Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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der Bibliothek. Das Geschehen hatte sich vor einigen Stunden ereignet. Der Marionettenmann war versucht, den Spiegel von der Wand zu nehmen und den Rest der Nacht zu verbringen, wie er schon zahllose Nächte zuvor verbracht hatte: Auf der mit Stroh gefüllten Matratze, die drahtigen Beine wie die einer Gottesanbeterin verschränkt, die Glupschaugen auf das runde Glas in seinem Schoß geheftet und dann und wann etwas murmelnd wie: „Donnerkopf und Hexenbein, diese Tat wirst du bereu‘n.“

      Aber die vielen Bücher, mit denen Emily ihr sinnbildliches Tablett belud, ließen darauf schließen, dass sie den Abend verlesen würde. Unwahrscheinlich, dass sie auch nur daran dachte, zu tun, was den Fluch auslösen würde.

      Es wäre wohl das Beste, er nutzte die Zeit sinnvoll. Er konnte nicht fortfahren mit der Sache, die der Wurmgott ihm aufgetragen hatte. Aber sollte der Marionettenmann eines Tages zurückerhalten, was Emily ihm gestohlen hatte, wäre er wenigstens vorbereitet. Er betete, dass die Tränen wieder in seinem Besitz waren, wenn der Wurmgott zu ihm zurückkehrte. Anderenfalls konnte er nur auf Gnade hoffen.

      Der Marionettenmann öffnete den Schrank und betrachtete den Inhalt. Er hatte sich in den letzten Vierteln zu sehr darauf beschränkt, Zutaten zu ernten. Sehr erfolgreich zwar – die Gläser mit Pulvern, Essenzen und getrockneten Insekten waren bis unter die Deckel gefüllt – aber was nutzte ihm das, wenn er tagein, tagaus in den Spiegel stierte? Es war an der Zeit, dass er tätig wurde! Nur dann durfte er hoffen, das Verwunschene Tal je wieder verlassen zu dürfen.

      Der Marionettenmann kramte einen Glasbehälter aus dem Schrank und ging zur Herdstelle. Daneben stand ein Athanor, ein spezieller Ofen für alchemistische Zwecke, ausgestattet mit einem Stellschieber zur Temperaturregulierung. Er entfernte den Deckel vom Ofen, stellte die Retorte darauf und steckte einen Trichter oben ins Ansatzrohr. Dann trug er das Glas mit der Quellenfee zum Athanor und goss Wasser in den Trichter, bis die Retorte zu etwa einem Drittel gefüllt war. Die Fee ruderte wild mit den Armen und Flügeln, um nicht mitgerissen zu werden. Der Marionettenmann stellte das bauchige Glas auf den Boden und krempelte die Ärmel hoch. Nun kam der schwierige Teil. Er tauchte die Hände ins Wasser und grapschte nach der Fee. Das kleine Biest war flink. Als er sie zu fassen bekam, versenkte sie die nadelspitzen Zähne in seinem Daumen. Der Marionettenmann fluchte. Er hob sie aus dem Glas und ließ den Arm kreisen. Spiralen tanzten in den Augen der Fee. Er hielt sie über den Trichter, ihren Leib mit beiden Händen umfasst, und wrang sie aus wie einen feuchten Lappen. Tropfen wie flüssiges Mondlicht fielen in die Destillationsblase. Er warf den schlaffen Leib der Fee zurück ins Glas. Die Augen des zierlichen Wesens flatterten, und es sank zu Boden.

      Der Marionettenmann öffnete den Brennholzschacht des Athanors, gab etwas Holzkohle hinein und entfachte die Glut. Warme Luft stieg empor und schmiegte sich von unten an das kugelige Hinterteil der Retorte. Er ging zum Schrank und kehrte mit mehreren Gläsern auf den Armen zum Athanor zurück. Dabei murmelte er unablässig.

      „Frostkröte, getrocknet und gemahlen, pulverisierte Vulkanwurz, Schwarzkorn …“

      Er öffnete nacheinander die Gläser und warf jeweils eine Handvoll in die Glut. Die Kohlen fauchten und änderten jedes Mal die Farbe. Erst grün, dann rot, dann schwarz …

      Binnen Sekunden siedete das Wasser. Nun hieß es warten. Der Marionettenmann rieb sich die Hände und ließ den Blick schweifen. Er könnte inzwischen den Trauertau filtern, das Seelensalz mahlen … oder …

      Sein Blick blieb am Glas des Zauberspiegels hängen. Emily hatte die Bibliothek verlassen und unterhielt sich mit einem jungen Mann. Das Interesse des Marionettenmannes war geweckt. Er trat vor den Spiegel und folgte gebannt dem Verlauf des Geschehens. Aufmerksam beobachtete er die Augen des Mädchens. Er kannte diesen Blick. Es war einfach, Gedanken zu lesen, wenn man nur wusste wie. Direkt hinter den Augen lag das Gehirn, ein offenes Buch. Man durfte sich nur nicht vom Anblick der Iriden gefangen nehmen lassen.

