Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens страница 34

Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

Скачать книгу

du die Sternenbilder der Norvolken?“, fragte ich leise, als nur noch ein orangeroter Streifen über dem Meer an den vergangenen Tag erinnerte, und die Straßenlaternen entlang der Promenade aufflammten.

      „Nicht alle, aber einige“, flüsterte Emily, legte den Kopf in den Nacken und deutete himmelwärts. „Die Hemisphäre lässt sich in drei Abschnitte unterteilen. Blickst du in Lotrichtung nach oben, siehst du Stahl.“ Ich folgte ihrem Blick. „Wenn du die Sterne richtig verbindest, bilden sie seine Silhouette, wie er die Hand nach dem Mond ausstreckt.“ Ihre Stimme lächelte. „Du erinnerst dich, dass der Mond der Sage nach das silberne Schloss von Tyr, dem Götterbildner, ist? Dass er es zum Gefängnis seiner Tochter Ea machte, weil sie ihren Sohn ins Leben zurückholte?“

      „Du meinst Lotin?“

      Bei der Erwähnung des Namens zuckte Emily zusammen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie ihre Hand zum Talisman fuhr.

      Sie fasste sich schnell. „Stahl vermisst seine Schwester“, fuhr sie fort, als wäre nichts gewesen. „Die Sternenbilder zwischen den Linien auf der Höhe von dreißig und sechzig Grad zum Horizont sind die Kinder von Ea und werden deshalb auch die zweite Generation genannt. Zwölf mal Zwölf Bilder sind es. Dort sind Einar, Alfgard und Oddleif. Von null bis dreißig Grad ist entsprechend die dritte Generation …“

      Ich lauschte verträumt dem Klang ihrer Stimme. Ich hätte mit ihr die ganze Nacht verbringen können, nein, die Ewigkeit auf dieser harten Holzbank mit Blick auf das inzwischen spiegelglatte Meer, in dem sich der Sternenhimmel von Treedsgow zeigte, ihr Kopf an meiner Schulter.

      „Mir ist kalt“, murmelte Emily irgendwann. Wir verließen den Hafen. Vor ihrer Wohnung verabschiedete ich sie mit einem Kuss auf die Hand.

      W. D. Walker

       34. FRÜHLINGSMOND 1713, WERKTAG

      Vor drei Tagen habe ich Emily das letzte Mal gesehen. Sie studiert Astronomie. Sie besucht andere Vorlesungen als ich. Sie hält sich in Gebäuden auf wie dem Hemisphärion oder dem astronomischen Observatorium und ist allenfalls in gemeinschaftlich genutzten Räumen wie der Mensa oder der Bibliothek anzutreffen. Es ist also eher dem Zufall überlassen, ob ich ihr auf dem Campus begegne.

      Ich habe einen Brief geschrieben. Ich möchte sie wiedersehen! Es kostet mich meine gesamte Willenskraft, um ihn nicht sofort unter ihrer Wohnungstür durchzuschieben. Sie soll nicht wissen, wie sehr ich mich nach ihrer spitzen Nase und jenem Mal über ihrer linken Braue sehne.

      Allein zu wissen, dass es sie gibt, beflügelt mich. Ich wache morgens auf, bevor mein Wecker schellt. Ich erledige meine täglichen Aufgaben stets gut gelaunt, bisweilen sogar mit einem Lied auf den Lippen. Nichts kann mich verstimmen. Nichts!

      W. D. Walker

       36. FRÜHLINGSMOND 1713, MITTVIERT

      Soeben schob ich den Brief unter Emilys Tür durch. Ich habe bei einem der anderen Hausbewohner geschellt, um ins Treppenhaus zu gelangen. Nun heißt es: warten.

      W. D. Walker

       5. URBAN 1713, VIERTMORGEN

      Emily lässt sich Zeit. Warum? Ist sie zu beschäftigt? Gibt es so viele Dinge, die ihr wichtiger sind? Diese Frage klingt selbst in meinen Ohren narzisstisch, aber wenn ich unser letztes Treffen Revue passieren lasse, glaube ich, dass sie mich mag. Warum also lässt sie mich warten?

