Die klare Sonne bringts doch an den Tag. Klaus Scheidt

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Die klare Sonne bringts doch an den Tag - Klaus Scheidt

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zu fangen.«

      »Leider muß ich deine riesengroße Gewissheit wieder zu einer klitzekleinen Hoffnung machen, denn in der Außenalster gibt es keine Störe.«

      »Jetzt pass mal auf, du Besserwessi. Nun kommt mein durchtrainierter Angelrutenweitwurf bis mitten in die Alster, wo der dickste Wels auf meinen Köder wartet.«

      Brüwer holte mit der Rute so weit aus wie möglich und tatsächlich gelang ihm ein passabler Schwung. Der Haken platschte in die Alster, weiter als ein weltrekordverdächtiger Kugelstoß vom Ufer entfernt. Die beiden Ex-Kommissare hätten den roten Schwimmer kaum noch erkannt, wäre er nicht von jedem Wellenkamm emporgehoben worden.

      »Na, Kalli, hast du gesehen?« Freudestrahlend blickte Brüwer über die gesamte Wasserfläche der Alster hinweg. »Mit meinem Schwung könnte ich glatt bei der Weltmeisterschaft im Weitwerfen mitmachen.« Dann rammte er das Ende der Rute schräg ins Erdreich unter hohem Gras und legte den golden glänzenden Stielgriff in die bereits steckende Gabel der Halterung.

      Mit feinem Lächeln verfolgte Stormann die ungelenken Bemühungen und verbalen Übertreibereien seines Ex-Kollegen; längst hatte er sich an dessen Schrullen und keineswegs ernst gemeinte Sprüche gewöhnt.

      »Ich schätze mal, das waren gute fünfundzwanzig Meter«, murmelte Stormann und nachdenklich blickend zwickte er sein rechtes Ohrläppchen, »und soviel ich weiß, wirft ein guter Sportangler über acht Mal so weit.«

      »So?« Brüwer wiegte den Kopf und kniff das rechte Auge zu. »Aber wahrscheinlich nur mit mindestens zehnfachem Anlauf.« Dann winkte er ab und wies mit dem Daumen über die Schulter. »Jetzt pack doch mal aus, wir haben ja Zeit bis ...«

      »... der Riesenwels anbeißt.«

      »Du hast das jetzt gesagt.«

      »Ist ja schon gut. Ich zeige dir liebend gerne das Buch, denn die Verpackung trete ich ohnehin gleich in die Tonne, nachdem ich zuhause bin.«

      Nach einigem Ratschen und Geraschel zog Stormann das wuchtige Druckwerk aus der seitlich offenen Verpackung, trotz aller Sorgfalt jedoch glitt es ihm aus der linken Hand.

      »Vorsicht!«, rief Brüwer und erwischte das beim Fallen aufklappende Buch gerade noch an einer Ecke. Nachdem er zugepackt hatte, rutschte ein etwa DIN-A5-großer Zettel heraus und schwebte hinab auf die breitgetretenen Grashalme der flachen Uferböschung.

      Hastig bückte sich Stormann danach, fasste den Wisch mit drei spitzen Fingern und richtete sich wieder auf. Ein Blick auf die verblasste Tinte genügte ihm. »Aha«, murmelte er und ahmte unwillkürlich den Schauspieler Erich Ponto nach, denn die ‚Feuerzangenbowle‘ von 1944 war einer seiner Lieblingsfilme, »das ist aus einem Schoolheft gerissen ...«

      Mit beiden Händen hielt Brüwer das aufgeschlagene Buch und musterte die zwei offenen Seiten. Auf der linken stand nach einigen Zeilen schon ‚Ende‘, aber auf der rechten fing ein neues Märchen an, dessen Überschrift es ihm sogleich angetan hatte; halblaut las er sie vor: »Die klare Sonne bringt’s an den Tag.«

      Voller Eifer stellte er sich dicht neben seinen Ex-Kollegen, griff mit der Linken unter das Buch und tippte mit dem nun freien rechten Zeigefinger auf die in Fraktur fett gedruckte Überschrift. »Das passt ja zu uns wie die Faust aufs Auge. Wir haben ja auch immer alles rausbekommen.«

      »Fast alles.«

      »Nun sei mal nicht so pingelig.« Brüwer meinte es todernst. »Unsere Erfolgsquote war die allerbeste überhaupt.«

      »Kunststück, wir waren ja auch im richtigen Dezernat, denn bei Mord und Totschlag ist die Aufklärungsquote ohnehin die höchste.«

      »Weil da waren wir.« Mehrmals tippte Brüwer den rechten Daumen gegen sein Brustbein, drückte die Lendenwirbel durch und erreichte sein Gardemaß von einem Meter achtundachtzig.

