Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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Spiegelbild stieg aus dem Bett. Ich versuchte mich aufzusetzen. Schwindel erfasste mich, und für einen Moment trat ich weg. Als ich wieder zu mir kam, war mein Spiegel-Ich im Begriff, durch das Glas zu treten. Es streckte seinen Arm hindurch, und der Spiegel warf Wellen wie die Oberfläche eines Sees. In den Augen meiner selbst funkelte die Mordlust. Mir wurde heiß.

      „Limbania.“ Meine Stimme war ein raues Flüstern. „Limbania.“

      Mein Ebenbild betrat vollends die Kammer. Kurz blickte es an sich herab, als könne es nicht glauben, seinem Gefängnis entkommen zu sein. War das alles eine Halluzination? Es trat vor das Bett, in dem ich lag. Ich blickte zu ihm auf, die Augen weit aufgerissen. Sein Lächeln war beinahe liebevoll. Sein Blick dunkel und kalt. Ich fürchtete mich nicht vor dem Tod, wohl aber vor mir selbst. Mein Ebenbild zog ein Messer.

      „Limbania!“ Nicht ich hatte gerufen. Ich blickte zum Regal. War der Schrumpfkopf zum Leben erwacht?

      „Was ist?“ Mein Spiegelbild raste an seinen angestammten Platz zurück. Eine Sekunde später betrat Limbania die Kammer. In der Hand hielt sie eine winzige Schale mit gelbem Brei. Sie ging vor mir in die Hocke. „Iss das, mein König.“ Der Brei schmeckte wie faule Eier. Aber im Unterrumpf hatte ich schon weitaus widerwärtigere Dinge mit Appetit verschlungen. Gehorsam aß ich, was sie mir verabreichte, und versank in tiefem Schlaf.

      Ich träumte von einem Birkenwald. In der Nähe einer Stadt mit roten Dächern. Die Strahlen der tief stehenden Sonne wärmten mein Gesicht. Grillenzirpen füllte die Luft. Eine Böe strich mir durchs Haar und trug den Geruch des Meeres heran, und die Birken flüsterten durcheinander.

      „Ich kenne diesen Ort“, sagte ich zu mir selbst.

      „Es ist deine Erinnerung.“ Es war, als hätte Limbania schon die ganze Zeit neben mir gestanden.

      „Unmöglich.“ Ich ging in die Hocke und berührte die Samen eines Grashalms. Es waren acht. „Ich habe ein gutes Gedächtnis, aber kein so gutes.“

      „Lass dich nicht täuschen. Woran du dich nicht erinnerst, erfindet dein Gehirn dazu.“

      Ein Ruf ertönte. „Komm zurück, Emily. Signore Fonti sagte, wir sollen diese Aufgaben bis morgen gelöst haben.“

      Die Silhouette eines Mädchens tauchte über der nächsten Hügelkuppe auf. Haar und Rock wehten hinter ihr her, als sie auf die Birken zulief. Ihr folgte ein magerer Junge, der große Schwierigkeiten hatte, mit ihr Schritt zu halten.

      „Na und?“, rief das Mädchen. „Die erledigen wir doch in Nullkommanichts. Es ist ein wunderschöner Tag. Bis die Sonne untergeht, können wir den Bäumen lauschen.“ Emily erreichte den Birkenwald und ließ sich an dessen Rand im Gras nieder. Der Junge legte sich wortlos neben sie, sodass sich ihre Köpfe fast berührten.

      Ich ging zu ihnen. Eine Zeit lang stand ich bloß da und betrachtete das Gesicht, das einst mein eigenes gewesen war. Rund und rosig und narbenlos. Die Augen voller Lebensfreude.

      „Komm“, sagte Limbania leise und fasste mich am Unterarm. Mit sanfter Gewalt zog sie mich fort.

      „Wohin gehen wir?“

      „Das siehst du gleich.“

      Wir taten nur drei Schritte. Die Hügel lagen hinter uns, und wir standen auf den Straßen der Stadt. Hier wurde meine Erinnerung blasser, die Umrisse aller Dinge unschärfer. Limbania öffnete die Tür eines Hauses, und dahinter kam ein dunkler Gang zum Vorschein. Mit einem Nicken forderte sie mich auf, einzutreten. Ich erwiderte ihren Blick und schüttelte den Kopf.