      Vielleicht sucht sie nur die richtigen Worte …

      W. D. Walker

       (Auf die nächste Seite war ein Brief eingeklebt. Emilys Antwort. Ich strich über die Zeilen, die sie verfasst hatte, meine Schwester, die ich für tot gehalten hatte. Eine Erinnerung fand mich. Daran, wie neidisch ich auf Emilys saubere Handschrift gewesen war. Ich hatte versucht, die Schnörkel, die sie an jedes ‚L‘hängte, zu imitieren, und es ihr gegenüber heftig abgestritten. Die Schnörkel machte sie immer noch.)

       7. URBAN 1713, STAHLTAG

      Lieber William.

      Ich kann einem weiteren Treffen nicht zustimmen. Die Leute reden. Ich möchte meinen Platz an der Universität nicht verlieren. Ich hoffe, du verstehst das.

      Alles Liebe

      Emily

      Mein Kopf ist leer, und ich bin müde.

      Als Edwina und ich uns trennten, wurde es finster um mich herum. Eine Zeit lang war ich gefühlsblind, aber ich gewöhnte mich an die Dunkelheit, sah wieder Formen, wenn auch keine Farben.

      Ich übte mich in Geduld.

      Dann öffnete sich eine Tür, und Emily trat in mein Leben. Goldenes Licht begleitete sie wie eine Aura, und ich sah, wie viel schöner alles sein konnte. Sie reichte mir einen Kelch, ließ mich von neu erwachter Liebe kosten, nur einen winzigen Schluck …

      Bloß um mir alles im nächsten Augenblick zu nehmen. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss, und ich stehe wieder im Dunkeln. Das goldene Licht hat sich in meine Netzhaut gebrannt, ein verblassender Abglanz des Glücks, der mich höhnisch daran erinnert, wie schön das Leben sein könnte. Ihre Nase, das Mal über ihrer Augenbraue – nicht für mich.

      Ich jammere nicht. Ich grüble nur.

      Hatte ich mich so sehr in Emily getäuscht? Hatte ich ihre Signale falsch gedeutet? Sie hatte es geschehen lassen, dass ich sie flüchtig berührte, hatte mir bisweilen sogar Komplimente gemacht. Sie hatte bei unserem letzten Treffen ihren Kopf an meine Schulter geschmiegt – eine rührende Geste.

      Aber mir scheint, ich messe solchen Dingen eine zu große Bedeutung bei.

      Ich denke manchmal, Emily hätte vorsichtiger sein müssen, wo ihr doch von vornherein klar gewesen war, dass sie ihren Platz an der Universität riskierte. Vielleicht war es nur ein Vorwand, um mich nicht wiedersehen zu müssen. Vielleicht hatte sie sich erst nach unserem letzten Treffen dazu entschieden, mir eine Abfuhr zu erteilen. Wie muss der Mann sein, für den sie ihr Studium riskieren würde? Gewiss maskuliner als ich. Weniger an Büchern interessiert und mehr an Abenteuern. Breit gebaut, markante Züge, dominant.

      Vielleicht mag sie mich ja, kann mich aber nicht lieben.

      Ed klopfte mir tröstend auf die Schulter und versprach mir, sich mit mir am Viertende zu betrinken.

      W. D. Walker

       10. UBRAN 1713, LOHNTAG

      Es fällt mir leicht, mich auf die Worte unserer Professoren zu konzentrieren. Während die meisten Studenten sehnsüchtig aus dem Fenster blicken, gilt meine Aufmerksamkeit nur der Tafel. Draußen lacht die Sonne und schert sich einen Dreck darum, wer empfänglich ist für ihre gute Laune.

      Ich lasse nicht zu, dass meine Gedanken abschweifen. Ich versuche mich von Emily abzulenken, doch das Schicksal treibt ein hämisches Spiel mit mir.

      Wie zu Beginn des Semesters betrat ich heute nach den Veranstaltungen des Tages die Bibliothek, um mich für ein bis zwei Stunden zwischen den Seiten eines Buches zu verlieren. Emily schien dort nur auf mich zu warten. Mit einem turmhohen Bücherstapel in den Armen wie bei unserer ersten Begegnung, als wollte sie sich über mich lustig machen.

Скачать книгу