Ein Samstag in Sydney. Gail Jones

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Ein Samstag in Sydney - Gail  Jones

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      Und dann: »Über den Jordan, das Auto; scheiß Karre, das war’s, hinüber, denke ich, verkaufen oder was? Ja? Was meinst du? Was? Was hast du gesagt?« Mit überlauter Stimme in ein Handy gesprochen.

      Catherine liebte australische Akzente und wie sie durch die Luft schnarrten. Das Gespräch wurde in einem freundlichen Knurrton geführt. Französisch war da auch – sie erkannte die Silben, die sie zum ersten Mal als Schulmädchen in Dublin gehört hatte – und Fragmente von, was war das? – melodiösem Mandarin. Catherine sah einen jungen Mann, der nach seiner Freundin griff. Er packte sie um die Taille, warf sie herum und küsste sie theatralisch, beendete den Kuss mit einem dicken Schmatz. Es war der Schotte, ebenfalls ein Besucher, wie sie selbst. Er trug eine NYC-Kappe auf dem Kopf und strahlte das unbesonnene Selbstbewusstsein eines Frischverliebten aus.

      Und das war der Moment, in dem sie daran dachte: Schönheit wie ein Kuss.

      An einem Tag wie diesem, einem strahlenden Januartag, an dem das Licht vom Himmel fließt und das Verwehte nicht Auflösung, sondern Zeichen von Vollkommenheit ist, wenn sich andere Leben ringsum zu öffnen und aufzublühen schienen, ließ sich leicht glauben, dass die Anrufung von etwas Schönem Erotik barg. Das war es, Erregtheit, die Ruhe eines neuen Vergnügens, der Trost einer plötzlichen Verbindung, intim und unvorhergesehen. Aus einer Art demütigem Instinkt heraus neigte sie den Kopf, dann hob sie ihn wieder und sah erneut die Blütenblätter.

      Catherine ertappte sich dabei, wie sie an den Geliebten dachte, den sie zurückgelassen hatte. Sie dachte an Lucs Mund, seine körperlichen Reize, und die gezackte Narbe auf seiner Oberlippe, das Mal, das zurückgeblieben war, nachdem er als Kind mit einem Korkenzieher gespielt hatte. Es war das Merkmal, an dem sie ihn erkannte, die Vertiefung, die seine Wunde war. Wenn sie sich liebten, suchte ihre Zunge mit einem vorwitzigen Kuss danach. Jetzt dachte sie daran, wie ihre Lippen seine Brust mit Küssen bedeckten, seine Haut schmeckten. Sie dachte an ihre Hände, die in einer schwülen, warmen Nacht nach seinen kühlen Pobacken griffen; wie herrlich männliche Pobacken ganz allgemein waren, stets unverdorben, auch wenn andere Körperteile schon hingen oder sich verfärbten. Sie betrachtete ihn gerne beim Schlafen, mit dem Gesicht nach unten, einen Arm unter den Körper geschoben, die süße und schläfrige Komprimierung seines Gesichts. Selbst sein Schnarchen hatte ihr gefallen, wie es in den Tiefen seines Schlafs nachhallte, die Bettdecke beben ließ, ihn irgendwie ernst machte, älter und verletzlicher. Catherine empfand Wollust hier in der Öffentlichkeit, wo sie in einiger Entfernung zum Baudenkmal stand. Ihren Besichtigungen unterlag das Chaos erinnerter Berührung.

      Und da war noch etwas. Als Catherine innehielt, sah sie zu ihrer Linken die Brücke über dem Wasser, den Hafen und eine kleine Fähre, die gen Norden tuckerte. Brücke, Wasser, Hafen, Fähre: Sie alle loderten, alle waren erleuchtet. An diesem Flecken Erde sammelte sich das Licht wie von der Sonne doppelt konzentriert. Vielleicht das Wasser und seine besonderen lichtbrechenden Eigenschaften, jene glänzenden Blütenblätter, die Geografie geschützter Räume oder auch die blinzelnden Hochhäuser am gegenüberliegenden Ufer, vielleicht trugen sie alle zu einer gesteigerten Leuchtkraft bei.

      Catherine kramte in ihrer Tasche nach ihrer Sonnenbrille, dachte an Lucs blasse Schulter, von hinten betrachtet. Sie spürte die flüchtige Berührung, geisterhaft, eines unrasierten Kusses. Elvis Costellos »I Want You« ging ihr traurig durch den Kopf.

      Wie kamen die Australier nur mit diesem ganzen Licht zurecht?

      Als Catherine eine schattige Stelle suchte und ihre Sonnenbrille aufsetzte, sehnte sie sich kurz nach einem bedeckten Himmel und in Nebel getauchten Dingen. Das traurige Gesicht ihrer Mutter flackerte durch ihre Erinnerung, eingerahmt von einem billigen Nylontuch zwinkerte sie ins sprühende Meer. Das musste Sandymount gewesen sein, und das Meer war wie flüssige Asche. Es musste kurz danach gewesen sein. Eine Woche, nicht mehr. Mitten im Winter. Dem Trauerwinter. Chrysanthemen, keine Rosen.