      Emily mochte ihren neuen Freund. Vielleicht würde sie ihn wiedersehen. Vielleicht würde sie ihn eines Tages küssen. Und dann, wenn sie sein Schicksal besiegelt hatte, ja, dann würde sie vielleicht endlich verstehen.

       Das Tagebuch

       22. FRÜHLINGSMOND 1713, RUHENACHT

      Zur Feier des Viertendes gingen Ed und ich ins Ampère. Bei einem kalten Bier erzählte ich ihm von der Begegnung mit Emily.

      „Eine harte Nuss“, kommentierte Ed.

      Ich nickte mit resignierter Miene.

      „Es gibt nicht viele Studentinnen. Sie wird ihren Platz an der Universität nicht für ein Schäferstündchen riskieren.“ Er trank einen Schluck. „Trefft ihr euch wieder?“

      „Am achtundzwanzigsten“, sagte ich und nahm meinerseits einen Schluck. „In der Bibliothek. Sie wird wissen wollen, wie mir das Buch gefallen hat.“

      Ed sog zischend die Luft. „In der Bibliothek?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie wird sich langweilen.“

      „Sie mag Bücher.“

      Ed wirkte nicht überzeugt. „Das ändert doch nichts daran, dass es dort nach Staub riecht.“ Ich war drauf und dran, Ed zu erklären, dass die Luft in der Bibliothek keineswegs nach Staub roch. Sie roch nach altem Papier, würzigem Leder und verborgenem Wissen. Ich schluckte die Worte hinunter. Ed hätte doch nur gelacht und mich einen verträumten Poeten genannt.

      „Hör mir gut zu, denn ich sage dir jetzt, wie du sie im Handumdrehen um deinen Finger wickelst.“ Ed legte eine dramatische Pause ein, indem er noch einen Schluck Bier trank. „Geh mit ihr ins Coffee-House Calvin. Warst du schon mal dort?“ Ich nickte. Das Café befindet sich ganz in der Nähe vom Campus und ist ein beliebter Aufenthaltsort der Studenten. „Gut“, fuhr Ed fort. „Dieses Buch mit den Mythen bietet schon mal guten Gesprächsstoff. Hör ihr aufmerksam zu, und wenn sie aufhört zu reden, sprich aus, was dir gerade in den Sinn kommt. Halte Blickkontakt und vergiss nicht, zu lächeln, sonst glaubt sie noch, du wärst aus Sankt Laplace geflohen. Sprich immer so laut, dass sie dich verstehen kann, und wenn sie etwas Kluges oder Witziges sagt, belohnst du sie mit einer beiläufigen Berührung. Ungefähr so …“ Ed gab ein überzeugendes Lachen von sich. Dabei legte er die Hand für die Dauer eines Herzschlages auf meine. Unsere Blicke trafen sich, und er zog die Hand ohne Hast wieder weg.

      „Oh, Eddie“, säuselte ich mit gespielt hoher Stimme. „Du bist so ein Schatz. Ich will sofort mit dir in die Kiste.“

      Ed prostete mir zu und trank noch einen Schluck Bier. „Du würdest staunen“, sagte er. „Wenn ich möchte, gehe ich in eine der Kneipen der Promenade und komme eine Stunde später mit einem willigen Mädchen wieder heraus.“

      „Ich weiß“, entgegnete ich kühl. „Dein Bett quietscht, Ed. Und das sage ich dir nicht zum ersten Mal.“

      „Stimmt“, sagte Ed grinsend. „Ich dachte bloß, du freust dich für mich.“

      Ich verdrehte die Augen, konnte ein Lächeln aber nicht unterdrücken.

      W. D. Walker

       29. FRÜHLINGSMOND 1713, LOHNTAG

      Die Mythen der norvolkischen Stämme, die vor hunderten von Jahren unser Land bevölkert hatten, waren unterhaltsam. Aber hätte mich vor zwei Tagen jemand gefragt, ob sie auch lehrreich seien, ich hätte diese Frage vehement verneint. Nach dem gestrigen Treffen mit Emily müsste ich meine Antwort allerdings überdenken.

      „Du denkst, dass nichts davon wahr ist“,

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