Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit

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Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit

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bei der Einfahrt. Das Mädchen, das sich neben mich gestellt hatte, sagte entsetzt: »Aber das ist doch wohl ein Jude« und floh ins Abteil zurück und sagte kein Wort mehr. Der Gepäckträger, den Heinz schickte, nahm die Koffer aus dem Netz, und ich verließ wortlos das Coupé. Das Mädchen sah von ihrem Fensterplatz hinaus. Ich erzähle diese läppische Geschichte, weil sich nur aus tausend Einzelheiten die Atmosphäre erklären läßt, aus der es zu dem kam, was Walter Jens die »Jahrtausend-Katastrophe« nennt.

      Heinz war zum ersten Mal in Weimar. Ich war schon einmal mit den Eltern als Backfisch dort gewesen. Nun sahen wir alles zusammen an. Ich sehe ihn noch heute im bescheidenen Schillerschen Arbeitszimmer stehen mit der mit Arsenik getränkten giftgrünen Tapete, die wahrscheinlich zu Schillers frühem Tod beigetragen hat. Das Wittumspalais, jener Höhepunkt des Geschmacks, der Schönheit, der Verfeinerung kurz vor der Französischen Revolution. Heinz war hingerissen von der Bibliothek. Als wir das Goethehaus betraten, legte Heinz seine offene Hand auf den Mund und sagte: »Das ist ja ne Schloßtreppe, na verrückt, das verdirbt ja den ganzen Maßstab.« »Das hatte Goethe schon bedauert«, sagte ich. Wir sahen uns das Junozimmer und die Sammlungen, Goethes Gartenhaus und Tiefurt und das römische Haus an, die bescheidene Villa des Herzogs Karl August.

      Theodor Wolff gab zweimal eine volle Seite für meine griechische Reise. Das bekamen sonst nur die besonderen Auslandskorrespondenten. Höllriegel zum Beispiel.

      Und ich begann wieder, nach dieser griechischen Reise. Ich schrieb: »Man kommt zurück nach Europa nach vielen Wochen gelösten Inseldaseins, traumfern vom Gerauf, und kommt nach Moabit. Auf der Anklagebank zwei rote Frontkämpfer, ein alter SPD-Mann, ein Nationalsozialist, welches der Berliner in ›Nazialist‹ zusammenzog.« Noch konnte ich es nicht ernst nehmen. Ich nannte den Bericht: »Montag und Donnerstag Überfall. Heimkehr zu den deutschen Belangen.«

      Auf dem Korridor des Gerichts saßen auf zwei getrennten Bänken die gleichen jugendlichen Arbeiter. Rotfront die einen, Nazis die anderen. Dazwischen hielt einer die Leute auf dem Korridor am Jackenrevers fest: »Wie kommt denn die Polizei dazu, einen harmlosen Passanten festzunehmen? Im ›Feuchten Dreieck‹ war Preissingen. Wer die schönste Stimme hatte, bekam eine Gans. Ich kümmere mich nicht um die Politik, ich bin Waldpfeifer, ich gehöre einem Chor an. Ich bin nur für Frau Musika. Können ja nachfragen im ›Feuchten Dreieck‹.« Wenige Wochen früher war der abendliche Strom der Arbeiter des Osramwerkes über die Brücke gegangen, die das weite Eisenbahngelände überspannte. Eine typische Berliner Arbeitergegend, die Häuser fünf Stock hoch, und manchmal wohnten Hunderte von Menschen darin, im Vorderhaus, im Seitenflügel, im Hinterhaus. Die Toilette ist auf den Treppenabsätzen und die Wasserstelle auf dem Korridor, was beides von zehn Parteien benützt wurde. Auf der Straße stehen kümmerliche Bäume, aber sonst ist weit und breit kein grüner Fleck.

      Max Feldtke und Paul Spinner saßen auf einer Bank unter einem der Bäume.

