Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
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Ein witzloses Lachen war aus der Dunkelheit zu hören. Ihre Stimme klang abwesend, als die junge Frau sagte: „Die Grenze zur Anderen Welt ist hier dünn. Warum baut man eine Siedlung in die Nähe eines solchen Ortes?“
Ihre Worte waren keine echte Frage, denn sie spürte wohl, dass auch Aigonn darauf keine Antwort wusste. Eine kurze Zeit hielt sie noch inne, dann nahm sie Aigonn die Hacke aus der Hand und begann, die Erde auf der Seite des Grabhügels zu lockern, die dem Wald am entferntesten war.
Aigonn versuchte, seine Herzschläge zu zählen, doch nach wenigen dreißig gab er es auf. Als die junge Frau nach einer geraumen Zeit immer noch kaum vorangekommen war, nahm er ihr die Hacke aus der Hand und bemühte sich, trotz seines verletzten Arms, die Grabkammer freizulegen.
Es schien Tage zu dauern, bis sie endlich auf eine Trockenmauer trafen. Aigonn befürchtete, bereits den Morgen grauen zu sehen. Doch die Wolkendecke ließ eine Zeitmessung nicht zu.
Die Beklommenheit, die seit dem Betreten der Totenaue alles in ihm bestimmte, verstärkte sich, als er mit spitzen Fingern die Steine zu lockern versuchte. Es gelang ihm schlecht. Er musste zweimal die Hacke zur Hilfe nehmen, bis die unsauber gehauenen Steine bröckelten und ihm der Geruch alten Staubes entgegenschlug.
Unwillkürlich hielt Aigonn den Atem an. Die Schwärze der Nacht hatte sich tatsächlich etwas gelichtet, sodass die gähnende Finsternis im Innern der Grabkammer wie ein schwarzes Loch in das Nichts wirkte. Die junge Frau warf Aigonn einen fragenden Blick zu. Sie hatte in der Zwischenzeit einen trockenen Ast herbeigeschafft und hielt zwei Feuersteine griffbereit in den Händen.
Aigonn nickte nur stumm. Was sollte es auch nützen, wenn sie sich gerade jetzt zurückzogen? Mit zwei scharfen Schlägen blitzten feine Funken auf. Binnen weniger Atemzüge entzündete sich eine Flamme, deren Licht sich langsam wie die Morgensonne ihren Weg in die Dunkelheit suchte, die seit fast einem Jahrzehnt ungestört war.
Zwischen den Überresten eines Schaffells ruhten erblichene Knochen im Erdengrab. Aigonn wurde plötzlich wieder zum Kind, sah zu, wie seine Mutter Tontöpfe voll Korn, Honig und Obst neben seine Schwester bettete. Die Glasperlenkette an ihrem Hals und die bronzenen Reifen an ihren Armen waren die kostbarsten Schmuckstücke, die Moribe ihrer Tochter auf die Schnelle mit in die Andere Welt hatte geben können.
Die Wirklichkeit war ein verblichenes Abbild dieser Tage. Aigonn starrte Augenblicke lang auf die Überreste von Derona, auf das, was von ihr geblieben war, bis er die junge Frau sagen hörte: „Es ist so weit! Bist du bereit?“
‚Nein‘, wollte Aigonn rufen. Er würde niemals bereit für diesen Moment sein. Doch er konnte dem Gefühl keinen Namen geben, das ihn vorwärtstrieb, während er auf die junge Frau zulief. Sie selbst kniete neben dem frischen Eingang zur Grabkammer. Das Loch im Hügel war kaum groß genug, um einen einzelnen Mann hindurchzulassen. Aigonn hätte gern noch einmal mit ihr gesprochen, sich vielleicht doch zurückgezogen. Doch bevor er die Gelegenheit fand, hatte sich die junge Frau bereits gebückt und suchte sich einen Weg in die Grabkammer hinein.
Aigonn wollte es nicht. Er wollte weglaufen, all das vergessen, sich bei Rowilan entschuldigen und versuchen, alles so sein zu lassen, wie es hätte sein können. Aber er wusste, dass es keinen Zweck hatte. Noch einmal atmete er tief durch, bewahrte sich den Geruch der Nacht und des Sees, bevor er die Augen schloss und blind in den Grabhügel kroch.
