ich sah durch die Olivenbäume in den blauen Himmel, sah zur Seite den Tempel, weithin das Meer mit felsigen Inseln. Ich konnte nicht schlafen vor Glück, wach bleiben, verweilen, sich wiegen im Zauber der guten Stunde. Nie war man so glücklich, nie so dankbar, nie so ganz auf reinen Ton gestimmt. Es wird zu viel von einem verlangt im Westen, zu viel an Klugheit. Dir Wärme zu schaffen und Licht und einen gepolsterten Sitz, das kostet so viel, und fettes Fleisch und wollene oder gar pelzene Kleidung. Das verschlingt des Menschen Denken und Tun mit Haut und Haar. Hier in diesem Licht lebte ich wunschlos dem heiteren Augenblick, der klaren Freude.

      Das Haus, in dem wir übernachteten, war bewundernswert sauber, mein Kopfkissen war mit Sand gefüllt, der Boden gestampfter Lehm, das Licht eine Kerze in einem Flaschenhals. An der Wand hing eine amerikanische Flagge mit einer griechischen gekreuzt. Der Sohn war nach Amerika ausgewandert.

      Denn es gab nicht nur Klima und Schönheit. Ein uneheliches Kind wurde krank. Niemand ging zu seiner verzweifelten Mutter, außer meiner Freundin, die ihm helfen konnte. Die griechische Dame, bei der wir öfter Kaffee tranken, warnte uns, wir dürften uns nicht so gegen die Sitte stellen. Oder da waren die ganz jungen Mädchen, die eine Nonne zwang, zwölf Stunden am Tag mit einem Hämmerchen Mandeln aufzuklopfen und die Kerne in einen Korb zu werfen. Und in dem kleinen Hotel war ein Mädchen, das immer da war, immer Wasser trug, denn jeder Tropfen mußte vom Brunnen gebracht werden. Eines Tages warf sie sich auf den Boden und schrie. Man brachte sie in ihr Zimmer, das fensterlos war, Licht und Luft nur von der Tür erhielt, genau wie das Pellerhaus in Nürnberg, wie die Schlafzimmer in Pompeji, wie 361.000 fensterlose Zimmer in New York für die armen Einwanderer am Ende des 19. Jahrhunderts. Sie schrie stundenlang. Am nächsten Tag erschien sie, als ob nichts geschehen sei, holte Wasser, kehrte den Boden, brachte Kaffee, ich weiß nicht, wie viele Stunden am Tag. Auch persönlich war es nicht ganz unbewölkt. Ich war ärgerlich, weil ich noch keine Zeile von Heinz bekommen hatte, und wollte schon einen meiner hemmungslosen Wutbriefe schreiben, über die sich jeder in meiner Familie ärgerte. Meine Freundin, zwanzig Jahre älter als ich, eine Frau, die viele Liebhaber gehabt hatte, riet mir dringend ab. Ich könnte ja gar nicht wissen, was passiert sei. Tatsächlich, als ich nach Athen kam, lagen zwölf Briefe im Hotel, die sie nicht weitergeschickt hatten. Das war etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Ich telegraphierte sofort, da Heinz mich treffen wollte: »Briefe erst jetzt vorgefunden, bitte um genaue Anweisungen, München hauptpostlagernd.« Und was, wenn er mich in Italien oder Tirol treffen wollte, dann war es ganz dämlich?

      Athen war eine traurige Stadt. Wie konnte das Land eine und eine halbe Million Flüchtlinge absorbieren? Schon wurde das Geld abgewertet. Es handelte sich um Griechen, die aus der Türkei ausgewiesen worden waren nach dem Massaker von Smyrna, wo die Schiffe der Großmächte, der Franzosen und Engländer nämlich, die ins Meer springenden Griechen nicht gerettet hatten. Die Stadt hatte keine Wasserleitung, und so sah auch alles aus, staubig und kahl und blumenlos. Und überall waren die Zelte und sonstigen provisorischen Behausungen der Flüchtlinge. Schon sechs Jahre später war es verändert. Athen hatte Wasser und überall sproß und blühte es. Die kleinasiatischen Flüchtlinge hatten mit ihrer Intelligenz und ihrer Zahl das Land nur bereichert.

      Das Schiff, mit dem ich nach Italien zurückfuhr, war sehr voll. Die Engländerin von der Hinfahrt war wieder auf dem Schiff und sorgte dafür, daß ich an den Tisch des Kapitäns kam. Warum? Weil ich einfache Baumwollkittel trug, meine Haare, wie sie gewachsen waren, weder Puder noch Lippenstift benutzte. Auch in Preußen hatte man einfach zu sein, wenn man dazugehören wollte. Der Snobismus der Schlichtheit.

      Das Schiff wackelte, die Brötchen fielen vom Tisch. »Was der Philipp essen wollt, unten auf der Erde rollt«, sagte ein Engländer, der im – wie man das damals nannte – Vorderen Orient regierte. »Und die Mutter blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum«, setzte ich auf deutsch fort. Der Struwwelpeter als gemeinsame europäische Kultur. An unserem Tisch saß die Frau eines hohen französischen Beamten aus Syrien. Sie trug ein schwarzes Kleid mit Stehkragen und kehrte mit den Rüschen ihres Rockes das Schiff auf, zu einer Zeit, als wir kniefrei gingen. Sie mißbilligte, daß die Engländer mich, eine Deutsche, dazurechneten. Es gab auch ein ganz junges griechisches Mädchen mit einem klassischen Gesicht. Sie fuhr nach Paris und träumte von Kleidern von Chanel und von Wiener Operetten.

      In der zweiten Klasse war ein nervöser kleiner Deutscher, der versuchte, die Umsitzenden mit seiner Begeisterung zu erfüllen. Er hatte ein Leben lang gespart für diese Reise. Er war Oberlehrer in Hamburg. »Das ist Ithaka«, sagte er aufgeregt, »dort wohnte Eumaios, der Schweinehirt, und dort sehen Sie den Weg, dort genau war es, wo Telemach seinem Vater Odysseus entgegenging«. Kein Mensch hörte ihm zu. Einer hatte ihm den Liegestuhl weggenommen. Er sagte zu dem Mann: »It is not noble of you.« Ein rührender hilfloser Mensch. Würde er später zu den Vernichtern oder den Vernichteten gehören?

      Ein Herr borgte mir eine illustrierte Zeitschrift. Koffer bildeten die Staffage

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