Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit страница 13

Автор:
Серия:
Издательство:
Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit

Скачать книгу

fragt: »Wie heißen Sie?« Und Goebbels antwortet nicht. Der Richter fragt: »Wo sind Sie geboren?« Und Goebbels antwortet nicht. Der Richter war hilflos. Herr Goebbels war stark – ein großer Teil der Richter stand hinter ihm. Denn Goebbels ist national. Der Richter konnte nicht wagen, gegen einen nationalen Mann vorzugehen. Schon damals kamen sozialistische oder republikanische Richter nicht vorwärts. Der Richter, der kein Wort aus Goebbels herausbrachte, verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe. Das war ganz formal, denn die nächste Instanz würde das Urteil aufheben, oder wenn sie es nicht aufhob, so würde ihn doch niemand verhaften.

      Vor dem Gerichtseingang stand ein Zeitungshändler, Hakenkreuz an der Armbinde, den Hut ringsum mit Hakenkreuzfähnchen besteckt, Hakenkreuzfahne im Knopfloch. Er trug braune Hosen militärisch in den Stulpenstiefeln, eine Ziviljacke. Die Überschrift der Zeitung war dick rot unterstrichen: »Rotmord tobt. Er schrie: ›Furchtbares Verbrechen des Juden Isidor Weiss!‹« Dr. Bernhard Weiss, der schon unter dem Kaiser ein Beamter war, war der makellose Schöpfer der sozialdemokratischen Polizei. Aber die Bevölkerung sagte: »Geht ja auch nicht, ein Jude Polizeipräsident.«

      Die Gerichte schritten nicht ein. Für den, der sich wundern mag, sind hier zwei Prozesse: Theodor Knobel, der Führer des Jungsturms in Guhrau, machte einen Ausflug mit den Jungen. Sie gingen über Wiesen, durch Wälder. Knobel ließ die Jungen am Judenfriedhof haltmachen. »Spuckt alle dreimal aus!« befahl er. Er wurde wegen Religionsschändung angeklagt. Das Gericht in Glogau sprach ihn frei. Religionsschändung liege nicht vor, denn Knobel habe nicht die religiöse Gemeinschaft der Juden, sondern die jüdische Rasse treffen wollen.

      Wandervögel zogen in die deutschen Wälder, sie hatten Lauten mit vielen bunten Bändern, entzückende Bänder, die die Mädchen für ihre Freunde bestickt hatten mit Vergißmeinicht und mit alten weisen Sprüchen. Und wenn sie durch die Dörfer zogen, dann sangen sie: »Ich hört ein Bächlein rauschen« und »Blut muß fließen, Judenblut«.

      Die Gerichte lehnten es ab, dagegen einzuschreiten, denn es gab nur ein Vergehen wegen Aufreizung zum Klassenhaß, aber die Juden seien keine Klasse, sondern eine Rasse.

      Die entstehenden Prozesse waren mittelalterlich, denn die Nazis und die Kommunisten hatten das Institut des Eideshelfers wieder eingeführt. Zeuge war der politische Gegner. Die Seite, die die meisten Meineide schwor, gewann. Damit hatten die Nazis angefangen.

      Die Narretei war die Typisierung des Menschen, die Verwerfung der Renaissance, die den Menschen als Individuum entdeckt hatte, was jahrhundertelang Europa zu Europa gemacht hat. Der Kommunist war und blieb ein Untermensch. Der Nazi war und blieb ein edelblütiger Germane. Man wurde gefoltert für etwas, was man vor sechs Wochen und jetzt schon nicht mehr war. Menschen sind keine Eichen, die Eichen bleiben, oder Buchen, die Buchen bleiben. Scheringer, der im Prozeß gegen die Ulmer Offiziere wegen nationalsozialistischer Propaganda zu Gefängnis verurteilt worden war, wurde noch im Gefängnis Mitglied der Kommunistischen Partei. Er schrieb in Die Linkskurve: »Die Volksrevolution in Deutschland, die Zerreißung der Tributverträge und der revolutionäre Krieg gegen die wahrscheinliche Intervention der Kapitalistischen Westmächte …« Fünfzehn junge Offiziere folgten ihm. Der Bombenleger Klaus Heim, von dem Falladas Roman Bauern, Bonzen, Bomben handelt, trat ebenfalls in die KPD ein, genau wie Bruno von Salomon, der Bruder des am Rathenaumord beteiligten Ernst von Salomon.

