Den Oridongo hinauf. Ingvar Ambjørnsen

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Den Oridongo hinauf - Ingvar Ambjørnsen

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ja, von mir aus auch als jungen Mann, geboren und aufgewachsen hier oben auf einer Insel im Meer – ja, dann würde ich nicht so denken wie sie. Nein, ich bin ganz sicher, dass das nicht der Fall sein würde. Wenn ich hier in diesem Zimmer gelegen hätte, zum Beispiel mit einem Comic oder einem Abenteuerbuch, während der Sturm am Haus riss und zerrte, und während meine Eltern unten saßen und Radio hörten, dann hätte ich im Gegenteil gedacht: Hier will ich bleiben. Ich will immer hier sein. Wenn meine Eltern sterben, werde ich sie in den kargen Boden hinter der Kirche legen, und wenn der Pastor seinen und ich meinen Spruch aufgesagt haben, werde ich zu diesem Haus hier zurückkehren. Allein oder zusammen mit einer Frau. Darauf kommt es nicht so sehr an. Ich werde draußen in der Scheune Holz hacken und es sorgfältig bis zur Decke hoch stapeln, ich werde meine eigenen Mahlzeiten und meinen eigenen Kaffee kochen, und dann werde ich mich in den Schaukelstuhl am Ofen setzen und den Wetterbericht hören. Oder dem fernen Lärm lauschen, aus dem großen Studio in Oslo. Ich werde wissen, da unten sind sie, da sitzen sie und klatschen in die Hände, ich aber lege meine in den Schoß, auf einer Insel im Meer.

      Ja. Das weiß ich. Denn das dachte ich, das war mir sofort klar, als ich hierher nach Viken kam, in diesem Haus, das Berit und Magne Berits Onkel Bernt abgekauft hatten, dass vieles und allerlei so ganz anders hätte kommen können, wenn ich nur in dieser kargen Landschaft hier im Norden geboren worden wäre. Ich hätte keine großen Träume gehabt. Ich hätte garantiert nur den Traum gehabt, hier in Ruhe und Frieden meinen eigenen Kram machen zu dürfen.

      Aber daran hat es in der Stadt gefehlt. An Ruhe und Frieden. Mein eigener Kram wurde zu einer öffentlichen Angelegenheit.

      Die Hurtigrute. Da draußen in der Dunkelheit auf dem Weg nach Norden. Das Geräusch der großen Motoren. Die Wellen, die gegen die Ebbesteine schlagen, wenn das Schiff den engen Sund passiert. Ich bin so schläfrig. Halb denke ich, halb träume ich, ich liege wieder auf der Pritsche in der abgeschlossenen Kabine, es ist so heiß und eng und ungesund, und als der Schlaf mich endlich auf die andere Seite holt, sehe ich durch die Schiffswände den grünen Dschungel, und den schwarzen Strom, der uns auf seinem breiten Rücken trägt, immer tiefer in ein Land hinein, das ich nicht kenne, das zu verstehen mir die Voraussetzungen fehlen, ich kann mich nur festklammern und hoffen, nicht aufs Beste oder aufs Zweitbeste, sondern auf etwas tief unten auf dem Wunschzettel, eine Bagatelle, die das Leben leichter machen könnte, einen kühlenden Windhauch, oder vielleicht die Erinnerung an ein Lächeln. Es riecht nach Eisen und Öl, und meine Kabine liegt in einem goldenen Lichtschein, die Schotten scheinen im Halbdunkel zu glühen, ja, in den Eisenplatten haust eine innere Glut, und draußen zieht das Verlorenland vorüber, ich höre fremde Vögel in den Bäumen schreien, sie hallen durch den Motorenlärm, durch den Dunst aus Öl und Schweiß, und durch alles andere, wie den Gestank verängstigter Männer.

      Und ich träume von einem kleinen Jungen, oder einem kleinen Mädchen, das wechselt. Von einem Kind, das unter dem Bullauge am Tisch sitzt, mit baumelnden nackten Beinen und großen leeren Augen. Ein Kind, verloren in seinen eigenen Gedanken. Und es kommt vor, dass ich mit ihm rede, so, wie ich mich ab und zu an die Kleine wende, die dieses Zimmer bewohnt hat, die in diesem Bett geschlafen hat, sie, die die Tochter von Berit und Magne ist, oder zu dem kleinen namenlosen Jungen, im Grunde geht es wohl nur um ein Kind, weder Junge noch Mädchen, sondern einen Menschen, der neu ist auf einer alten Welt.