      »Du weißt wohl, was ich von dir will?«

      »Kanns mir denken.«

      »Willste?«

      »Na klar.«

      »Ich fühle mich verpflichtet, dir aufzuklären, daß hohe Strafe auf Plakatekleben steht, wenn dich die rote Polizei zu fassen kriegt.«

      »Weiß.«

      »Also morgen abend, wir sind viere.«

      »Du kommst besser nich mit, Spinner.«

      »Wat is los? Ich nich mitkommen? Du hast wohl ne weiche Birne?«

      »Du bist doch zu alt für die Politik. Du bist doch schon zwanzig.«

      »Det is wahr.«

      »Du kannst doch nich mehr richtig wegloofen. Dir verhaften sie bloß.«

      »Na, is gut«, sagte Spinner, »klebt alleine.«

      »Kommste mit in ›Fliederbusch‹. Die Parteigenossen treffen sich heute dort.«

      »Jrossartjes Verkehrslokal der ›Fliederbusch‹. Ich habe dicke Schulden. Denkste der Wirt mahnt? Fürn P.G., hat er jesagt, tut er alles.«

      »Ick jeh heute abend dem Reichsbanner seinen Paukenschlegel klauen. Die Sozis können doch nischt andres als trommeln. Sind se doch aufgeschmissen ohne Paukenschlegel.«

      Ein paar Tage später sagte auf der gleichen Bank der Kommunist Ratschek zu dem Kommunisten Maier: »Dem Reichsbanner ist sein Paukenschlegel geklaut worden. Rotfront soll mitmachen bei der Wiedererlangung.«

      »Kommt janich in Frage«, sagte Maier, »ich werd den Sozialfaschisten helfen, diesen Verrätern an der arbeitenden Klasse. Nee, nee, auf keinen Fall.«

      »Sei kein Frosch. Die Nazialisten sind ganz gefährliche Brüder. Die nehmen uns die ganze Jugend weg. Kannste mir glauben, gefährliche Brüder. Ich bin mit Schulze in die 534. Gemeindeschule gegangen. Den kenn ich, wir arbeiten beide bei Osram. Det is son anständiger Kerl. Ich möchte dem helfen, den Nazis was auszuwischen.«

      »Das mußte auf deine eigene Kappe nehmen. Ich kann dir Rotfront nich als Rotfront zur Verfügung stellen. Da käme mir die KPD schön aufn Kopp. Aber wenn du heute abend in die Hinterstube vom ›Weißen Meer‹ gehst, kannste alle unsere Leute sprechen.«

      Sozis und Kommunisten versammelten sich zweihundert Mann stark. Einer kletterte durch das Fenster in das Parteilokal der Nazis und nahm den Paukenschlegel vom Tisch weg. Nur ein SA-Mann hatte Wache. Der mobilisierte seine Freunde und auf der Straße kams zum Zusammenstoß. Die Polizei kam rasch und nahm die meisten fest, sozialdemokratische Reichsbannerleute, kommunistische Rotfront, SA-Männer und zwei Verwundete, einen Nazi und einen Sozi. Alle waren über zwanzig. Die Sechszehn- und Siebzehnjährigen waren schneller als die Polizei gewesen. Hatte Feldtke recht behalten. Die waren entwischt.

      »Nun zum Angeklagten Spinner«, sagte der Richter, »das sieht ja nun böse aus. Bei Ihnen wurde ein Messer blitzen gesehen.«

      »Bei mir? Ich bin Schlächtergeselle, ich geh nich mitn Messer aus. Es war ein Malerpinsel.«

      »Warum soll denn ein Schlächtergeselle mit einem Malerpinsel ausgehen?«

      »Entschuldigen Sie«, sagte Feldtke, »mein Freund wollte mir die Stube streichen. Des is doch hoffentlich in der freien Repuplik noch nich verboten?«

      »Auch ein Schlächtergeselle legt abends sein Schanzzeug weg.«

      Die ganze Geschichte ist jetzt sechs Wochen her. »Ich bin aus die SA ausgetreten, ich bin nich mehr bei die Politik. Ich bin doch schon vierundzwanzig, Herr Richter. Ich widme mich nur noch dem Sport. Ich bin Ringkämpfer geworden.«

      Kann man das ernst nehmen? Ich nahm es nicht ernst. Niemand nahm es ernst. Ernst nahm ich es erst ein paar Jahre darauf, als mir Olden sagte: »Die Fememordprozesse sind öffentlich. Gehen Sie mal auf alle Fälle hin.«

      Auf der Sachverständigenbank saß die deutsche Oberschicht, saßen die Gründer der Reichswehr, der vorzüglich aussehende Hammerstein, der kleine plumpe subalterne Schleicher, dem niemand glauben würde, daß seine Ahnen schon im 13. Jahrhundert auf ihrer Burg saßen, Fritsch, der die Moltketradition des Schweigens fortsetzte, und Oberst Beck, alle mit den breiten Streifen des Großen Generalstabs. Das waren nach dem Gesetz der natürlichen Auslese die begabtesten Deutschen. Seit zweihundert Jahren war es in Preußen der oberste Ehrgeiz der obersten Schicht, daß ihre begabtesten

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