Den Oridongo hinauf. Ingvar Ambjørnsen
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Doch.
Sie springt von der Ladefläche und fällt mir um den Hals, noch ehe der Fahrer den Traktor anhalten kann, und da stehe ich nun und registriere, dass ich ganz ohne Scheu in meinen Fantasien immer wieder ihren Rücken streichele, den schmalen Rücken, und ich rieche ihre Haare, die riechen nach Äpfeln und Salzwasser, so weich und warm, ehe sie zurücktritt und mir auf jede Schulter eine Hand legt und mich mit diesem ein wenig seltsamen schelmischen Blick ansieht, mit diesen Augen, die ich also immer mit etwas Schwedischem verbinde, dem Blick, der mich ein wenig wacklig in den Knien macht, das heißt, etwas hinten in meinen Kniekehlen scheint zu schmelzen, etwas im Knorpel oder vielleicht in den Sehnen, und natürlich ist das nur Unsinn, das alles spielt sich doch in meinem Kopf ab, das habe ich nach all diesen Jahren immerhin gelernt, ich habe gelernt, dass vieles und manches ganz anders ist, als es im ersten Moment aussieht. Nehmt doch diesen Mann, der hier in all seiner reservierten Macht dasteht und nicht einmal seinen Namen hergibt, auch nicht, als ich ihm meinen gebe, der nur zögernd die Hand ausstreckt, als ich ihm meine eigene anbiete. In einem früheren Leben hätte ich ihn zur Rede gestellt, ich hätte ihm etwas über das Geheimnis der Zivilisation erzählt, über die Kommunikation zwischen den Einzelindividuen als eigentliche Grundlage für den Aufbau einer modernen, funktionierenden Gesellschaft, aber das kann jetzt auch egal sein, denn durch Berits viele Briefe und nicht zuletzt durch lange nächtliche Telefongespräche habe ich so einiges über das Wesen der Inselbevölkerung gelernt, vor allem über deren männlichen Teil, einmal schreibt Berit, dass die Männer hier oben in vieler Hinsicht Ähnlichkeit mit Kühen haben, sie stehen da und kauen und glotzen einen blöd an, eine Charakteristik, die ich damals für einen winzigen Flirt damit gehalten habe, was vermutlich Berits Vorstellungen über meine Vorurteile sind, die Fehlkenntnisse des Stadtmannes über Bauern und Fischer im Nordwesten des Landes. Die also auf den ersten Blick so einiges mit der Wirklichkeit zu tun zu haben scheinen. Aber da es plötzlich aufhört zu hageln, kommt es zu einer Art Gespräch, an dem wir uns von Mann zu Mann beteiligen, und als ich mich ein weiteres Mal vorstelle, stellt es sich heraus, dass der Mann Reinert heißt, auf eine direkte Frage sagt er das ganz offen, und Berit lacht mit weißen Zähnen und schüttelt freundlich den Kopf, was wiederum uns, Reinert und mich, veranlasst, einander verständnisinnig anzulächeln, obwohl wir doch im Grunde noch zu rein gar keinem Verständnis gelangt sind. Aber ich denke, dass wir von nun an aller Wahrscheinlichkeit nach miteinander auf Grußfuß stehen werden, wenn die physische Entfernung zwischen uns nicht zu groß ist. Wir werden nicht an entgegengesetzten Feldrainen mit den Armen fuchteln, aber es wird wohl zu einem Nicken kommen, wenn wir einander auf der Straße begegnen.
Und Berit fragt nach der Reise, und ich erzähle von der Reise, und sie fragt, ob ich Hunger habe, und ich sage, dass ich pappsatt bin, auch wenn mein Gedärm schreit, ich habe keine Ahnung, warum ich behaupte, satt zu sein, warum um alles in der Welt lügt man über solche Dinge, und ich versuche, Reinert dazu zu bringen, ein wenig über Fischerei und Landwirtschaft zu erzählen, und er sagt »ohoch«.
Aber dann fängt es wieder an zu regnen, und das Regenwetter scheint ihn auf irgendeine Weise zu beleben, »werden wohl sehen«, sagt er. Dann läuft er zum Traktor hinüber, holt einen grünen Regenmantel und reicht ihn mir, und als ich den anziehe, passiert etwas, worüber ich in den folgenden Tagen und Wochen staunen werde, ja, worüber ich ehrlich gesagt bis zum heutigen Tage keine Klarheit gewonnen habe. Es verhält sich nämlich so, dass Berit einen kleinen Ausruf ausstößt. Es ist kein ganzer Satz und auch kein kurzes verständliches Wort, es ist einfach nur eine Art verdutztes Quaken, und ich begreife ja, dass es um etwas geht, dass ihr ganz plötzlich eingefallen ist oder das sie ebenso plötzlich entdeckt hat.