      „Es ist nicht der Unterrumpf“, sagte Limbania. „Es ist nur eine Erinnerung. Der einzige Weg zurück in die Gegenwart.“ Ich holte tief Luft, straffte die Schultern und trat ein.

      In meiner Erinnerung war der Unterrumpf wie in meinen Albträumen. Ein undurchsichtiges Gewirr dunkler Gänge und enger Räume. Nur jene Orte, die ich oft besucht hatte, sah ich klar. Wie jene Kammer über dem Maschinenraum. Irres Geschrei hallte durch die Gänge. Stetes Tropfen begleitete es. Rattenfiepen und das Knarren von Stahlträgern. Es roch nach Eisen, nach Rost und Blut.

      „Du hast gelogen.“ Ich blieb abrupt stehen. „Lass mich zurück.“

      „Es gibt kein Zurück.“

      „Limbania, ich werde dir den Hals umdrehen …“

      „Vertrau mir. Hier entlang.“ Sie führte mich durch einen Gang, eine Treppe hoch, durch ein Loch in der Wand und eine Leiter hinauf. Während wir dem Verlauf eines breiten Hauptganges folgten, bemerkte ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln.

      „Wir werden verfolgt“, murmelte ich.

      Limbania nickte und schwieg.

      Wir gingen weiter und gelangten vor eine Tür. Die Dealertür.

      „Sie ist verschlossen.“ Limbania ignorierte meine Worte und belehrte mich eines Besseren. Hinter der Tür führte eine Brücke zum Deck der Swimming Island. Das Holz knarrte unter unseren Füßen. Auf der anderen Seite bedeutete Limbania mir, mich umzudrehen. Unser Verfolger stand dort im Rahmen der Tür. Die Dunkelheit verbarg ihn, doch ich erkannte den Zylinder.

      „Hunger …“

      „Er folgt dir, wann immer du eine Erinnerung aus deinem alten Leben mitnimmst. Du kannst dem ein Ende bereiten.“ Limbania reichte mir eine Axt, die sie scheinbar aus dem Nichts geholt hatte.

      „Ich soll ihn töten?“

      „Das würde dir nicht gelingen. Zerstör die Brücke.“

      Als ich die Axt hob, legte Limbania mir eine Hand auf den Arm. „Warte. Du solltest wissen, dass du auch den Weg zu deinen Erinnerungen an das Leben vor dem Unterrumpf zerstörst.“

      Ich ließ die Arme sinken. „Ich werde mich an nichts erinnern?“

      „An das wenigste.“

      „Emily?“

      „An sie vermutlich schon. Nicht dein Kopf sondern dein Herz erinnert sich an sie.“

      „Und wenn ich die Brücke nicht zerstöre?“

      „Wird er dir folgen“, sagte Limbania, „und dir das Leben zur Hölle machen.“

      Ich betrachtete nachdenklich die Brücke. „Fonti hat mir Vieles beigebracht.“

      „Deine Erinnerungen sind nicht für immer verloren. Du kannst sie nicht mehr finden, aber wenn du geduldig bist, finden sie dich.“

      Ich nickte. Hob die Axt und schlug sie krachend ins Holz. Nach nur wenigen Streichen stürzte die Brücke ins dunkle Wasser. „Auf Nimmerwiedersehen“, sagte ich zu Hunger und lüftete einen unsichtbaren Hut, als der Traum sich schon aufzulösen begann.

      „Er erwacht. Ich hole Franco.“

      Als ich die Augen öffnete, stand Franco schon über mir. „Raus hier. Ich möchte mit ihm allein reden.“ Eine Tür fiel knallend ins Schloss.

      Ich setzte mich auf und sah mich um. Ich war nicht mehr in Limbanias Versteck, auch nicht mehr im Unterrumpf. Tageslicht fiel durch ein Fenster. Ich lag in einem riesigen Bett, an dessen

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