Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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zusammengebunden. Es kostete mich große Willenskraft, nicht ständig hinzusehen. Sie selbst hatte vermutlich nicht einmal einen Blick in den Spiegel darauf verwendet.

      Wir hatten die Bücher zurückgegeben und an einem der Tische im Coffee-House Calvin nahe beim Fenster Platz genommen.

      „Glaubst du etwa, dass sie wahr sind?“, fragte ich. „Dass der Götterbildner Tyr die erste Frau in Eis meißelte? Dass er Kinder mit ihr zeugte, die Ea und Stahl hießen und halb Gott und halb Eismensch waren? Glaubst du an böse Geister und daran, dass Stahl sie in die Schattenwelt hinter die Spiegel bannte?“

      Zu meiner Beruhigung schüttelte Emily den Kopf. Ich wartete, während sie an ihrem brühend heißen Kaffee nippte.

      „Ich glaube nicht, dass sie wahr sind“, sagte sie schließlich und setzte mit einem leisen Klirren ihre Tasse ab. „Ich glaube an nichts, aber ich halte alles für möglich. Ich muss mich damit abfinden, dass ich die Wahrheit nicht kenne. Diese Mythen liefern eine Erklärung für die Existenz. Sie lassen sich nicht beweisen, lassen sich aber auch nicht widerlegen.“

      „Es gibt deutlich plausiblere Theorien für die Entstehung des Lebens“, begehrte ich auf.

      „Keine dieser Theorien lässt sich endgültig beweisen“, fuhr sie mit ruhiger Stimme fort und bekundete damit mehr Schneid, als ich ihr zugetraut hätte. „Aber jede Theorie wird irgendwann widerlegt. Du kannst an die Mythen der Norvolken glauben oder an wissenschaftliche Theorien, wenn dir das lieber ist. Aber der Wahrheit kommst du nicht näher, egal wie du dich zuletzt entscheidest.“ Ich schwieg einen Augenblick, während ich über ihre Worte nachdachte. Dann nickte ich anerkennend.

      „Ich stimme dir zwar nicht zu“, sagte ich. „Aber ich stimme dir auch nicht nicht zu.“

      Sie lächelte. „Freut mich, dass wir uns nicht uneinig sind.“

      Beim Abschied fragte ich beiläufig, ob sie schon einmal das Hafenviertel von Treedsgow gesehen habe.

      Sie verneinte. „Ich hörte, dass dort ein Dampfschiff ankert.“

      „Als ich zuletzt dort war, war es noch da“, sagte ich. „Wir könnten hingehen und es uns zusammen ansehen.“

      Emily blickte zerstreut ins Leere. Ich schluckte schwer, während die gelassene Maske, die meine Unsicherheit verbarg, zu rutschen drohte. Lieber hätte ich Dr. Carter, unserem Professor in Physik, einen Kuss auf die runzeligen Lippen gedrückt, als ihr Zögern eine Sekunde länger ertragen zu müssen. Unstete Gedanken jagten durch meinen Kopf. Sollte ich etwas sagen? War doch nur ein Scherz. Ich gehe jetzt. Vielleicht trifft man sich ja mal wieder. Oder auf eine Antwort warten? Ich stellte mir vor, wie ich aufsprang, ihr meinen Stuhl in den Weg warf und fortrannte.

      „Das würde mich sehr freuen“, sagte sie, und eine so große Last fiel mir vom Herzen, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn ich vom Boden abgehoben hätte.

      Emily sah aus dem Fenster. Ihr Blick war geistesabwesend, wenngleich nicht in die Ferne gerichtet … eher so, als sähe sie etwas in der Spiegelung des Fensterglases.

      W. D. Walker

       31. FRÜHLINGSMOND 1713, RUHENACHT

      Soeben kehrte ich von meinem jüngsten Treffen mit Emily zurück.

      Ich holte sie an diesem Nachmittag vor ihrer Wohnungstür ab. Als sie die Tür öffnete, wurde ich von ihrem Anblick regelrecht überfahren. Sie trug anders als bei unseren ersten beiden Begegnungen weder Rock noch Bluse, wie es für Studentinnen üblich ist, sondern ein hochgeschlossenes, weißes Kleid. Außerdem eine Mantille um die Schultern und einen großen Sommerhut aus Stroh.

