Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens страница 31

Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

Скачать книгу

in den Raum geführt

      Strophen, die durch Zeiten tauchen

      Ein Wort von mir, das dir gehört.“

      Es war eine Strophe des ersten Gedichtes in der Sammlung von Gray.

      „Ich habe nach genau diesem Buch gesucht“, fuhr sie fort.

      „Du kannst es haben“, sagte ich und hielt es ihr hin. „Ich wollte es gerade zurückbringen, aber die Frist endet …“ Der Rest des Satzes ging mir verloren. Die Worte fielen von dem sinnbildlichen Tablett, auf dem sie herangetragen wurden, und verteilten sich auf dem Boden. Schlagartig war mir klar geworden, dass ich Emily mochte. Sie faszinierte mich. Unvernünftig, kannte ich sie doch gerade mal seit wenigen Minuten. Aber mein Herz war noch nie für seine Vernunft bekannt gewesen.

      Emily sah mich erwartungsvoll an, während die Stille sich ausbreitete wie der endlose Ozean. Ich räusperte mich.

      „… endet erst am achtundzwanzigsten.“

      „Vielleicht komme ich besser morgen wieder und leih es mir dann selbst aus“, sagte Emily. Ein unterschwelliges Lachen begleitete ihre Worte. „Ich werde ohnehin lange Arme haben, wenn ich zu Hause bin.“

      „Ich gebe es dir im Austausch hierfür …“, schlug ich vor und hielt das Buch mit dem Titel Norvolkische Mythologie hoch.

      „Abgemacht …“ Emily bückte sich nach dem Bücherturm.

      „… und helfe dir, die Bücher heimzutragen, wenn du magst.“

      Wieder lächelte sie ihr kleines Lächeln, das mir bereits so vertraut erschien wie die Berge um Little Hill.

      Wir unterhielten uns ausgelassen auf dem Weg zu ihrer Wohnung; erzählten uns, welche Gedichte von Grey wir am liebsten mochten und zitierten seine Verse. Ich wusste nicht und weiß auch noch immer nicht, was ich mir von meiner neuen Freundschaft erhoffen darf. Aber eines ist klar: Ich habe ihr Buch: ein Versprechen, dass ich sie wiedersehen werde.

      W. D. Walker

       Im Verwunschenen Tal

      Der Mond schien im verwunschenen Tal. Grillen zirpten, und der Wind trug den Duft des ewigen Frühlings heran. Ein Duft wie nasses Laub, wie feuchte Erde und Vogelnester. Dichte Waldstücke, Weiden und Blumenwiesen beherrschten die hügelige Landschaft, durchzogen von glitzernden Bachläufen.

      Dies warein verborgener Ort. Ein Ort bar jeder Menschenseele.

      Nun, nicht ganz.

      Über eine Blumenwiese stakste eine hochgewachsene Gestalt. Obwohl der Marionettenmann gebeugt ging, war er immer noch ein Riese. Die Kleidung stand im Kontrast zu der bleichen Haut. Die Beine waren lang und spindeldürr. Seine Schritte wirbelten Wolken von Löwenzahnsamen auf. Die Samen umspülten ihn, formten Wirbel und Strömungen aus Mondlicht und legten sich um seine Schultern wie ein Mantel aus fließender Seide.

      Die dürre Gestalt erreichte einen Waldrand, und die nächtlichen Waldbewohner verstummten. Das Flüstern der Bäume erstarb. Der Marionettenmann richtete sich zu voller Größe auf und wandte den Kopf. Seine Glupschaugen verengten sich. Er blähte die Flügel der Hakennase und sog die Luft ein. Sie roch nach feuchtem Moos, Baumharz und – wie immer – nach Angst. Er ging weiter. Das Zirpen der Grillen blieb aus. Die Vögel warteten stumm, bis er vorüber war.

      Der Blick des Marionettenmannes war unstet. Mal in die Ferne gerichtet auf die weiß gepuderten Berge, die das Tal umringten, mal auf die Bäume, die ihre Augen auf ihn richteten, wenn er nicht hinsah.

      Helles Plätschern mischte sich in die Luft. Der Marionettenmann gelangte an eine Quelle. Wasser sprudelte aus dem Spalt einer moosbewachsenen Felswand. Farn wuchs zu beiden Seiten des Bachbetts und blinkende Feenwürmchen – sie verloschen allesamt, als der Marionettenmann sich näherte – machten ihre Aufwartung.

