Den Oridongo hinauf. Ingvar Ambjørnsen

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Den Oridongo hinauf - Ingvar Ambjørnsen

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und Berit Ausflüge gemacht habt, als ihr noch jung wart, und mit dem du in all den Jahren von und zu der Arbeit in der Werft unten auf Neset gefahren bist, wo Reinert jetzt nach dem Konkurs in tiefer Einsamkeit und Verwirrung regiert. Aber ich will nicht nach Neset. Heute Abend nicht. Heute Abend will ich im Gegenzeigersinn um die Insel fahren, durch Laugen und nach Norden, und ich werde bei Skurberg nicht anhalten, sondern vorübersausen, so, wie ich vor zwei Abenden vorübergesaust bin, ich steige nicht mehr bei Skurberg ab, das ist vorbei, wie so viel anderer Unsinn, unter den ich endlich ebenfalls einen Schlussstrich gezogen habe. Auf den Hängen vor Moholt muss ich mich auf die Pedale stellen und strampeln, und ich beschließe, dass es mein neues Ziel sein soll, die Hänge vor Moholt im Sitzen hochzufahren, ohne wirklichen Grund, ich habe nicht den Ehrgeiz, auf meine alten Tage noch zum Sportler zu werden, es ist nur eine Veränderung aus Liebe zur Veränderung, zu wissen, dass ich mich verändern kann, von einem zum anderen werden, durch Einstellung, Willen und Training stärker zu werden. Aber oben auf Moholt, da steige ich ab, da steigen wir beide ab, Magne, denn das hier ist etwas anderes als Skurberg, das hier ist der schönste Aussichtspunkt dieser Strecke, und von Berit weiß ich, dass ihr oft hier gesessen habt, auf der Bank an der kleinen Raststelle, um über den Sund vor Laugen hinauszublicken, den Sund zwischen Vaksøy und Binnøya, wo die Fähren an normalen Werktagen jede Stunde zweimal hin- und herpendeln, von 5.35 bis 21.05 Uhr, über den Sund, der jetzt wie ein dunkler Gürtel zwischen den etwas helleren Bergen auf beiden Ufern liegt, und ich steige vom Rad und lege es in den Kies, vorsichtig, ehe ich mich auf die Bank vor dem grob zurechtgehauenen Holztisch setze, den Raststättentisch, wo Kinder und Liebende mit Messern und Kronkorken ihre Initialen und Zinken eingeritzt haben. Und ist es nicht so, als säße ich zwischen euch? Zwischen dir und Berit? Doch. So ist das. Aber nicht als Fremder, nicht wie der, der gekommen ist, um Streit und Zwietracht zu säen, sondern als der Mann aus der Zukunft, der, über den ihr noch nichts wissen und den ihr erst recht nicht ahnen oder sehen könnt, aber wenn ich nun hier sitze, kann ich hören, wie ihr miteinander flüstert, über eine Zeit, die jetzt verschwunden ist, zurückgelegt, in die Ewigkeit verstoßen. Und es macht mir nichts aus, dich sagen zu hören, dass du sie liebst. Und es macht mir nichts aus, sie sagen zu hören, dass sie dich liebt. Und wenn es mir doch etwas ausmacht, dann tut es mir gut, dass sie, die mir später begegnen wird, eine Frau war, die geliebt wurde, die in sich, in ihrem Leben ruhte. Sie hätte mich sonst nicht aufnehmen können. Es wäre unmöglich gewesen. Damit kenne ich mich aus.

      Am Hang oberhalb der Kirche setzt die sparsame Straßenbeleuchtung von Laugen ein, sie sieht aus wie eine zerrissene Perlenkette, wie sie sich da im Zickzack am kurvenreichen Weg ins Zentrum hinzieht. Ja, nun habe ich auch das erlebt. Dass die zerstreute Bebauung unten am Anleger als Zentrum bezeichnet wird. Supermarkt. Gemeindehaus. Lensmannsbüro. Vielleicht zwanzig Läden. Die Wohnsiedlungen, die sich auf beiden Seiten bis zur Schule und zum stillgelegten Hallenbad hinfressen. Es ist kein Zentrum und es ist keine Stadt, denke ich, aber trotzdem sind das meine Stadt und mein Zentrum, so ist es geworden, so und nicht anders. Hierher bin ich an einem Frühlingstag vor zwei Jahren gekommen. Mit Hut. Es ist fast nicht zu glauben. Ich glaube es nicht, Magne! Da kam der Stadtmann mit seinem Hut auf dem Kopf und machte sich an die Wanderung den Strand entlang, mit Halbschuhen, Koffer und Tasche, in dem Glauben … Ich merke, dass ich noch immer rot werden kann, wenn ich daran denke, also sitze ich jetzt hier und glühe in der Dunkelheit, während ich unter mir die elektrischen Lampen funkeln sehe. Was für eine Vorstellung! Mit Hut und Halbschuhen. Koffer. Ein kleiner Abstecher in Richtung Viken. Über zwanzig Kilometer durch lockeren Sand, dazu Hagelschauer vom Meer her. Ohne Geld und unangemeldet. Aber, denke ich – das muss wohl auch erwähnt, mit in Betracht gezogen werden: mit reinem Herzen. Geläutert durch die Fahrt den Oridongo hinauf.

