Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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Das stählerne Knarren, das stetige Tropfen, das Brüllen des Pelzes in den Tiefen …

      „Godric?“ Sams Stimme holte mich in die Gegenwart zurück. „Was ist dein Problem? Bist du nicht der Perlkönig? Wirst du nicht spielend mit den Süchtigen fertig?“

      „Nun ja …“ Es waren nicht die Süchtigen, die ich fürchtete, nicht den Tod. Ich fürchtete mich vor mir selbst. Vor dem, was der Unterrumpf aus mir machte.

      „Godric … du musst nicht gehen.“

      Ich räusperte mich. „Schon gut. Ich schaffe das.“ Ich betrat den Gang. Schon nach wenigen Schritten wurde mir schwindelig. Die Wände legten stählerne Arme um mich. Der Geruch von Rost und Blut füllte meinen Kopf. Eine Erinnerung fand mich. Olli, wie er vor mir lag, in der Mitte durchgeschnitten, seine Eingeweide auf dem Boden verteilt. Der Schweiß brach mir aus. Irgendwo vor mir, wo sich der Gang im Dunkeln verlor, sah ich die Umrisse eines Mannes mit Zylinder. Die Knie gaben unter mir nach. Ich suchte Halt an der Wand und glitt langsam an ihr herab. Der Rumpf knarrte wie der Magen eines Monsters. Ich biss die Zähne zusammen. Ballte die Hände zu Fäusten.

       Töten oder getötet werden.

      In meinem Kopf hörte ich Hungers selbstgefällige Stimme: Ich wusste, dass du zurückkommen würdest. Ich knurrte.

      „Godric?“ Sam legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich wirbelte herum, packte sie an der Gurgel und drückte zu. Ich hob sie hoch, fletschte die Zähne. Mein hasserfüllter Blick traf ihre weit aufgerissenen Augen, während ich sie vor mir hertrug, den Gang zurück. Erst als das Sonnenlicht ihre Augen traf, wurde ich wieder ich selbst. Ich setzte sie auf dem Boden ab und wich zurück, entsetzt über das, was ich getan hatte. Ich stieß mit dem Rücken gegen die Wand und sank an ihr herab. Starrte auf meine Hände, als könnte ich nicht glauben, dass es meine eigenen waren.

      „Es … es tut mir leid.“

      „Schon gut“, flüsterte Sam und rieb sich die Kehle. „Ich gehe allein.“ Schon hatte sie den Gang betreten. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.

      „Warte.“ Ich sprang auf die Beine, obwohl ich am ganzen Leib zitterte. Eilte ihr nach und packte die Klinke. Doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Sam musste sie von der anderen Seite verriegelt haben.

      „Sam!“ Ich hämmerte gegen die Tür. Wie sehr wünschte ich mir schwarzes Perl herbei, das mir die Kraft gab, die Eisentür aufzubiegen. „SAAAM!“ Nach etwa zehn Minuten gab ich auf.

      Ich kehrte zum Bett zurück und ließ mich darauf nieder. Grausame Bilder fanden einen Weg in meine Gedanken. Sam, abgestochen von einem Süchtigen. Überwältigt von Francos oder Ravens Männern. Ich raufte mir die Haare. Mein Blick schweifte durch den Raum auf der Suche nach etwas, das mich ablenken konnte, und fand das Tagebuch. Ich schlug es auf und las:

       Ich wohne jetzt seit fast einem Viertel hier: Treedsgow, …

      Ich warf es fort und erhob mich. Ging auf und ab, trat eine Kiste durch den Raum und mehrmals gegen die Eisentür, bis mir der große Zeh schmerzte. Zuletzt ließ ich mich wieder auf dem Bett nieder. Ich konnte nichts tun außer hoffen, dass Sam heil zu mir zurückkehrte.

      Sie ist stark, sagte ich mir. Hab Geduld. Sie wird es schaffen.

      Ich nahm das Tagebuch wieder zur Hand und strich über den ledernen Einband. Nun, da mein Herzschlag sich ein wenig beruhigt hatte, verspürte ich Neugier. Wieder dachte ich daran, wie ich in seinen Besitz gekommen war. Wollte jemand, dass ich es las? Ich dachte an die Worte des Mannes in meinem Traum. Die Zwölfte Stunde schlägt, Godric End. Es bleibt nicht viel Zeit. War es bloß irgendein Traum gewesen? Oder eine Botschaft?

      Zum zweiten Mal öffnete ich das Tagebuch und fing an zu lesen.

