Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
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„Nur was?“ Rowilans Lächeln war verschwunden. Der Nachgeschmack alter Enttäuschung hing zwischen ihnen – etwas, von dem beide geglaubt hatten, endlich damit abschließen zu können. Aigonn aber konnte nicht anders, als auszusprechen, was er dachte: „Ich weiß nicht, ob ich eine Ausbildung, wie du sie erhalten hast, auch an deiner Seite abschließen werde. Es ist nur ein Gefühl, ich weiß nicht woher es kommt, aber …“
„Schon gut.“ Der Schamane nickte. Nicht erfreut, aber verstehend. Aigonn selbst hatte noch keine geeignete Gelegenheit gefunden, Rowilan darüber aufzuklären, was in der Anderen Welt geschehen war – und dies war wohl der Grund für seine Reaktion. Schweigend lief Rowilan auf die Tür zu. In jenem Augenblick aber, da Aigonn glaubte, er würde wortlos hinausgehen und im Abend verschwinden, wandte er sich noch einmal um und sagte: „Verzeih mir, Aigonn!“
Die Überraschung, die dieser empfand, kam unvermutet.
„Verzeih mir, dass ich dich so bedränge. Ich kann spüren, dass du dir selbst die Schuld an dem gibst, was seit so vielen Jahren zwischen uns vorgefallen ist. Doch glaube mir, schuld allein bist du nicht. Ganz bestimmt nicht.“
Das Abendlicht verwandelte die blassen Farben des Tages in leuchtende, unwirkliche Töne, wenn es dann und wann zwischen der Wolkendecke hervorblitzte. Fast schien es, als wollten die Götter Haelinon ein Zeichen auf die Stirn malen, so warm fühlte sie das weichende Sonnenlicht. Und sie wäre dankbar dafür gewesen. Ein Zeichen war ein Zeichen; immerhin etwas. Ein Wegweiser in dieser Welt, die ihr auf einmal unendlich groß und undurchdringlich erschien. Sie war der blinde Wanderer. Sehend, aber für die Wirklichkeit blind.
Es war schwer zu sagen, wie sie sich fühlte. Die Erinnerungen ihres früheren Lebens hatten nicht an Intensität und Gewalt verloren. Der Bilderstrom wütete ungebremst in ihrem Kopf, hämmerte gegen ihre Schläfen und gönnte ihr keinen Moment des Innehaltens, in welchem sie all dies ordnen könnte.
Wer war sie? Haelinon. Sie war die Tochter des Moorsängers, jenes legendären Sehers, der vor beinahe einem Jahrhundert zu den Eichenleuten gekommen war, aus einem Land, dessen Namen irgendwo in ihrem Kopf umherwirbelte. Sie hatte so viel gewusst, so viel gelernt. Es erschreckte sie, wie viel davon trotz des Todes erhalten geblieben war. Der Umstand, dass sie wiedergeboren war, wurde nur daran kenntlich, dass die Verbindungen fehlten, die sinnvollen Zusammenhänge. Nicht alles hatte sie mitnehmen können. Und gerade deshalb wünschte sie sich mehr als je zuvor, dass der Moment des Erkennens niemals gekommen wäre.
Aehrel. Sie hatte ihrem einzigen Sohn den Kosenamen ihres Vaters gegeben. Allein einer ihrer Brüder und sie hatten den wahren Namen je erfahren, als der Moorsänger versonnen ins Erzählen gekommen war. Im Grunde hatte er wenig von seiner Vergangenheit berichtet, ganz so, als ob auch er sie gern abgeschlossen gewusst hätte. Damals hatte sie ihrem Kind einen Funken seiner Herkunft hinterlassen wollen, für die Tage, in welchen sie gestorben sein würde. So bald schon hatte sie damals damit gerechnet. Ihr Leben war abgeschlossen gewesen, vollendet, ihre Seele vorbereitet darauf, so viel wie möglich an ihrem Wissen mit ins nächste Leben zu nehmen.
Wer hätte ahnen können, dass es so weit kommen würde? Woher hätte sie die Bedeutung von Ungewissheit schätzen lernen sollen? Ungewiss waren die Leben derjenigen, die die Vergangenheit ihrer Seele bestenfalls erahnen konnten. Doch sie hatten die Chance, einmal neu zu beginnen, ihren Kopf von Vergangenem zu klären, Fehler im Gefühl ungeschehen zu machen. Vielleicht war diese Wahrheit die Strafe dafür, dass sie ihren einzigen Sohn im Stich gelassen hatte. Damals, heute, in diesem Moment. Der Gedanke allein brannte wie Glut in ihrer Kehle.
Aehrel. Er war heute beinahe vierzig Jahre alt – fast so alt wie sie damals, als sie ihn geboren hatte. Sie, Haelinon, Anation, wer auch immer sie war. Sein halbes Leben lang war er von dem Gedanken getrieben gewesen, seine Mutter aus dem Jenseits zurückzurufen, nur um die Antworten zu erhalten, die sie ihm immer schuldig geblieben war, bis vor kurzem.