Und dann steht sie da und zeigt auf einen Hut, den wir aller Wahrscheinlichkeit nach während der Willkommenszeremonie in Sand und Schlamm getreten haben, er liegt dort eingebeult, besudelt, er ist ruiniert. Reinert sieht ihn nun ebenfalls, und gemeinsam verlegen er und Berit sich darauf, ein wenig zu jammern – so was schon mal gesehen, der schöne Hut, ist das deiner?
Berit hebt ihn hoch und wischt ihn ab.
Meiner?
Ja, ob das mein Hut sei?
Ich mit Hut? Nein, jetzt müssen sie aber wirklich …
Sie lässt nicht locker. Der ist doch ganz neu!
Neu? Dann sieh doch mal her! Verschmutzt und ruiniert. Vom Meer angeschwemmt.
Da stehe ich nun und verleugne meinen Hut. Ich merke, dass mir heiß wird, und aller Wahrscheinlichkeit nach laufe ich rot an. Ich kann mich selbst nicht verstehen. Dieser Hut scheint auf irgendeine Weise zwischen uns zu stehen. Zwischen mir und diesen beiden Inselbewohnern. Vor kurzer Zeit ging ich noch am Meer entlang, die Jacke über den Rücken geworfen, den rechten Zeigefinger durch den Aufhänger gesteckt. Den Hut schräg gerückt. Aber jetzt ist es einfach unmöglich, mich zu diesem Hut zu bekennen. Es ist nicht meiner. Ich gehe nicht im Hute. Nun nimmt Reinert Berit den Hut weg. Klopft die Beulen glatt und wischt den Sand von der Krempe. Setzt den Hut auf seinen eigenen Kopf und macht einige alberne Handbewegungen. Und ich werde wütend. Ich reiße ihm den Hut vom Kopf und schleudere ihn weit über den Strand. Und im selben Moment scheint sich eine Jalousie vor meine Augen zu senken. Ich höre Berits Stimme wie aus weiter Ferne. Und auf der Jalousie wird jetzt ein Film gezeigt. Ich sehe mich am Fähranleger eintreffen, ich sehe mich an Bord gehen und in der Cafeteria Platz nehmen. Mit Hut. Ich sehe die Blicke der Einheimischen, ich sehe, wie sie sich an ihren Mobiltelefonen zu schaffen machen. Bald weiß die ganze Insel, dass Berits Freund aus der Stadt auf der Fähre und dann im Hafen eingetroffen ist – mit Hut.
Das denke ich, während ich die nötigen Korrekturen am Moped vornehme, am Motorrad, wie ich es gern nenne, ich überprüfe die Zündkerze, drehe den Deckel vom Benzintank, wische fast unsichtbare Ölflecken ab, ich denke an die Sache mit dem Hut und daran, was ich ganz klar als kleine Notlüge im Zusammenhang mit meinem Besitz eben dieses Hutes aufgefasst hatte, die Tatsache, dass ich plötzlich nicht zugeben wollte, dass er mir gehört, und an die bösen Worte, die infolge dessen gefallen sind, es ist nichts, woran es sich zu denken lohnt, diese Sache ist jetzt aus der Welt, aber hier stehe ich nun und denke daran, bis ich Arnes Schritte im Kies höre.
»Du kannst es dir doch überlegen. Niemand zwingt dich zu irgendwas. Komm jetzt!«
Ich weiß nicht so ganz, was ich darauf antworten soll, also sage ich nichts, ich folge ihm die Treppe hoch und ins Holländerhaus, in das alte Schulgebäude, das jetzt, wenn wir Inselbewohner erst einmal fertig damit sind, der Familie van der Klerk als Zuhause dienen soll, den Holländern oder Niederländern, je nachdem, die erwartet werden, die wir per Internet bereits willkommen geheißen haben. So gehe ich weiter. Dicht hinter Arne Svendsens breitem Rücken. Wir müssen bei dieser Arbeit zu dritt sein. Sonst geht es nicht. Sonst können wir das Fenster nicht einsetzen. Und Ellen lugt ein wenig verlegen zu mir herüber, als sie dahinten den Tisch abräumt, die unausgesprochene Entschuldigung liegt ihr auf der Zunge, während meine eigene Stimme, jetzt tief und klangvoll, ihnen beiden versichert, dass ich mir die Sache überlegen werde.
»Dann geht’s los!«
Und es geht los.
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