Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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der Junge den Tod des Mannes, der sein Vater oder Onkel gewesen sein mochte, rächen wollen. Dann würde er nach mir suchen lassen.

      Ich tat einen Schritt in ihre Richtung und erstarrte. Mir wurde klar, dass ich in Begriff war, eine Grenze zu überschreiten. Im Unterrumpf hatte ich viele grausame Dinge getan. Aber ein Kind zu ermorden, das war etwas anderes. Lange Zeit hatte ich geglaubt, dass die Dunkelheit mir alles Menschliche ausgetrieben hatte. Aber als ich diesen Jungen sah und das Mädchen, das an seiner Schulter weinte, keimte Mitleid in mir – ein Gefühl, das ich für immer verloren geglaubt hatte.

      Ich wandte mich um und verließ das Hotel, ohne etwas mitzunehmen.

      Einige Viertel nach diesem Vorfall reichte Franco mir einen Fetzen Papier. Es war ein Steckbrief. Unter einer treffenden Zeichnung meines Gesichts stand:

      GESUCHT

      GODRIC END

      TOT ODER LEBENDIG

      1000 LIBERTY BELOHNUNG

      Einmal fragte ich Franco, wer zur Bande des Kapitäns gehörte.

      Franco zuckte die Achseln. „Das weiß keiner so recht. Manche behaupten, für ihn zu arbeiten, aber vielleicht bezahlt Raven sie, damit sie lügen. Der Kapitän spielt nicht mit offenen Karten. Könnte sein, dass ihm das halbe Schiff untersteht. Vielleicht auch kein einziger Mann. Es hat schon Meutereien gegeben, aber stets schlagen sich die meisten auf Ravens Seite. Kaum einer glaubt, dass man ihn stürzen kann.“

      „Haben sie denn nicht versucht, so viele wie möglich zu mobilisieren, bevor es zur offenen Revolte kam?“

      „Das haben sie. Aber Raven hat ein System. Seine Mannschaft setzt sich aus Halsabschneidern und Verrätern zusammen. Einmal hat er ein Gefängnis überfallen, nur um die Insassen aufs Schiff zu holen. Jeder zweite würde dich verkaufen. Ständig sterben Mannschaftsmitglieder oder landen im Unterrumpf oder verlassen das Schiff. Er hetzt die Banden gegeneinander auf. Dazu kommt die Größe der Besatzung. Du wirst es nie schaffen, sie zu einen.“

      Von Zeit zu Zeit ankerte die Swimming Island in Schwarzwasserhafen, einem Hafenabschnitt der Metropole Rust. Viele Erinnerungen fanden mich hier. Erinnerungen an das, was Fonti mich und Emily über die Stadt gelehrt hatte. Die Hauptstadt Dustriens ist so groß, dass selbst ein Schiff, das als schwimmende Insel bekannt ist, dort unbemerkt bleibt. Schwarzwasserhafen ist die wohl mieseste Gegend. Es ist der Rückzugsort aller Kriminellen. Wenn am Morgen keine Leiche auf der Straße liegt, sprechen die Menschen von einer gesegneten Nacht.

      Die Piraten gingen hier an Land, um ihre Beute zu verkaufen, um neue Mitglieder anzuwerben und um Vorräte, Waffen und Munition zu kaufen. Aber vor allen Dingen, um die Hurenhäuser zu besuchen. Franco zeigte mir das Haus, in dem die Gefahr am geringsten war, sich mit der Fickfäule, dem Schwanzschwamm oder dem Freudenfieber anzustecken. Sex fühlte sich gut an und war zugleich enttäuschend. Von kurzer Dauer, und die Erregung der Hure war schlecht gespielt. Trotzdem kehrte ich zu ihr zurück. Ich wurde besser, und die Hure fand zunehmend Gefallen an mir. Ich genoss, wenn ihr Blick ehrfürchtig meinen Körper streifte. Die Muskeln unter meiner straff gespannten Haut. Die Narben überall. Sie wäre wohl gerne mit mir durchgebrannt. Eine romantische Vorstellung, wie nur Frauen sie haben. Vielleicht bildete sie sich ein, mir etwas zu bedeuten. Ich aber machte mir nichts vor. Sie hatte mir nichts zu bieten und war mir bloß ein Objekt, das dazu diente, meine Lust zu befriedigen.

      Bei unserem ersten Halt in Schwarzwasserhafen erkannte mich jemand von den Steckbriefen trotz des flaumigen Bartes, den ich mir seither stehen ließ.

