Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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Ausmaße angenommen. Mein Vater kam immer öfter auf unsere Beziehung zu sprechen: „Sie werden dich nicht auf der Christopher-Adams-Schule annehmen, wenn sich herumspricht, dass du dich mit dieser Dirne triffst. Wie willst du eines Tages in Treedsgow studieren ohne Abschluss?“

      „Vielleicht will ich ja gar nicht nach Treedsgow“, erwiderte ich. Das war natürlich Unsinn, war das Studium an der Treedsgow University doch von klein auf mein Traum gewesen.

      „Willst du etwa wie der Vater dieser Edwina in einer Kohlemine graben?“

      Auch Edwinas Eltern wollten unsere Beziehung nicht gut heißen. Ihr Vater hasste den meinen, weil er Mitglied im Vorstand des Bergbauvereins war. Er nannte mich nie beim Namen, sagte immer nur Der Sohn des Bonzen. Eines Tages beendete Edwina unsere Beziehung. Bis zu meinem Umzug nach Treedsgow blieben wir Freunde. Aber selbst nach meinem Schulabschluss, vier Jahre nach der Trennung, spürte ich ihren Kummer über meinen Fortgang. Es war mehr als nur die Trauer über einen verlorenen Freund. Sie trauerte um eine verlorene Liebe.

      W. D. Walker

       28. TAUMOND 1713, MITTVIERT

      Das Semester hat vor drei Tagen begonnen. Was in meinen Augen an Wunder des technischen Fortschrittes grenzt, ist für die meisten Bürger Treedsgows längst zum Alltag geworden. So wird der Haupteingang der Universität von zwei elektrisch gespeisten Bogenlampen beleuchtet. Dr. Warrick, unser Professor für Grundlagenmechanik, radelt jeden Morgen auf einem Hochrad zum Campus. Er hat es selbst konstruiert, in einer der Werkstätten der Universität bauen lassen und bereits ein Patent dafür angemeldet. Neben Laboren, Werkstätten und einer riesigen Bibliothek gibt es auch eine Rohrpostzentrale, die gut ein dutzend Häuser der wichtigsten Bürger Treedsgows miteinander vernetzt.

      Die Zukunft beginnt hier.

      Nach den Veranstaltungen dieses Tages besuchte ich die Bibliothek. Es gibt dort Enzyklopädien und Lexiken, aber auch Romane und lyrische Werke. Ich lieh mir eine Gedichtsammlung von Anthony Robert Gray aus.

      W. D. Walker

       8. FRÜHLINGSMOND 1713, WERKTAG

      Ist es möglich, dass ich schon seit zwei Vierteln in Treedsgow studiere? Es gibt viel zu tun, und die Zeit vergeht ungesehen …

      Vor zwei Tagen war Frühlingsanfang. Gray bringt diese Jahreszeit in seinen Gedichten oft mit der Liebe in Verbindung. Ich horche in mich hinein und empfinde nur Sehnsucht.

      Und Mutlosigkeit.

      Wo ist sie, die ich suche? Hier in Treedsgow? Irgendwo in Dustrien? Gibt es sie überhaupt?

      W. D. Walker

       18. FRÜHLINGSMOND 1713, STAHLTAG

      Es ist Abend.

      Vor wenigen Stunden begegnete mir Emily End und schlug mich zum Narren.

       (Ich vergaß zu atmen. Emily End? Meine Schwester Emily? Sie lebte? In Treedsgow? 18. Frühlingsmond 1713 … Wie lange war das her?)

      Sie ist es, nach der ich gesucht habe. Daran besteht kein Zweifel!

      Jedoch … darf ich wahrhaftig hoffen? Sie ist eine der wenigen Frauen, die in Treedsgow studieren. Sie würde nie – nie! – ihr Studium für mich riskieren.

      Emily.

      Dieser gewöhnliche Name war mir nie exotischer erschienen. Egal wie, ich kann ihn nicht aussprechen, ohne zu lächeln. Wenngleich es ein wehmütiges Lächeln ist.

      Em-mi-ly. Wieder. Ein Lächeln.

