Die klare Sonne bringts doch an den Tag. Klaus Scheidt

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Die klare Sonne bringts doch an den Tag - Klaus Scheidt

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den Wälzer wieder in die Umhüllung. Entschlossen wandte er sich um. »Dann gehe ich erst mal weiter statt zurück. Kommst du mit oder willst du hier Wurzeln schlagen?«

      »Falls du die Fähre nimmst ...«

      »Das dauert mir viel zu lange, bis die wieder hier ist, außerdem war ein Spaziergang um die ganze Außenalster abgemacht. Aber bleib getrost hier, denn ich komme auf meiner Runde sowieso bei ‚Fisch Böttcher‘ vorbei und werfe einen Bestellzettel in den Briefkasten ein. Als Spende von mir an dich sollen sie am Dienstagmorgen einen wunderschönen riesengroßen und erst montags frisch in diesem Gewässer gefangenen Fisch zu dir nach Hause bringen.«

      Mit solcher Wucht riss Brüwer die Angelrute aus dem Rasen, dass ein Stück Soden am Griff hängen blieb. »Mach dich jetzt auf die Socken, sonst gibt‘s gleich einen frisch gefangenen Stormann-Stör!«

      »Störe gibt es hier nicht. Das habe ich dir schon gesagt. Welse erst recht nicht.«

      Mit beiden Händen packte Brüwer die Rute wie einen Spieß und versuchte, seinen Ex-Kollegen mit dem stumpfen Ende ins Alsterwasser zu stupsen. »Dann sorge ich jetzt dafür, das es endlich hier einen gibt.«

      Jedoch wich Stormann geschickt aus und schmunzelnd deutete er einen Salut an, indem er mit dem rechten Zeige- und Mittelfinger an die Krempe seines Panamahuts tippte. Während des Fortgehens wandte er sich noch einmal um. »Übrigens ist Angeln ohne Schein hier verboten. Pack ein und komm mit, wenn du dein ganzes Angelzeug nicht gleich wieder loswerden willst.«

      »Bah, das wird schon gut gehen.« Mit Hingabe widmete sich Brüwer wieder seinem Hobby. »Zisch endlich ab.« Abrupt wandte er sich noch einmal um. »Übrigens wird dein Enkel diese alte Frakturschrift gar nicht lesen können. Du wirst schon sehen.«

      *

      Schleswig-Holstein, Kreis Herzogtum Lauenburg,

      Herrenhaus von Jügesen im Billetal

      am Nordrand des Sachsenwaldes

      Freitag, 3. Mai 1918 – nachmittags

      Banner- und Reichsfreiherr Otto von Jügesen nähert sich zu Fuß der Einfahrt zum Gutshof seiner Familie. Er keucht unter der Last seines Seesacks und der großen Umhängetasche, außerdem trägt er einen wetterfesten Ledermantel über seiner Offiziersuniform. Am gusseisernen, haushohen Torgitter angelangt, stellt er sein Gepäck ab und verschnauft; zum wiederholten Mal verflucht er in Gedanken seinen Wagen, dessen Motor nur drei Kilometer vor dem Ziel elendig verreckt ist. In der freien Natur, mitten auf dem einsamen Weg nach Hause, ist an eine Reparatur nicht zu denken; die ‚Karre‘ samt hilflosem Chauffeur lässt er einfach stehen. ‚Popel-Kiste‘ tauft er seinen nagelneuen ‚Opel 9/25 PS Doppelphaeton‘ sogleich und tritt vorm Fortgehen mit Wucht gegen das linke Vorderrad.

      Der 26 Jahre alte Oberleutnant zur See zieht einen handspannenlangen, eisernen Schlüssel mit breitem Bart aus der rechten Manteltasche und steckt ihn ins metallisch glänzende Schloss. Er öffnet, zieht sein Gepäck hinein und schließt hinter sich wieder ab. Ein letztes Mal schultert und hebt er seinen Ballast. Aber das Schreiten auf der knapp einen Kilometer langen Allee zum Herrenhaus fällt ihm bei jedem Ausholen leichter, denn er ist sicher, seine Ehefrau wartet auf ihn; Gertrud von Jügesen ist erst seit vier Monaten mit ihm verheiratet.

      Eine Überraschung will er ihr nun bereiten, schleicht sich hinein in die gute Stube und sieht sie nebenan nahe dem Fenster sitzen. Sie beugt sich über eine Stickerei und schaut nicht hinaus, denn sie geht davon aus, das Knattern des Motors zu hören, bevor der Wagen über die viertelbogenförmige Rampe hinauf bis vor die weitgeschwungene Steintreppe des Haupteingangs gelenkt wird. Eine Strähne ihres blonden Haars hat sich aus dem Dutt gelöst und reicht hinab bis auf den Rahmen der Stickerei. Sie schwingt ihren Kopf zur Seite, damit die Strähne nicht bei der Arbeit stört. Ottos Herz schlägt schneller und er würde sich am liebsten zu ihren Füßen niederstürzen.