      Mit dieser Einschränkung: Wer waren die Nazis? Da war Pantel, ein Krümel im riesigen Brot Berlin, mit dem Wunschtraum aller farblosen Millionen, ein Held zu sein, das hieß 1930 ein wilder Nazi, gefürchtet von den Kommunisten, sie würden ihn überfallen, verwunden, nicht zu schwer natürlich, nur so, daß er einen Verband um Kopf und Arm haben könnte, er würde wie im Märchen sieben auf einen Streich erledigen, er würde eine Überschrift sein im Völkischen Beobachter »Parteigenosse Pantel – Opfer von Rotmord!« Die Zeitungshändler würden durch Berliner Straßen brüllen: »Pantel Opfer der Kommunisten!« Und die Mädchen würden sich um ihn reißen. Aber nichts geschah. So schrieb er einen Brief an die Rote Fahne:

      »Werte Genossen, ich mache Euch hier auf einen besonders gefährlichen Mann, namens Pantel, aufmerksam … Er muß umgelegt werden. Nieder mit der Hitlersau!«

      Aber er irrte sich in den Kommunisten. Die haben eine Weltanschauung, die individuelle Terrorakte verbietet. Schließlich lauerte er selber an einer Straßenecke, brach, als zwei Sozialdemokraten vorbeikamen, in den alten Straßenräuberruf aus: »Halt oder ich schieße«, und schoß wild um sich.

      Noch einfacher war der Fall Kunze. »Ihr Beruf?« fragte der Richter.

      »Ordonnanz des Standartenführers II der NSDAP.«

      »Ich denke Sie sind Postbote?«

      »Das auch«, sagte Kunze.

      Er kam aus wohlhabendem Kaufmannshaus. »Aber ich hatte keine Lust zum Schacher.« Der Vater kaufte ihm ein Gut. »Aber ich war nicht dafür. Ich wurde Nazi.«

      Und nun verfolgen ihn die Kommunisten. Da stand zum Beispiel ein Bettler vor seiner Tür. »Aber das war kein Bettler, das war ein Abgesandter der Kommunisten, der sich als Bettler ausgab.« Oder er ging in den Park, und da saßen auf der Bank, zunächst seinem Haus, lauter Kommunisten.

      »Wieso Kommunisten?« fragte der Richter.

      »Die Nazis in meiner Gegend kenne ich, und Zentrumsleute sitzen nicht auf Bänken.«

      »Warum aber Kommunisten?«

      »Ja, was denn sonst?«

      Er kam von einem Uniformappell der Nazis um sechs Uhr eines Sommerabends durch die Hauptstraße in Schöneberg, sah Leute vor einem Lokal stehen. »Heil Hitler!« riefen die höhnisch.

      »›Gott sei Dank, immer noch Heil Hitler, wenn ihr das wollt, kommt doch ran!‹ Und dann verfolgten sie mich, und in meiner Todesangst schoß ich hinter mich.« Er traf den sechzehnjährigen Lehrling Nathan zu Tode.

      Das Gericht sprach 1931 den Mörder eines Juden frei. Keiner fragte, warum er denn nicht einen Passanten angesprochen oder in einen Bus gestiegen sei. Staatsanwalt Steinäcker, dessen Namen ich nie mehr nach dem Krieg gehört habe, einer der großen Zerstörer, war es, der dem Mörder des sechzehnjährigen Lehrlings im Gewühl der sommerlichen Hauptstraße in Schöneberg um sechs Uhr nachmittags Notwehr erlaubte. Er war es, der den Sklarek-Prozeß zur Sensation, die Sklareks zu Verderbern des deutschen Volkes hochspielte, die ins Zuchthaus gehörten, der ein Verbrechen wie das des Pastors Cremer, der Gelder für die Innere Mission unterschlug, fast freundlich ansah. Er hat auch einmal gesagt: »Nicht im Namen des Volkes, sondern im Namen Hitlers wird Recht gesprochen werden als Prinzip. Man kann nicht gleichsetzen die idealen vaterländischen Forderungen der NSDAP-Bewegung mit der grob-materialistischen eigensüchtigen nur einer Volksklasse dienenden Ambition der KPD!«

      Im selben August 1932 stieg ich mit meinem vierjährigen Sohn am Bahnhof Tiergarten in ein Coupé der Stadtbahn. Steinäcker saß darin, ein gepeinigtes, haßerfülltes, tief unglückliches Gesicht. Er versuchte sofort auszusteigen. Aber der Zug fuhr schon. Er stellte sich also mit dem Rücken zum Coupé an die Tür. Am nächsten Bahnhof Zoo stieg er aus, rannte ein paar Coupés entlang, sah hinein. Im Konflikt zwischen Selbstmord und wieder mit Juden im Coupé zu sitzen, sprang er, als der Stationsvorsteher »Zurückbleiben!« schrie, in eine noch offene Tür.

      »Was war denn mit dem los?« fragte mein Sohn.

      »Varickt jeworn«, sagte ich in Heinzens Tonfall.

      »Der Liebende, nicht der Geliebte ist der Gesegnete. Das Gefäß schüttet sich in Fülle aus, aber der Becher setzt seiner Fülle die Grenze.« Der Hassende, nicht der Gehaßte, ist der Verdammte.

      Diese

Скачать книгу