      Der Marionettenmann legte einen Beutel auf den Boden. Mit Armen, die an die Fühler eines riesigen Insekts erinnerten, brachte er ein bauchiges Glas mit Bügelverschluss zum Vorschein. Er öffnete es, füllte es mit dem Wasser der Quelle und hob es ins Mondlicht. Zwischen silbernen Lichtspeeren schwamm ein menschenähnliches Wesen. Libellenflügel ragten aus seinem Rücken. Eine Quellenfee.

      Der Marionettenmann nickte zufrieden und trat mit unter der Last zitternden Ärmchen den Heimweg an.

      Fadenarm war er als Kind genannt worden – und Schlimmeres. Oft hatte er sich in den Schlaf geweint und sich an manchen Tagen nicht vor die Tür getraut. Jetzt lächelte der Marionettenmann, als er an den alten Spottnamen dachte.

      Fadenarm.

      Seine Peiniger waren dafür allesamt Schrumpfköpfe. Verdammt zu einem Leben in Demut. Er hatte sie vergiftet, verhext, in den Selbstmord getrieben. Sie denunziert, im Dunkeln überrascht, dem Wahnsinn geopfert. Er hatte ihnen die Häupter abgeschlagen und sie ins Regal gestellt. Dort trockneten sie vor sich hin. Viele waren schon im Topf gelandet.

      Recht so.

      Der Marionettenmann folgte dem Verlauf des Waldrandes über die Blumenwiese bis hin zu einem Fichtenwäldchen. Darin verborgen lag eine kreisrunde Hütte. Vor der Hüttentür schloss er die Augen und sog ein weiteres Mal die Luft ein. Er konnte Tannennadeln, Baumrinde und Morgentau riechen. Er roch die Dunkelheit, das Mondlicht und die Angst der Waldbewohner. Er konzentrierte sich auf die Geräusche und nun registrierte er die Stille. Er hörte das Schweigen, den angehaltenen Atem, die weit geöffneten Augen. Eine seltene Regung zeigte sich auf dem Gesicht des Marionettenmannes. Die schmalen Lippen wölbten sich, die Mundwinkel wanderten qualvoll aufwärts und warfen Falten auf die Wangen. Das Kinn zitterte, als könne es der Anstrengung kaum standhalten.

      Ein Lächeln.

      Der Marionettenmann öffnete die Augen, anschließend die Tür und trat ein. Drinnen war es finster. Leise Gespräche hafteten an den Wänden wie Anwuchs an einem Schiffsrumpf. Der Marionettenmann stellte das Glas neben den Eingang, hängte den Beutel an einen Haken und schloss die Tür. Sicheren Schrittes bewegte er sich durch die Finsternis. Eine Schublade schnarrte, ein Zündholz flammte auf, Kerzen erwachten zum Leben.

      Bald schwamm die spärliche Einrichtung der Hütte im Dämmerlicht vieler Flammen. Der Marionettenmann ließ den Blick über die Regalbretter schweifen, die wie Baumpilze aus der Wand ragten. Darauf lagen die Schrumpfköpfe. Zu dutzenden. Sie hingen auch an den Haaren von der Decke, häuften sich in einem großen Korb neben der Feuerstelle und füllten die Schubläden eines Schranks.

      Ja – viele hatten ihn gehänselt, hatten hinter vorgehaltener Hand geflüstert, als er vorbeigegangen war, oder auch nur einen zu langen Blick riskiert. Aber jeder hatte den gleichen Preis bezahlt. Bezahlte ihn immer noch.

      Die gedämpften Worte der Schrumpfköpfe füllten die Hütte. Der Blick des Marionettenmannes glitt durch den Raum und blieb zuletzt an einem runden Spiegel hängen. Darin sah er nicht etwa sich selbst. (Es hätte ihm noch gefehlt, dass er unablässig daran erinnert wurde, wie widernatürlich er aussah.) Der Spiegel zeigte auch nicht den hohen Schrank daneben oder den Tisch in der Mitte des Raumes, nicht den Lattenrost, auf dem der Marionettenmann schlief, und auch nicht die offene Herdstelle.

      Der Spiegel zeigte Emily End. Das Mädchen mit dem Lotinsmal widmete sich ihrem liebsten Zeitvertreib: Sie wanderte in der Bibliothek, dem Buffet der Bücherfresser, vor den Regalen auf und ab. Die Tablare bogen sich unter der Last fetter Buchschinken, würziger Lektüren,

Скачать книгу