      Jedoch besinnt er sich, geht rücklings bis zum Haupteingang zurück, schließt von außen und klopft ans hölzerne Gebälk, erst sacht, dann fester; klingeln will er nicht, denn der Ton der Schelle ist ihm zu schrill. Jedoch ist ein Dienstbote zuerst an der Tür, verbeugt sich tief und abgetaucht bleibend nimmt er die vor der Tür abgestellten Mitbringsel an sich. Eilends zieht er sich zurück, als Gertrud von Jügesen, geborene von Reinern, ihrem Ehemann entgegenkommt und ihn so innig, wie der Anstand es zulässt, in die Arme schließt.

      Die junge Baronesse hätte einen Mann von noch höherem Stand heiraten können, ihre Familie jedoch drängte sie zur Verbindung mit dem einzigen Sohn der steinreichen Reedereifamilie von Jügesen. Außerdem erhoffte sich ihr Vater, ein mit finanziellen Widrigkeiten ringender Baron, eine nützliche Beziehung zur Familie von Bismarck. Denn Otto von Bismarck, der ehemalige Reichskanzler, und Ottos Großvater Tormud von Jügesen waren seit ihrer Studentenzeit in Göttingen Korpsbrüder und blieben freundschaftlich verbunden bis zu ihrem Lebensabend.

      Nachdem Otto von Bismarck sich zur Ruhe gesetzt hatte, wurden sie sogar gute Nachbarn und in den letzten Lebensjahren des ehemals eisernen Kanzlers besuchte die Familie von Jügesen ihn häufig in Friedrichsruh im Sachsenwald. Tormuds einziger Enkel wurde dem ehemaligen Reichskanzler zu Ehren auf den Namen Otto getauft; selbstverständlich nahm der alte Bismarck die ihm angebotene Taufpatenschaft an.

      Der kleine Otto erinnert sich kaum an seinen berühmten Paten, denn dieser verstarb wenige Jahre nach der Taufe. Nur noch vage entsinnt er sich, dass er von ihm häufig auf den Arm genommen wurde und ihm viele Altersweisheiten ins Ohr geflüstert wurden. Aber eine davon hat er für immer und ewig behalten: ‚Was du anfängst, mein Junge, mache auch zu Ende; wenn du fehl gehst, stehe dazu und bring‘s in Ordnung!‘.

      Nun ist Otto in den besten Jahren und gerade nach Hause gekommen. Er bedrängt seine Ehefrau, fasst ihre Hände und zieht sie mit sich, denn er will sofort ins Schlafzimmer – gleich nach den Flitterwochen nämlich musste er wieder nach Kiel zur Hochseeflotte und war drei Monate auf See, denn das kaiserliche Deutschland führt Krieg.

      »Am helllichten Tag?« Sein gesittetes Eheweib reagiert zutiefst empört. Zwar hat sie sich monatelang nach ihm gesehnt, jedoch ist das für sie partout kein Grund, die Etikette zu missachten – darauf achtet sie penibel. »Es ist Teezeit.«

      »Zum Kuckuck mit dem Tee, ich war drei Monate auf See!«

      »Jetzt bist du aber nicht mehr im Seekrieg, Otto von Jügesen! Rede wieder anständig und benimm dich endlich, wie es sich als Reichsfreiherr gehört. Du wirst dich wieder gedulden und aushalten lernen müssen. Ich jedenfalls hatte überhaupt keine Umstände damit, für längere Zeit auf die Erfüllung meiner ehelichen Pflichten zu verzichten.«

      Ihm bleibt nichts anderes übrig, als betrübt blickend loszulassen und, sich der Etikette ergebend, darauf zu warten, bis sie die Zeit für gekommen hält.

      Abends jedoch wird ihr, wie seit Tagen, wieder übel und sie klärt ihn darüber auf, dass sie wohl ein Kind von ihm erwartet, was die Erfüllung ehelicher Pflichten ohnehin auf längere Zeit überflüssig mache. Die Freude über den möglichen Nachwuchs hält sich bei ihm in Grenzen, denn ihn treibt gerade anderes um.

      Während die Gattin bereits tief schläft, steht er auf, um in den Weinkeller zu gehen. Er braucht jetzt einen Schlaftrunk. Elektrisches Licht gibt es bei ihm im Keller noch nicht, aber bald, das schwört er sich. Mittels einer Laterne findet er den Weg zu den Fässern und stutzt, als er die eichene Tür zum Flüssigkeitsdepot nur leicht angelehnt sieht. Geräusche dringen durch den Spalt, Gläserklingen und leises Kichern sind zu vernehmen. Er zieht am Griff, schwenkt das Türblatt bis zur Wand, stellt sich in Positur und reckt die Laterne ins Dunkle.

      »Was

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