       Das Tagebuch

       13. TAUMOND 1713, VIERTABEND

      Ich wohne jetzt seit fast einem Viertel hier: Treedsgow, Stadt des Wohlstands und der Naturwissenschaften. Ich habe immer davon geträumt, eines Tages hierherzuziehen. Doch nun vermisse ich meine Heimat. Little Hill. Ich vermisse die hügelige Landschaft, die die kleine Stadt umgibt, die Berge am Horizont, die Kohlearbeiter, sogar das riesige Bergwerk. Ich vermisse das Landhaus meiner Eltern, die lange Flure, mein geräumiges Zimmer, die Bibliothek … Ich vermisse Mutter, meine beiden jüngeren Schwestern, sogar Vater, obwohl wir nicht in Freundschaft auseinandergingen. Und ich vermisse Edwina. Immer noch.

      Ich versuche, mich von alldem abzulenken und gehe oft spazieren. Treedsgow hat viel zu bieten: Breite Straßen und alte Bauten. Plätze mit Brunnen und Statuen. Einen Hafen, einen Leuchtturm, einen Bahnhof, unzählige Läden und Bars und natürlich die Universität. Der Winter steht der Stadt gut. Viertmorgennacht kleidete er sie in unschuldiges Weiß. Aus den Schornsteinen steigt Rauch, der sich über die Dächer aus Tonziegeln erhebt und mit dem wintergrauen Himmel verschmilzt. Entlang der Hauptstraßen stehen Gasleuchten. Gasleuchten! Ich habe so etwas nie zuvor gesehen. Nachts bricht sich ihr Licht tausendfach in den Eiskristallen.

      Der einzige Makel dieser idyllischen Stadt ist die Nervenheilanstalt Sankt Laplace jenseits des Stadtrandes, fern vom Licht und vom Leben. Sie bietet guten Stoff für Gruselgeschichten.

      Übernächstes Viertel beginnt mein Studium an der Treedsgow University. Der Umzug ist getan, nun werde ich den Rest der Stadt erkunden. Mein nächstes Ziel ist der Hafen. Angeblich gibt es dort ein Dampfschiff!

      Meinen Mitbewohner habe ich bisher nicht zu Gesicht bekommen. Er ist bei seinen Eltern und kehrt erst nächste Sonnnacht zurück. Unser Nachbar sagte, Edward sei ein einmaliger Mensch.

      W. D. Walker

       16. TAUMOND 1713, VIERTMORGEN

      Gestern kehrte mein Mitbewohner zurück. Sein Name ist Edward Thomas Jones Thomson, Sohn des Barons von Westebbe. Ich nenne ihn Ed. Er ist groß. Ein gelassener Kerl, der oft mit den Schultern zuckt. Seine Eltern wollten, dass er studiert. Wie ich Ed einschätze, hat er nicht viele Widerworte gegeben. Ich vermute, er ist weniger am Studium interessiert als daran, möglichst viele Frauen ins Bett zu kriegen.

      „Wenn du Spaß haben willst, geh zum Hafen“, teilte er mir im Vertrauen mit, zehn Minuten nach unserer ersten Begegnung. „Auf der Universität wirst du kein Glück haben. Dort gibt es nur Prüderine und Langeweila. Und die wissen genau, dass sie fliegen, wenn sie nicht brav sind. Nein, wenn du dir nicht die Zähne an steinharten und dabei nicht mal leckeren Nüssen ausbeißen willst, halt dich an mich.“ Ed ist in Ordnung. Was mich betrifft, so bin ich nicht daran interessiert, ein Mädchen kennenzulernen, bloß um ihren Acker zu pflügen, wie Ed es so schön formuliert. Nenn mich romantisch, aber ich mache mir nicht viel aus einer einzigen Liebesnacht. Ich suche nach dem, was ich mit Edwina hatte. Egal was ich tat, wenn ich es mit ihr zusammen tat, trug ich ein Lächeln auf dem Herzen. Und wenn es bloß darum ging, ihr dabei zu helfen, die Wäsche zum Trocknen aufzuhängen.

      Edwina hätte das Zeug gehabt, in Treedsgow zu studieren, wäre sie keine Frau gewesen, noch dazu die Tochter eines Kohlearbeiters. Wir waren fünfzehn, als wir uns zum ersten Mal küssten. Meine Hände zitterten. Edwina lachte. Zufällig berührte ich ihren Oberarm und fühlte ihre Gänsehaut.

      Wir warteten nicht lange und teilten unsere erste Liebesnacht. Zwei Jahre lang waren wir ein Paar. Aber unsere Liebe erkrankte. Einmal sagte Edwina, dass wir uns trennen müssten. Denn sie war die Tochter eines Kohlearbeiters, ich der Sohn eines wohlhabenden Mannes. Ich wies es von der

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