Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
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„Ich weiß es nicht genau. Es hatte den Anschein, als wären sie auf der Suche nach Seelen gewesen, die den Weg in die Andere Welt nicht gefunden haben. Aber ich kann dir nicht sagen, zu welchem Zweck.“
„Hat es vor einigen Jahren bei euch Krieg gegeben?“
„Nicht, dass ich wüsste.“
Die junge Frau presste nachdenklich die Lippen aufeinander. Ihr Ausdruck war unbefriedigt. Sie schien sich mehr von diesem Ritual erhofft zu haben, das Aigonn fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Morgenlicht erreichte endlich die Schatten am Rande des Waldes. Die junge Frau gab Aigonn noch einen Moment Zeit, bevor sie anmerkte: „Allmählich sollten wir das Grab verschließen und zurückkehren. Man wird uns vermissen.“
„Nein.“
Sie sah auf. Aigonn blickte sie nicht an, als er wiederholte: „Ich gehe nicht zurück in die Siedlung. Nicht jetzt. Noch nicht.“
„Sondern?“
„In den Wald. Ich bin nicht in Stimmung, irgendjemandem Rede und Antwort zu stehen. Weder Efoh, noch Rowilan, noch sonst wem.“
Die Frage nach dem Schicksal
Es waren lange und stille Momente, welche die junge Frau zusammen mit Aigonn im Wald verbrachte. Nachdem sie seinem Wunsch gefolgt waren und die Schatten des Waldes als Zuflucht gesucht hatten, versank er tief in seinen Gedanken und focht lange über das Gesehene mit sich selbst und seiner Vergangenheit.
Auf diese Weise wurde Morgen unbemerkt zu Mittag. Die Sonne wanderte weiter und brannte über dem Dorf mit all ihrer Kraft und Sommerhitze. Im Wald jedoch nahmen die beiden Gefährten keine Notiz davon. Aigonn selbst kannte die alten Bäume, die sich ihren Platz zwischen steinigen Hängen und feuchten Talsenken gesucht hatten, wie eine zweite Familie und folgte der Kontur des Waldrandes irgendwann in einiger Entfernung Richtung Dorf zurück.
Die junge Frau hatte sich lange zurückgehalten, aber schließlich musste sie ihrer Neugier nachgeben und fragte vorsichtig: „Was … glaubst du, hat deine Schwester zum Selbstmord getrieben?“
Zwei Atemzüge lang herrschte Stille. Dann antwortete Aigonn, ohne aufzusehen: „Die Geister, Wahnvorstellungen, irgendetwas dieser Art.“
„Trägt Rowilan Schuld daran?“
Nun sah Aigonn sie an. In seinen Augen lagen dutzende, heftige Antworten verborgen, doch diese waren nicht für sie bestimmt. Ihre Frage hatte er sich an diesem Tag schon mehrere Male gestellt. Seit sie von der Totenaue aus aufgebrochen waren, suchte er nach den Gründen dafür und dagegen. Doch obwohl er Rowilan insgeheim gern als den Schuldigen darstellen wollte, spürte er, dass er es sich nicht so leicht machen durfte.
„Ich glaube, dass Derona ihm etwas bedeutet hat. Sie hat ihn sehr geliebt, das weiß ich jetzt. Aber ich kann dir nicht sagen, wie viel er davon erwidert hat. In ihren Erinnerungen …“
Kurz hielt er inne. Die Gefühle seiner Schwester hatten sich in seinen Kopf eingebrannt, als hätte er selbst ihr Martyrium durchstehen müssen.
„… hat jemand sie dazu getrieben, vielleicht sogar gezwungen, eine bestimmte Person wiederzufinden, eine Seele. Ich konnte aus ihren Erinnerungen nicht entnehmen, ob es Rowilan gewesen ist. Sie schien es selbst nicht gewusst zu haben.“
„Traust du es ihm zu?“
„Ich weiß es nicht. Ich möchte nicht von mir behaupten, dass ich in der Lage bin, Rowilan einzuschätzen. Er verschwendet sehr viel Energie darauf, unnahbar zu wirken oder zumindest unantastbar. Diesen Eindruck habe ich. Zu was er fähig ist, weiß ich nicht.“
Damit musste die junge Frau sich zufrieden geben. Ganz egal, wie viel sie riskiert hatten, um Deronas Erinnerungen einzusehen, weit gebracht hatte sie das Unterfangen nicht. Aigonn wusste nicht, wie sie noch mehr in Erfahrung bringen könnten. Es würde ihnen einzig übrig bleiben, den Schamanen selbst zur Rede zu stellen und herauszufinden, wie belastbar er wirklich war.