Er würde dafür nun zahlen müssen. Haelinon war nicht entgangen, wie dieser Schamane, Rowilan, davon gesprochen hatte, ihn als Pfand gegen die gefangenen Leute ihres eigenen Stammes zu tauschen. Nein – nicht einmal mehr als Pfand. Er war zu einer Ware geworden. Ein Leben gegen Dutzende. Ein vernünftiger Tausch, ein fairer Tausch für jeden Bärenjäger. Hätte sie an Rowilans Stelle gestanden, sie hätte nicht anders gehandelt. Dieser Gedanke allein erschreckte sie.
Doch worin lag Aehrels Schuld? War es nicht sie gewesen, die all dies erzwungen hatte – aus Feigheit, in einer solchen Aufgabe zu versagen? Die Unermesslichkeit schnürte Haelinon die Kehle zu. Wie konnte sie hier so still sitzen, im warmen Gras, an eine Hauswand gelehnt, während ihr eigener Sohn seine Hinrichtung erwartete? Und dies in vollem Einvernehmen. Er hatte sich nicht gewehrt, kein einziges Mal. Sein ganzes Leben hatte an diesem Gedanken gehangen, ihren Geist zu sich zu rufen. Als wäre er schon in jenem Moment aus Wahrheit und Erkenntnis zu den Göttern getreten, saß er in seinem Gefängnis. Haelinon konnte diese Gefühle spüren, deutlich, durch die Wand. Wenn sie still saß und ihre Gedanken ganz nach innen richtete, vermochte sie zu hören, wie Aehrels Rücken an der Wand entlang schleifte, ganz kurz nur, wenn er seine Sitzposition um ein winziges Stück veränderte.
Die ungeheure Nähe zu ihrem Sohn ließ Haelinon erschauern. Fast schien es ihr, als fühlte sie das uralte Band, den dünnen Faden zwischen Mutter und Kind, der den Platz der Nabelschnur einnimmt, wenn der Säugling den Weg in die Welt gefunden hat. Das Band war zurückgekehrt, nach so vielen Jahren. Wider Willen zitterte die junge Frau, allein bei dem Gedanken, was sie getan hatte – aus Feigheit. Reiner Feigheit. Eine Mutter hatte kein Recht, die Verantwortung für ihr Kind an eine fremde Familie abzutreten – nicht aus diesem Grund allein. Sie hätte wenigstens versuchen können, ihn aufzuziehen, wenn auch bei Zieheltern und mit unregelmäßigen Besuchen. Aber dies allein hätte vielleicht gereicht, um ihm das Gefühl zu geben, von seiner Mutter nicht vollkommen verlassen worden zu sein. Denn genau dies hatte sie getan, ihn verlassen. Allein gelassen. Die Schuld war kaum zu ertragen.
Irgendwann hielt Haelinon diese Nähe nicht mehr aus. Sie erhob sich, streckte ihren steifen Rücken und lief am Rande der Siedlung entlang. Das Feuer der abgebrannten Häuser hatte die Palisaden von innen mit schwarzem Ruß bedeckt. Trotz den Bemühungen der Bärenjäger waren die Spuren des Krieges näher denn je. Jede Lehmmauer atmete Verfall und Vergänglichkeit. Es war schwer auszuhalten – erst recht nun, da Haelinon Herrin ihrer alten Fähigkeiten war, nur ohne die nötige Distanz, die sie zu früheren Lebzeiten gehabt hatte.
Sinnlos. Zwecklos. Was tat sie hier? Sollte sie nicht wenigstens versuchen, die Schuld zu begleichen, die sie bei ihrem eigenen Sohn hinterlassen hatte? Die Gedanken zermarterten sie; Haelinon konnte versuchen, was sie wollte.
Erst eine Gestalt zwischen den Häuserruinen ließ sie innehalten.
Oran stand an eine halb eingestürzte Wand gelehnt. Ein warmes Lächeln erfüllte das Gesicht des alten Bauern, als wäre er sich des Beins nicht bewusst, das er seit der Schlacht nachziehen musste. Als wäre die Welt noch heil, unberührt. Haelinon wurde sich bewusst, dass sie, die im Grunde für alle anderen noch seine Tochter war, nicht ein einziges Mal an Lhenias Vater gedacht, geschweige denn nach ihm gesehen hatte. Obwohl er sie so bedingungslos liebte. Als seine Tochter.
Fast schmerzte seine unerschütterliche Aufrichtigkeit, als er – ohne einen Vorwurf oder eine Anklage in der Stimme – sagte: „Es tut gut zu sehen, dass du wohl auf bist!“
Langsam hinkte er näher. Haelinon versuchte vergeblich den Knoten in ihrem Hals herunterzuschlucken. Er wurde übermächtig, als der alte Bauer ihr die Hände auf die Schultern legte, eine sanfte, liebevolle Geste, obwohl sie glaubte, dass er sie am liebsten in die Arme geschlossen hätte. Doch er tat es nicht. Er konnte es nicht, das spürte