Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit страница 12

Автор:
Серия:
Издательство:
Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit

Скачать книгу

waren die Liebenswürdigkeit selbst, und nicht für einen Moment verloren sie, die sich anschickten die tödlichste Armee der Welt zu schaffen, ihr konziliantes Lächeln. Sie würdigten die Männer auf der Anklagebank keines Blicks.

      Denn das war die Unterwelt, von der der gute Bürger aller Zeiten und Länder keine Notiz nehmen will, wo sich Draufgängertum und Verbrechertum schneiden, wo das Gewissen erstickt ist durch den Befehl, gedungene Mörder, Leutnants vom kleinen Herkommen, die fast noch als Schulknaben Herr wurden über Leben und Tod, ein Gott für Vater und Mutter und die Mädchen: »Mein Sohn, der Leutnant«, der nun reden konnte wie die feinen Leute: »Mein Kamerad vom Regiment X«, und nicht mehr heimfand in das bürgerliche Leben, den Zigarrenladen des Vaters.

      Oberleutnant Schulz wurde im Militärwaisenhaus aufgezogen, die menschlichen Beziehungen bestanden zeit seines Lebens in Befehl und Gehorsam. Dr. Dr. Ing. Stantien, Typus des staatsfeindlichen Studenten, völlig besessen von der Terminologie des Krieges, weil Lernen Unsinn scheint, Wissenschaft eine überlebte Angelegenheit, und wer war Nothelfer und wer Hochverräter? Klapproth war ein Riese, der Kopf nur Kinn, keine Stirn: »Wenn ich einen packe«, sagte er und hob die Hände über den Kopf, »und auf den Zementboden schmeiße, dann ist er eben ohnmächtig.« Schwere Eisenmuffen wurden in den Saal geschleppt. Einen Toten hat man mit ihnen ins Wasser versenkt. »Heute haben wir einen schwimmen lassen.« »Wenn der Auspuff offen ist und es knattert, kann der Schuß krachen.« Der Schuß, den Fuhrmann »ein Schüßchen in den Hinterkopf« nannte, eine Atmosphäre der Fußtritte, des Ochsenziemers. Was zehn Jahre später als der Anfang des Endes des alten Reiches begann, es war alles schon da.

      Der Kunstgewerbler Schmidt-Halbschuh, als eine Art von militärischem Wandervogel gekleidet, sagte: »Wir gründeten 1920 eine nationale Armee. Ziel der nationalen Armee war die Vernichtung der Republik in allen ihren Organen. Wir beschlossen die Tötung Severings, Seeckts und die Befreiung Ehrhardts.«

      Der Richter fragte: »Wie groß war die nationale Armee bei ihrer Gründung?«

      »Sechs Mann.«

      Auch die Nazis begannen mit sechs Mann. Warum Hitler und nicht Schmidt-Halbschuh? Oder: ein alter preußischer Beamter gibt vor, alles sei ordentlich zugegangen.

      Der Richter sagte: »Erlauben Sie mal, es sind doch Morde vorgekommen?«

      »Ja, ich habe davon gehört. Mir aber kann nicht zugemutet werden, daß ich Kameraden, ehrenwerte Männer, als Mörder betrachte.«

      Einer der Mörder nennt sich Tell. Das ist ein Programm. Es ist zu kompliziert, auf die Nachkriegswirren einzugehen, nur ein Beispiel: In Oberschlesien war Grenzschutz notwendig. Die fünfzig ungesühnten Morde, die dort geschahen, die als Selbstjustiz galten, hat sie das Recht gedeckt? Legal war es, dort einzutreten, illegal war die Organisation Consul, aber sie wurde wiederum legal, als sie in die Schwarze Reichswehr eingeschmolzen wurde. Man weiß, daß es sie gibt, die Parodie des »Krümpersystems« nach 1806, winzig, aber da, töricht, aber vergiftend.

      Noch ein finsterer Bursche trat auf, Heines auf Baldur, auf hellen Sonnengott getrimmt, in fast weißem Tweed mit kurzen Sporthosen und weißen Strümpfen mit breiten hellblauen Strumpfbändern mit Schleifen an den Außenseiten, hellblauer Krawatte, blonden langen flatternden Haaren, im Zuhörerraum junge Leute, die ihn anschwärmen wie normale Jünglinge eine Primadonna.

      Er ist es, der besonders gern die Menschen zu Tode prügelt.

      1933 wurde er Polizeipräsident von Breslau. Er ließ als erstes die jüdischen Richter die hohen Steintreppen des Gerichts hinunterwerfen.

      Breslau war die Hauptstadt der Provinz Schlesien, dem Land der alten Aristokratie, der Herzöge von Sagan, der Fürsten Pleß.