Nachdem sie Momente lang in Schweigen versunken waren, durchbrach Aigonn schließlich die Stille. Unerwartet umspielte ein feines Lächeln seine Lippen, als er die junge Frau von der Seite betrachtete, ihr Profil musterte und schließlich fragte: „Du kannst dich noch immer nicht daran erinnern, wie du in deinem vergangenen Leben geheißen hast, richtig?“
„Nein, ich weiß es nicht. Ich fürchte, ein Name gehört zu den letzten Dingen, die man aus seinen früheren Leben herausfinden kann.“ Die junge Frau zog ihre Augenbrauen in die Höhe – noch weiter, als das Lächeln auf Aigonns Lippen fast spitzbübische Züge annahm.
„Warum fragst du?“
„Weil ich mir etwas überlegt habe. Langsam bin ich es leid, dass ich nicht weiß, wie ich dich ansprechen soll. Deshalb habe ich beschlossen, dass ich dich Anation nennen werde, einverstanden?“
Die Antwort, die der jungen Frau bisher noch auf der Zunge gelegen zu haben schien, war vergessen. Überrascht sah sie ihn an, unwissend, wie sie mit dieser unerwarteten Situation umgehen sollte. Ein Augenblick verging, bis sie fast verlegen nachhakte: „Anation … ist der Lebenshauch, das, was den Menschen lebendig macht; eine Seele. Warum ausgerechnet Anation?“
„Weil du genau das bist, eine Seele. Nur eine Seele. Statt in einem neugeborenen Körper ein neues Leben zu beginnen, bist du fast gezwungen gewesen, eine andere, alte Identität anzunehmen. Jeder, der dich sieht, erkennt Lhenia in dir und nicht dich. Deshalb Anation. Weil Lhenia tot ist, für immer. Mit dir verbindet sie nichts mehr.“
Der Ernst seiner Worte wurde Aigonn erst bewusst, während er sprach. Er konnte nicht sagen, wie die junge Frau zu ihrer Lage stand, dem fremden Körper, der fremden Identität, die ihm anhaftete. Auch ihr Gesicht war nachdenklicher geworden. Als sie ihm jedoch wieder in die Augen sah, lächelte sie. „Einverstanden.“ Aigonn und die junge Frau, Anation, hatten inzwischen den größten Teil des Heimweges hinter sich gebracht. Verdrießlichkeit machte sich in Aigonn breit, als er an die Geständnisse dachte, die er an diesem Abend noch vor Rowilan oder Behlenos ablegen sollte. Doch dieses Mal waren die Rollen neu verteilt worden. Rowilans Geheimnis gehörte dem Schamanen nicht mehr allein. Aigonn wusste, zu was er Derona benutzt hatte, auch wenn er es nicht beweisen konnte. Aber wer würde ihm glauben, wenn er keine Beweise besaß? Würde Anations Wort hoch genug zählen? Konnte er Rowilan zu einem Kampf herausfordern, dessen Ausgang das Urteil der Götter widerspiegelte?
Ein Gottesurteil. Bei diesem Gedanken war Aigonn nicht wohl. Ein einziges Mal hatte er zugesehen, wie zwei Männer über einer Talsenke zum Kampf gegeneinander erschienen waren. Barfuß und nur auf zwei dicken Baumstämmen als Untergrund, die man wie eine Brücke über die kleine, den Göttern geweihte Schlucht gelegt hatte. Der Streit war schnell entschieden gewesen, der Ankläger in die Tiefe gestürzt.
Aigonn wurde es mulmig zumute, als er sich vorstellte, wie er so gegen Rowilan antreten würde. Gewöhnlich fand der Schuldige des Verbrechens den Tod, doch es gab noch genügend Fragen, die er Rowilan stellen wollte – dann, wenn die Götter seine Schuld bewiesen hatten.
Als er mit dem Fuß über eine Wurzel stolperte und unwirsch zu fluchen begann, beendete Aigonn dieses Thema in Gedanken. Ihm fehlte im Moment der nötige Sinn dazu. Der Wald vor ihnen begann, lichter zu werden, sodass Sträucher und Büsche allmählich die ersten Schemen des Dorfes mit seinen Palisaden durchscheinen ließen. Der Wind hatte aufgefrischt.