      Ich erwache, und mir stößt der Geschmack des Essens auf, der geräucherte Schellfisch, meine Schultern frieren ein wenig, ich ziehe die Schlummerdecke über mich und drehe mich zur Wand. So hat sie hier gelegen und sich in ihre eigene Zukunft hineinfantasiert. Ja, ganz bestimmt. Hier. In der Dunkelheit. Nach Hausaufgaben und Abendessen. Nachdem sie Platten gehört und in Zeitschriften über Pferde und Popstars gelesen hat. So, wie ich selbst in der warmen Dunkelheit in meinem eigenen Kinderzimmer gelegen und mich in der Zeit weitergeträumt habe, mit Jahrgängen von Käptn Miki und Davy Crockett im Regal, den schmalen Comicheften, die ich jeden Mittwoch unten am Kiosk kaufte und behandelte wie wertvolle Briefmarken. Aber wovon habe ich geträumt, was habe ich mir vorgestellt, wenn ich so dalag und auf den Schlaf wartete, nachdem für den Abend das Licht gelöscht worden war? Ich weiß es nicht mehr. Doch! Ich glaube, ich habe geträumt, dass es immer so bliebe. Mutter, die draußen im Wohnzimmer beschäftigt ist. Das Dröhnen der U-Bahn-Wagen, die im Tal hin und her fahren.

      Berit hat mir eine schöne kleine Geschichte aus der Zeit erzählt, als Lilly ein Mädchen von zwölf, dreizehn Jahren war. Ganz unaufgefordert, sollte ich wohl hinzufügen. Es hat sich so ergeben. Wir gingen am Strand entlang, wie wir das oft machen. Da werden so seltsame Dinge angeschwemmt. Nein. So seltsam sind sie wohl nicht. Es sind Fragmente aus den gelebten Leben anderer Menschen. Ein Schuh, halb im Sand begraben. Ein Schöpflöffel. Eine Einkaufstüte mit kyrillischer Schrift. Und eines Tages erzählt Berit mir von dieser Flaschenpost, die sie Lilly zu verschicken half. Im Meer aufgegeben. Den Brief, den Lilly auf Norwegisch und einer Art Englisch geschrieben hat. Hello! I am girl! Und so weiter. Eine Papierrolle, umschlossen von Glas. Wie verletzlich! Diese kleine Mitteilung, die in der Saftflasche steckt, und die bei Flut in den Sund hinaustreibt, zwischen Granit und Quarz, mitten in der Fahrrinne. Ich konnte es mir so gut vorstellen, denn ich hatte es mir als Junge auch vorgestellt. Was sie jetzt erzählte, war das, wovon ich selbst so oft geträumt hatte, wozu ich aber niemals eine Gelegenheit gefunden hatte. Und wenn ich hier unter der Schlummerdecke liege, denke ich: Wie gespannt muss sie gewesen sein, als sie hier im Bett gelegen und an diese Saftflasche gedacht hat, die draußen in Sturm und Regen treibt, oder die mitten auf dem Meer irgendwo in Windstille und Sonnenuntergang herumdümpelt. Unterwegs zu Menschen oder Dingen, über die man nichts wissen kann. Es muss großartig gewesen sein.

      »Und mehr als ein Jahr später bekommt sie Antwort«, sagt Berit. »Von einem fünfzehnjährigen Jungen. Stell dir das vor!«

      Und ich stelle es mir ziemlich oft vor. Vor allem, weil es so schön ist. Wie oft habe ich wohl über Mädchen in dem Alter gelesen, die für Jungen schwärmen, die einige Jahre älter sind als sie? Sehr oft. Und dann noch ein Däne. Ein Bursche aus Jütland, der unten im Flachland herumwandert und mit den Schuhen den Sand aufwühlt, fünfzehn und unglücklich. Dann eine Saftflasche von unbekannter Marke. Eine Schriftrolle vom Toten Meer. Ein Fragment eines unbekannten Evangeliums. A girl …

      Und alles in der Zeit der Unschuld. Darüber haben wir gesprochen, Berit und ich. Wie unschuldig das alles war. Denn wir lesen doch darüber in der Zeitung. Die elektronische Flaschenpost, die heutzutage durch den Kosmos gejagt wird. Die vielen fünfzehn Jahre alten Jungen, die sich als sechzig Jahre alte Onanierer mit Bierbauch und langem Sündenregister entpuppen.

      Uns schaudert es.

      Ich erzähle Berit nicht, was ich mir hier oben in dem verlassenen Mädchenzimmer so denke. Ich behalte diese Gedanken für mich. Mit Berit spreche ich über das tägliche Leben hier oben, und ab und zu über die Zukunft, von der wir, wie ich glaube, noch viel zu erwarten haben. Wir sind beide nicht den allerleichtesten Weg hierher gegangen, wo wir nun im Halbdunkel dasitzen und Kaffee trinken. Es hat durchaus steile Hänge und Abgründe gegeben. Und nicht wenige.

      »Noch Kaffee?«

      »Ja, danke.«

      Ich hole die Thermoskanne und schenke für sie ein.

      »Ellen hatte eine ein wenig seltsame Idee. Ich habe weder Ja noch Nein gesagt.«

      »Ja, ich habe mit ihr gesprochen, ich finde, du solltest mitmachen.«

      »Du hast mit ihr gesprochen? Wann denn?«

      »Wann denn? Spielt das eine Rolle?«

      »Natürlich tut es das! Wenn sie mit dir gesprochen hat, ehe sie mich gefragt hat, bedeutet das doch, dass ihr beide Pläne für mein Tun und Lassen schmiedet, ehe ich selbst darin eingeweiht werde.«

      »Jetzt übertreib nicht! Sie hat gefragt, ob ich glaubte, dass du vielleicht

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