      Damals war die preußische sozialdemokratische Polizei noch völlig intakt. Damals waren noch die alten Beamten und Richter in ihren Ämtern. Damals existierte noch das alte Offizierskorps mit seinen berühmten Ehrbegriffen. Alle diese ließen einen homosexuellen Sadisten über Tod und Leben einer Million Seelen bestimmen.

      Heines wurde zusammen mit allen übrigen Fememördern am 30. Juni 1934 umgebracht, aber von seinen eigenen Leuten.

      Hitler war damals noch ein kleiner Mann. Man nahm an, er würde als Führer einer kleinen antisemitischen Partei im Reichstag enden. Er hatte einen Prozeß wegen eines Preßvergehens. Das Gerichtsgebäude wurde gesperrt, so daß alle Personen, die an diesem Morgen darin zu tun hatten, draußen warten mußten und einen Auflauf bildeten, der Neugierige anzog. Ein Mann, der die Entstehung des Auflaufs beobachtet hatte und nun die Menge sah, die unfreiwillig Spalier für Hitler bildete, sagte: »Die machen ja den Jungen mit Gewalt verrückt.«

      Die Angeklagten, Goebbels, Hitler und noch einige Nazis sahen aus, daß man sich keine Rasse vorstellen konnte, die sie zu den Ihren zählen möchte.

      Der ruhige Richter begann das Verhör: »Wie heißen Sie?«

      »Adolf Hitler.«

      »Wo sind Sie geboren?«

      »Braunau am Inn.«

      »Was haben Sie zur Sache zu sagen?«

      In diesem Moment begann Hitler zu schreien, er hielt eine Rede an eine Riesenversammlung, die nicht da war, er rief ein Volk auf, das nicht vorhanden war. Er keuchte, warf den Kopf zurück und redete ohne Unterlaß. Es wurde nicht klar, spielte Hitler den Hysteriker oder war er es, jedenfalls hätte sich niemand gewundert, wenn er hingefallen wäre oder Schreikrämpfe bekommen hätte.

      Der Richter war sehr erstaunt über diesen völlig fassungslosen Menschen und fragte: »Warum regen Sie sich denn so auf, Herr Hitler?«

      Hitler betonte immer wieder, daß er als ein so besonders anständiger Mensch seine Mitangeklagten nicht verraten werde. Er sagte ganz hemmungslos: »Ich als ein so besonders anständiger Mensch.«

      Im Zuhörerraum hatten etwa zehn Leute die erste Bank besetzt, junge Berliner Arbeiter, die sich besonders ordentlich angezogen hatten. Für diese Verbrecher hatten sie sich die Haare mit Wasser gebürstet. Als Hitler mit Gefolge den Raum verließ, erhoben sie sich im gleichen Moment, rissen den Arm hoch und riefen: »Heil Hitler.«

      Ich habe vierzig Jahre lang über diesen Prozeß nachgedacht, gedacht, was ich schon während des Prozesses dachte. Hitler und Goebbels saßen mir drei bis vier Meter gegenüber. Wenn ich einen Revolver besessen hätte und ich hätte sie erschossen, hätte ich fünfzig Millionen vor einem frühzeitigen Tod gerettet und ich wäre Judith II. geworden. Aber wer hätte das gewußt? Die Juden in Deutschland hätten es zu büßen gehabt, daß ich ein ungeteiltes Deutschland erhalten hätte, weil ich Deutschlands Retter ermordet, Retter wovor? Vor dem polnischen Korridor.

      Goebbels, der alle Fäden in der Hand hielt, beschuldigte bald einen hohen Beamten, bald einen Minister vom Landesverrat bis zum gemeinen Diebstahl, setzte einfach ein »Isaak« oder »Isidor« vor den Namen, gab allen Verbrechern jüdische Namen. Beleidigungsklagen wurden erhoben, aber Goebbels erscheint nicht vor Gericht. Und keine Regierung wagte oder wollte bereits 1929 Goebbels, das heißt einen nationalen Mann, verhaften. Der Oberstaatsanwalt Werner war ein Mitglied der NSDAP. Nun endlich kam Goebbels zum erstenmal, der Teufel der Volkssagen, ein Zwerg mit zu großem Kopf, Klumpfuß, schwarzen Haaren.

      Schwärmerische Mädchen flatterten um ihn. Sie tragen stilisierte Dirndlkleider mit kunstgewerblichem Schmuck, haben blonde Zöpfe um den Kopf, sind besonders hübsch. Deprimierend, wie sie sich dem Wunschbild der Nazis angeglichen haben. Das sind keine vier verschiedenen Geschöpfe, sondern »Das Weib«, unterscheidbar nur durch die Farben

Скачать книгу