      Wie ein Standbild aus einem Schwarzweißfilm der fünfziger Jahre – das Gesicht der Frau leicht vom Zuschauer abgewandt, es schwenkt zum Ozean, der Ton ist irisch, elend, der Soundtrack getragen, ein Bach-Cello. Diese Szene hätte Fiktion sein können, aber sie war bereits unabänderlich.

      Und jetzt blickte sie über den weiten, sie umfassenden Hafen, die überwältigende Schicht aus Sonnenfeuer und Oberflächenglanz, die sich bis in die Ferne erstreckte, und sie fragte sich, was sie hier machte, hier in Sydney, in Australien. Unruhe hatte sie bewogen, rund um den ganzen Erdball umzuziehen. Das Stellenangebot war auf ein Jahr befristet, aber das genügte; sie hatte die Notwendigkeit verspürt, London zu entkommen. Sie hätte dort nicht bleiben können, bei Luc, sie wäre herzlos geworden im Sumpf ihres Kummers. Sie hoffte, er würde ihr vergeben, ihr folgen und verstehen, weshalb sie geflohen war. Die Ruhe ihrer beider Leben war durch ihre starrsinnige Trauer zerstört. Sie hatte ihre Gespräche entstellt, ihre Zufriedenheit verdorben, die Räume zwischen ihnen bis zum Rand erfüllt. Elf Monate war es jetzt her, und noch immer konnte sie sich nicht davon befreien.

      Catherine bemerkte die winzigen menschlichen Gestalten, die sich in einer Reihe auf der Brücke fortbewegten. In ihrer Schlichtheit und ihrem vage unsinnigen Bestreben wirkten sie wie gezeichnet.

      Wie klein wir aussehen können. Nirgendwohin unterwegs, nur hoch und wieder runter.

      Flaggen wehten oben auf dem Scheitel des Bogens, wie auf einem bezwungenen Berg. Es gab keine einzige Wolke. Der Himmel war eine hohe Kuppel.

      I beheld the bridge.

      Ich wurde der Brücke gewahr.

      Gewahrwerden. Woher kam das? Seit dem Todesfall brachen verirrte Vokabeln zu ihr durch, als wäre die zeitgenössische Sprache verbraucht und ungenügend. Erkoren. Noch so ein Wort. Erkoren. Es ließ an Manuskripte mit Goldrändern denken, an wunderbare Hinfälligkeit und an so brüchiges Papier, dass es hinter Glas aufbewahrt werden muss.

      Catherine wandte sich ab, beinahe den Tränen nah, aufgrund des Wirrwarrs aus Assoziationen, das sie weder entschlüsseln noch einsehen konnte. Wie durcheinander dieser Ort sie gemacht hatte, dieser Circular Quay, der sich im Kreis der verlorenen Zeit und der ungebetenen Wiederholungen drehte.

      Catherine entdeckte die schottischen Liebenden. Sie hüpften fast. Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und sie ihren um seine Taille. Wie ausgesprochen gut sich ihre Körper aneinanderfügten, wie wunderbar, ihrer gewahr zu werden.

       2

      Der Sommer war beinahe tropisch, kühl im Morgengrauen, feuchtschwül bei Sonnenaufgang, regnerisch am späten Nachmittag und in der Nacht. Ellie hatte mit so viel Feuchtigkeit nicht gerechnet, so vielen Hautgerüchen und so viel Sinnlichkeit.

      An jenem Morgen öffnete sie das Fenster, schob es gegen den Widerstand des verwitterten Holzes und der Zeit nach oben, war dankbar, so nahe der Innenstadt eine Altbauwohnung gefunden zu haben. Sie hatte das Halbdunkle, Unterteilte eines Art-déco-Gebäudes – dunkelrote Backsteine und schattige Nischen, etwas Gemütliches, Europäisches, ein Hauch von Ausland, erinnerte entfernt an etwas anderes. Aber sie passte sehr gut zu ihr; sie entsprach der Enthaltsamkeit und stillen Inwendung ihres gelehrten Lebens. Sie befand sich in keinem der klobigen, gläsernen und robusten Hochhäuser, wie sie die Schnellstraßen säumten, die sich zur Stadtmitte und zum Hafen hinschlängelten. Stattdessen gab es hier Moreton-Bay-Feigen, Palisanderholz- und Eukalyptusbäume mit schuppiger Borke; außerdem erklang Vogelgezwitscher über den Dächern – Würgerkrähen und Honigfresser –, ein Maß an Leben abseits des tosenden Verkehrs und der städtisch generierten Ablenkungen. Von hier aus, vom Badezimmer, vom kleinen Fenster über dem Waschbecken, konnte Ellie auf die Dächer der Vorstadt blicken, auf die Satellitenschüsseln und Antennen. Sie konnte die renovierten Anbauten sehen, die Solarmodule

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