      „Dein hässliches Gesicht hab ich schon mal irgendwo gesehen“, rief eine junge Frau. Sie wäre hübsch gewesen, wäre ihr Haar nicht verfilzt und voller Flöhe, ihre Kleidung nicht zerlumpt und ihr Körper nicht schmutzig. „Du wirst gesucht, Godric End. Eintausend Liberty Belohnung.“

      „Willst du mich ausliefern?“

      „Mich ausliefern?“, äffte sie nach. „Hältst du mich für dämlich? Ich sehe doch, dass schon andere sich die Zähne an dir kaputtgebissen haben. Zugegeben … mit eintausend Liberty könnte ich dieses Leben hinter mir lassen.“ Sie seufzte. „Die Hafenhexe meinte, ich sollte nach Treedsgow gehen.“ Sie imitierte die Stimme einer alten Frau. „Es würde dir dort gut gehen, Diane. Es wäre kein Leben im Luxus, aber allemal besser als dieses hier.“

      „Wer ist die Hafenhexe?“

      Diane zuckte die Achseln. „Eine blinde Alte, die behauptet, die Zukunft zu kennen. Jeder hält sie für verrückt und trotzdem bezahlen die Leute sie für ihre Vorhersagen.“

      Ich griff in meine Hosentasche, zog ein Bündel Banknoten hervor und warf es Diane vor die Füße. Sie hob es auf, ohne mich aus den Augen zu lassen. „Denkst du, ich mach die Beine für dich breit, wenn du mir Geld gibst? Das haben schon andere gedacht … die haben jetzt keinen Schwanz mehr.“

      Ohne eine Erwiderung ging ich fort. Keine Ahnung, warum ich ihr das Geld gegeben habe. Nicht aus Mitleid. Ich hatte aus einer Eingebung heraus gehandelt. Verschmerzen konnte ich die Summe allemal. Meine Dienste bei Franco brachten mir mehr als genug ein.

      Dann war da noch Sam. Zu behaupten, dass ich sie beobachtete, hätte wohl nicht ganz der Wahrheit entsprochen. Man kam nicht umhin, sie zu bemerken.

      „Malaka“, nannte sie die anderen Mannschaftsmitglieder, wobei keiner so recht wusste, ob das eine Beleidigung war. Jeder kannte sie. Sie hatte schon unzählige Male sowohl ihr schlagfertiges Mundwerk als auch ihre herausragende Kampfkunst bewiesen. Es gab immer wieder Dummköpfe, die sie unterschätzten.

      „Sag Meine Mutter ist eine Hure“, befahl sie einem Neuling, der sie belästigt hatte. Er lag auf dem Bauch, Sam über ihm und verdrehte ihm die Arme.

      „Meine Mutter ist eine Hure“, stöhnte der Mann, und Sam erntete Gelächter.

      Ich bewunderte sie im Stillen. Sam lebte mit einer Leichtigkeit mit den Piraten, ob der man sich fragen musste, warum sie und Teena die einzigen Frauen an Bord waren. Ich ertappte mich dabei, wie ich solche Orte aufsuchte, an denen ich sie am ehesten anzutreffen glaubte. Ihre Nähe verschaffte mir ein warmes Gefühl. Sie redete viel und lachte gerne – ganz im Gegensatz zu mir – und ich genoss ihr lebendiges Wesen wie auch sie meine Schweigsamkeit.

      Es gab da nur ein Problem. Sie gehörte zu Marios Bande, ich zu Francos. Wir waren Feinde.

      Eines Nachts – ich hielt mich am Heck des Schiffes auf – hörte ich ihr Lachen. Es war ein schwüler Tag gewesen, und ein kühler Wind und fernes Grollen kündeten ein Gewitter an. Fast jeder hatte sich ins Innere des Schiffes zurückgezogen. Ich ging um einen Schiffsaufbau herum und dort sah ich sie inmitten einer kleinen Gruppe von Piraten. Sie alle gehörten zu Marios Bande. Sie hatten sich auf Kisten niedergelassen, tranken Schnaps und spielten im Windschatten Karten. Da waren der Zwerg Little Jow und sein riesenhafter Freund Bigass Bob, Mario selbst, Teena und natürlich Sam.

      „Eine Karte legen, eine ziehen“, rief Little Jow wütend. „Wenn ich noch einmal weniger als vier Karten in deiner Hand sehe, musst du trinken.“

      Bob brummte etwas.

      Teena beugte sich zu Sam und flüsterte ihr ins Ohr. Sam hob den Blick und sah zu mir. „Fantasma.“ Das bedeutete wohl Geist. Obwohl meine Haut längst nicht mehr weiß war, mein Haar wieder schwarz und meine Augen normal, nannte Sam mich manchmal immer noch so. „Komm her.“

      Ich trat in den Schein der Laternen. Nacheinander begegnete ich

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