      Ich steige wieder auf das Rad und wir strampeln weiter nach Norden, jetzt durch den vom Wind geschundenen Wald, es geht ein wenig abwärts, ich lege ein gutes Tempo vor, ich liege über dem Lenker und genieße die kühle Herbstluft, die mir entgegenströmt, und ich denke an meinen nackten Schädel als an einen Stein in einem reißenden Fluss, die Wassermassen, die mich langsam abschleifen, kleine Partikel, die von mir abgerissen werden und mit der Strömung verschwinden, denn so ist es im Grunde doch: Ich fahre durch die Nacht, aber auch durch die Zeit, die mir zugewiesenen Stunden und Sekunden auf Erden, während mein Körper langsam aber sicher zersetzt wird, Molekül um Molekül, irgendwo habe ich gelesen, dass das, was wir normalerweise einfach Hausstaub nennen, in Wirklichkeit aus toten Zellen von Menschenkörpern besteht, Haufen von toten Zellen, von denen Milben und andere mikroskopisch kleine Tiere sich ernähren, die sie verzehren und hinten aus sich herauspressen, wie wir das mit Schweinebraten und Kartoffeln machen, so denke ich auf dem Hang hinab zu Kirche und Friedhof, wo du begraben bist, ehe der Weg sich langsam im Talinneren wieder hebt, ich lasse Laugen hinter mir, die Lichter verschwinden.

      Und bei Skurberg steigen wir nicht ab, das tun wir nicht, im Idealfall würden wir vorüberjagen, rasch und geschmeidig, aber was passiert, ist, dass das Tempo gedrosselt wird, mehr allerdings nicht, während ich die leuchtenden Fenster des Hauses dort unten suche, aber alle Lampen sind gelöscht, nur die Hoflampe über der Treppe brennt, dann will er wohl früh los, der alte Dachs, das ist eine Erleichterung, dann komme ich nicht in Versuchung, rein gar nicht, hier gibt es nichts, was man entdecken oder beobachten könnte.

      Gegenverkehr. Ein Auto. Ich höre es, ehe ich es sehe, denn hier oben, westlich von Skurberg, ist die Straße kurvenreich, sie führt zwischen tiefen Senken in der Landschaft dahin, rasch fahre ich zur Seite, ich lege das Rad flach auf den Boden und steige halbwegs in den Straßengraben. Gehe in die Hocke, als ich die beweglichen Lichter sehe, es ist nicht nur ein Auto, es sind zwei, die Fahrer fahren wie die Schweine, so, wie die hier oben Geborenen das eben machen, die die Wege auf der Insel so gut kennen wie ihre eigene Westentasche, sie fegen an mir vorbei und verschwinden mit Rallyegebrüll in der Nacht.

      Was mich dazu inspiriert, ebenfalls schneller zu werden, die Kurven hinunter zum Lovatn zu genießen, die Zentrifugalkraft auszukosten, die mich zu Felswänden und Gräben zieht und lockt, dieses gefährliche Saugen, das im Grunde gar nicht so gefährlich ist, da ich eine innere Karte des Straßennetzes der Insel besitze, nach den Hunderten von Stunden auf Drei- und Zweirad bei Licht und Dunkelheit, wenn auch nicht so gut wie die, die auf diesen Straßen unterwegs gewesen sind, seit sie alt genug dazu waren, also mit sieben Jahren oder schon früher.

      Trotzdem wäre es fast schiefgegangen. Es geht nicht schief, aber später werde ich denken, dass es um ein Haar schiefgegangen wäre, an diesem Abend an den Hängen zum Lovatn, denn als ich wie ein Geschoss um eine Kurve nach rechts jage, werde ich von einem blauweißen Licht geblendet, das hier absolut nichts zu suchen hat, und als ich auf der Rückbremse stehe, merke ich, dass meine Räder in etwas Feuchtem rutschen, das hier ebenfalls nichts zu suchen hat, es hat schließlich nicht geregnet. Mein Rad gerät ins Schlingern, es tanzt hin und her, ehe ich es endlich wieder unter Kontrolle habe und die Füße auf den Asphalt setze, dass das Blut nur so spritzt.

      Aber das hier ist zum Glück keine Familie mit vier Kindern auf dem Rückweg von einem Besuch bei der Oma. Es ist ein Kronhirsch mit geplatztem Bauch und gebrochenem Geweih. Es dampft vom Gedärm, das wie eine Wurstdolde im Blutgeschmiere liegt. Das scharfe Licht stammt von einer Laterne am Straßenrand und von zwei Wagen, die achtlos mitten auf der Fahrbahn halten. Die Windschutzscheibe des einen ist zersplittert, die des anderen ist unversehrt, wenn ich das richtig sehen kann, es ist der Dienstwagen des Lensmanns, Tharald Reine. Der zum Glück nicht anwesend ist, denke ich, denn jetzt sehe ich seine Assistentin Jenny Lydersen am Rand des Lichtfeldes stehen und mit einem in eine Wolldecke gewickelten alten Mann sprechen. Also hat sie heute Nacht Dienst. Sie scheint total in ihre Aufgabe vertieft zu sein. Tröstdienst. Schocklinderung. Mit ein wenig Glück…

      Dann ist die Stimme von Tharald Reine da. Dicht bei meinem linken Ohr. Ruhig. Flüsternd, wie ein indianischer Gott, der in Menschengestalt herabgestiegen ist.

      »Trainierst du für die Tour de France, Vågsvik? Allein? In der Dunkelheit? Ohne auch nur die kleinste Lampe?«

      Ich gebe keine Antwort. Ich betrachte Jenny Lydersens uniformiertes Hinterteil. Die runden Kurven unter dem synthetischen Stoff. Ich schäme

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