      Ich schenkte ihr ein Lächeln und bot ihr den Arm dar. Sie hakte sich ein, ohne zu zögern, und wir spazierten hinunter ins Hafenviertel.

      „Ist das ein Glücksbringer?“, fragte ich mit Blick auf einen winzigen Stoffbeutel, der an einer Lederschlaufe um ihren Hals hing. Emily blickte überrascht an sich hinab und ließ den Beutel kurzerhand unter dem Stoff ihres Kleides verschwinden.

      „Es ist ein Mojo“, erklärte sie widerwillig. „Ein Talisman origonischen Ursprungs.“

      Ich lachte. „Ein Talisman? Mit magischen Kräften?“

      In Erwartung, ein klares Nein zu hören, wirkte ihr Schweigen lang, beinahe verlegen. Glaubte sie etwa tatsächlich an die übersinnlichen Kräfte von Talismanen?

      „Es hat natürlich keine Zauberkräfte“, sagte sie. „Ich finde es bloß hübsch. Und es riecht gut.“

      Es war ein schöner Tag. Sonnig, wenn auch stürmisch. Das Meer warf große Wellen gegen die Kaimauer, und die Segel vieler kleiner Boote knatterten im Wind.

      Das Dampfschiff war noch da. Emily betrachtete staunend den großen Schornstein und die Schaufelräder am Rumpf. Schwarze Lettern verkündeten den Namen des Gefährts: Royal Mordred. Obwohl ich den Dampfer bereits gesehen hatte, erfüllte sein Anblick mich wieder mit Ehrfurcht. Ich bewahrte eine gelassene Miene, als wäre ich durch nichts auf dieser Welt zu beeindrucken.

      „Ich würde gern einmal auf der Royal Mordred fahren“, schwärmte Emily. „Du nicht auch?“ Der Wind hatte ihr den Strohhut in den Nacken geweht. Eine Haarsträhne hatte sich aus ihrem Pferdeschwanz befreit und deutete wie ein Hinweispfeil unablässig wedelnd auf das Mal über ihrer Augenbraue. Irrte ich oder sah sie heute noch bezaubernder aus als sonst?

      Eine große Welle brach an der Kaimauer. Gischt spritzte auf, und Emily wich erschrocken zurück.

      Ich lachte.

      „Es ist doch nur Wasser“, sagte ich und stellte mich vor sie, wie um das Wasser abzufangen.

      Sie errötete. „Hab mich erschrocken“, murmelte sie und wich meinem Blick aus.

      Immer noch schmunzelnd deutete ich auf ein Café und bot an, ihr eine Cola zu spendieren.

      Insgesamt kann von einer gelungenen Verabredung die Rede sein. Wir tranken Cola und spazierten die Promenade entlang. Wir redeten über die norvolkischen Mythen, über das Studentenleben in Treedsgow, über uns.

      Emily sagte, dass sie alle halbe Jahre den Konzerten der Treedsgower Philharmoniker lauschte.

      „Ich würde dich gerne einmal begleiten“, sagte ich.

      Emily schwieg. Ihre Miene war nicht abweisend, eher abwesend genau wie vor zwei Tagen im Coffee-House Calvin. Was beschäftigte sie? Fühlte sie sich womöglich bedrängt?

      Schließlich deutete sie auf eine Bank mit Blick auf das Meer und schlug vor, sich zu setzen. Das dunkle Wasser war an diesem Abschnitt der Küste zurückgewichen, und hinter der Kaimauer lag ein breiter Sandstrand. Schweigend lauschten wir dem Rauschen der Wellen. Die Sonne versank hinterm Horizont. Es war keine peinliche Stille, wie Ed sie fürchtete, eher eine stillschweigende Übereinkunft, den Zauber des Augenblicks nicht durch sinnlose Worte zu verscheuchen.

      Nach einer Weile lehnte Emily ihren Kopf an meine Schulter. Ich rührte mich nicht, als wäre sie ein Vogel, den ich nicht erschrecken wollte. Die Sonne war schon fast im Meer versunken und unzählige Sterne glitzerten am Himmel. Eine kühle Brise trug uns den Salzgeruch zu, und Emily schlang fröstelnd die Arme um den Leib. Ohne nachzudenken, legte ich ihr den Arm um die Schultern und wartete mit klopfendem

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