      Als ich vor vier Stunden meine Wohnung betrat, war ich allein. Ed besuchte eine Veranstaltung. Ich ging in die Küche. Als ich nach dem Brotmesser griff, verging mir der Appetit. Ich blickte mich um. Es war still, und ich fühlte mich beengt. Ich ging in mein Zimmer und fing an, einen Brief zu schreiben. Schon nach wenigen Zeilen legte ich den Füllfederhalter nieder. Die Luft erschien mir fremd und staubig. Mir war heiß und ich wurde zunehmend unruhig.

      Mein Blick schweifte durch den Raum auf der Suche nach einem Grund, die Wohnung für wenigstens eine, besser zwei Stunden zu verlassen. Ich wollte mir selbst nicht eingestehen, dass ich Heimweh hatte. Ich entdeckte die Gedichtsammlung von Anthony Robert Gray auf meinem Schreibtisch und schnappte danach wie ein Schiffbrüchiger nach dem rettenden Seil. Das Rückgabedatum war erst für den achtundzwanzigsten ausgezählt. Egal. Ich stand auf und zog mir Schuhe und Jacke an.

      Wenig später stieg ich die Stufen zum Podium der Bibliothek empor. Ich ging langsam, da ich unterwegs Grays Sammlung aufgeschlagen und mich in seinen Gedichten verloren hatte. Ich erreichte die Tür und tastete nach der Klinke. Zu spät sah ich den Bücherturm, der mir entgegen kam. Ich stolperte, während Bücher zu beiden Seiten des Turms auf den Boden klatschten.

      „Bitte entschuldige!“, rief das Mädchen, das die Bücher getragen hatte. „Hab dich nicht gesehen.“ Der Klang ihrer Stimme machte mich stutzig. Vielleicht lag es auch bloß daran, wie sie sich artikulierte, eine beiläufige Art, jedes Wort in Gesang zu kleiden.

      „Nicht doch“, sagte ich und beeilte mich, ihr beim Aufsammeln zu helfen. „Ich habe geträumt.“ Ich warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Mein erster Gedanke war, dass sie nicht besonders hübsch war, eher durchschnittlich wie eine typische Studentin. Sie trug eine Brille. Ihre geröteten Wangen und das zerzauste Haar verliehen ihrer Erscheinung eine ungekünstelte Note.

      Im Nachhinein denke ich, dass ihr Charakter ihre wahre Schönheit ausmacht. Sie hat eine spitze Nase, einen kleinen Mund und über der linken Braue trägt sie ein entrückendes Mal. Sie ist weder besonders schön noch hässlich. Umso stärker scheint die Schönheit ihres Wesens durch ihr unscheinbares Äußeres. Ed hätte das nicht verstanden.

      Ich griff nach einem Buch. Ich erwartete eine wissenschaftliche Lektüre, etwas wie Lehrbuch der Physik oder Evolutionsbiologie. Ich konnte Ed in meinem Kopf fragen hören: Ist sie eine Prüderine? Oder eine Langeweila? Ich drehte das Buch um und las Norvolkische Mythologie.

      Ich stutzte.

      „Du interessierst dich für Mythen?“ Sie nickte, während sie ihre Bücher wieder zu einem Turm stapelte. „Ich habe dieses Buch bestimmt ein dutzend Mal gelesen“, sagte sie. „Es ist mir ein tragbares Stück Heimat.“ Sie schenkte mir ein flüchtiges Lächeln.

      „Kommt mir bekannt vor.“ Ich wollte ihr die Gedichtsammlung von Gray zeigen. Doch das Buch – ich hatte es nur kurz auf den Boden gelegt – war verschwunden. „Hast du mein Buch genommen?“

      „Welches?“

      „Dort.“ Ich zog es aus ihrem Bücherturm und zeigte ihr den Einband. Die Augen des Mädchens weiteten sich.

      „Oh. Ich dachte, es wäre von mir. Ich wollte es mir ausleihen, aber jetzt erinnere ich mich, dass das einzige Exemplar schon vergeben war.“ Sie musterte mich milde interessiert. „Du liest Gray?“

      Ich zuckte die Achseln. „Er schreibt gute Gedichte.“

      „So ein Zufall. Ich liebe die Gedichte von Gray.“

      „Ach ja?“

      Sie nickte, überlegte kurz und sprach:

      „Worte,

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