      »Nun ja, wir waren schon nicht schlecht.« Stormann mühte sich, mit Hilfe des anderen Arms die Verpackung unter der linken Achsel zusammenzustauchen.

      »Abgesehen von der Leiche in der Kiste mit den ...«

      »Hör bloß auf, sonst werfe ich deine Angel in die Alster.«

      »Schon gut, was steht denn nun auf dem Wisch?«

      Stormann wedelte mit dem Zettel. «... und das hier scheint ein Corpus Delicti zu sein oder sogar ein Geständnis. Bei einem Kommentar zu so einem Titel ahne ich schon den letzten Satz, ohne die Story zu kennen: »... und die Moral von der Geschicht’, erwischt wird jeder Bösewicht!«

      »Was steht denn nun drauf?«

      Nun fasste Stormann auch mit der rechten Hand das Papier und hielt das Blatt nah vor seine Augen. »Das scheint tatsächlich ein Stück aus einem Schulaufsatz zu sein ... wohl geschrieben von dem aufs Erbe wartenden Buchverkäufer. Als Krakelloge, ähm, Graphologe würde ich diese wackelige Schrift und den Ausdrucksstil einem elf- oder zwölfjährigen Jungen zuordnen.

      Also, der hat geschrieben: Gestern habe ich als Vorleseübung meiner Familie das Märchen ‚Die klare Sonne bringt’s an den Tag‘ von den Gebrüdern Grimm vorgelesen. Das Märchen, das ich lesen üben soll, hat mein Opa ausgesucht, er hat einen Fingernagel in das Buch reingesteckt und aufgeklappt und gelacht und gesagt ‚Nun lies mal schön vor‘. Ich habe das Märchen vorgelesen und alle haben gut zugehört, nur mein Opa regte sich auf und sagte ‚Das kommt nicht alles raus, nee, nee. Sowas gibt’s, Gott sei Dank, nur im Märchen, sowas.‘ ,Opa, was kommt nicht raus?‘, habe ich gefragt und meine Eltern haben sich nur angeschaut. Und mein Opa hat sich noch mehr aufgeregt und ist weggegangen und Papa hat gesagt ‚Dein Opa hat was, was ihn bedrückt, ich weiß nicht was, aber er stöhnt nur und sagt nichts und ich soll ihn nie mehr fragen danach und nicht mehr daran denken‘ und es geht mir aber immer noch im Kopf rum und ich schreibe das auch hier und frage nicht weiter. ‚Malte, komm mal her!‘, rief mein Großvater einige Tage später und ich ...«

      Stormann ließ mit der Linken das Blatt los und wedelte damit hin und her. »... und der Rest des Aufsatzes fehlt leider.«

      Brüwer sah vom Buch auf. »Wohl mit einer schlechten Note bewertet und darum abgerissen und verbrannt worden.« Stirnrunzelnd schlug er eine Seite um. »Tja, dieser Opa scheint ordentlich Dreck am Stecken zu haben. Vielleicht ‘ne alte Jugendsünde. Was meinst du? Wieder reinlegen und das Buch zuklappen?«

      »Ich glaube ja auch nicht, dass etwas Besonderes daran ist.« Stormann ließ den rechten Arm sinken und schaute lange auf den Zettel hinab. »Mir geht es eher darum, ob es für unseren Studenten ein Erinnerungsstück sein könnte. Darum würde ich es ihm gerne wiedergeben.«

      Ohne das Buch loszulassen, blickte Brüwer auf seine Armbanduhr. »Noch würdest du ihn auf dem Fischmarkt antreffen, ansonsten kannst du ihn suchen wie eine Nadel in einem Heuhaufen namens Hamburg.«

      »Es gibt einen Anhaltspunkt: Reederei Jügesen und Sohn. Die darf er eines Tages erben.«

      »So? Dann bist du ja schon auf dem richtigen Weg.« Schräg über den Wasserspiegel der Außen-Alster hinweg zeigte Brüwer auf einige Uhlenhorster Stadtvillen. »Dieser Schifffahrtsgesellschaft gehört weiter hinten am Kanal ein rötliches höheres Haus; von hier aus siehst du noch das Glasdach. Das ist der Stammsitz der Firma, und die Familie des Inhabers wohnt oben im Loft. Das weiß ich, dort war ich nämlich mal wegen mehrerer Zeugenbefragungen. Da hast du sogar heute noch eine Chance, obwohl Sonntag ist.«

      Stormann

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