Es waren nur wenige Fuß, dann öffnete sich vor ihm die Grabkammer. Der winzige Raum war gut zwei Fuß tief in den Boden gegraben und kaum groß genug, dass man neben der Toten noch Töpfe und Schalen abstellen konnte. Die junge Frau hatte sich ans Fußende gezwängt. Die mit Holz gestützte Decke war so niedrig, dass sie sich selbst im Sitzen bücken musste, während sie behutsam die Gefäße zwischen die Beine der Toten legte, um sich Platz zu schaffen.
Noch bevor Aigonn sich recht hinsetzen konnte, musste er husten. Der Staub klebte auf seinen Schleimhäuten. Er atmete lange in Richtung des Ausgangs, um seine Lungen mit frischer Luft zu füllen, während die junge Frau die Fackel so schräg in das Erdreich steckte, dass sie die Decke nicht ansengte.
Als er sich wieder beruhigt hatte, stellte Aigonn eine große Tonkanne beiseite und nahm oberhalb des Kopfes seiner Schwester Platz. Zwei leere Augenhöhlen starrten zu ihm auf. Er konnte nicht sagen, ob er Abscheu oder Furcht vor dieser Sammlung von Knochen empfand, die einmal Derona gewesen waren. Ihn schockierte der Gedanke, dass er soeben ihre Ruhe gestört, ein heiliges Gesetz seines Volkes gebrochen hatte.
Aber es dient nur dazu, dass du Gerechtigkeit erhältst! An diesen Gedanken klammerte er sich und sprach ihn im Geist immer wieder aus, als würde er damit Deronas Seele besänftigen können.
Die junge Frau hatte sich in der Zwischenzeit gesammelt. Sie wartete auf den Moment, der ihr angemessen erschien, bis sie Aigonn zuraunte: „Lass uns beginnen! Ich kann dir helfen und dich dorthin führen, wo wir finden werden, was wir suchen. Aber sei dir bewusst, dass der Erfolg dieser Sache von dir abhängen wird – fast ausschließlich!“
Aigonn nickte.
„Bist du bereit?“
Er nickte abermals.
„Gut. Umfass ihren Schädel mit beiden Händen. Der Kopf war der Sitz ihrer Seele. Er ist der Ort, wo sie ihre Erinnerungen zurückgelassen hat. Du musst versuchen zu fühlen, was geblieben ist!“
Aigonn schloss die Augen. Seine Fingerspitzen zitterten, als sie den Knochen berührten. Solange er nicht hinsah, hätte es auch ein Tierschädel sein können, die Reste eines toten Schafes, das sein Vater geschlachtet und ausgenommen hatte. Der Gedanke widerte ihn an, aber er bewahrte ihn für den Moment vor den immer gleichen Bildern, die sich in seinen Kopf drängen wollten.
„Konzentrier dich! Du darfst nicht versuchen, der Situation zu entfliehen. Sonst hat das alles hier keinen Zweck!“
Er atmete tief durch. Der Kopf seiner Schwester. Mit einem Mal schien Derona ganz nahe zu sein. Die Präsenz ihres Geistes flammte auf, berührte ihn an der Schulter, bevor sie versiegte. Seine Atmung entspannte sich. Aigonn wurde ruhiger.
„Das ist gut so! Nun versuch, ihren Schädel zu spüren, so, als ob er ein Teil von dir wäre. Versuch zu sehen, was sie gesehen hat.“
In diesem Augenblick umfasste die junge Frau sein Fußgelenk mit einer Hand und sandte die ruhige, fließende Kraft aus, die sie in sich trug, die sie umgab. Sie wurde zu einer Stütze, die ihm Stärke verlieh.
Mit jedem Herzschlag wurde sein Atem ruhiger, bis sein Geist ganz langsam das Band zur Wirklichkeit durchtrennte. Die Schwere der Welt fiel von ihm ab. Als würde er über dem Boden schweben, fühlte er nur noch den Schädel in seinen Händen, sonst nichts mehr.
Aigonn öffnete die Augen. Er starrte auf die Gebeine seiner Schwester, versuchte zu sehen; etwas, das geblieben war, einen Funken ihres Geistes.
Plötzlich stürmten Bilder auf ihn ein. Die Wucht schien ihn im ersten Moment zu erschlagen, bis er dem Strom der Erinnerungen die Geschwindigkeit nehmen konnte. Dann sah er das Dorf vor sich. Ein fünfjähriger Junge jagte ein Schaf über die Wiese vor den Palisaden, und Aigonn musste verwundert feststellen, dass er sich selbst beobachtete.
Doch das war es nicht, was er suchte. Die nähere Vergangenheit musste er finden, die letzten Monate aus Deronas Leben. Aigonn versuchte, sich in einem