Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
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Der Greis wandte seinen Blick schnell ab. Aigonn hatte sich sein neues Abbild erst einmal in der Spiegelfläche eines Teiches ansehen können. Doch selbst ihm war dabei aufgefallen, dass seine Erscheinung auf einen Fremden beängstigend wirken konnte. Die weiße Haut seines blinden Auges war so makellos gewachsen, als wäre er damit geboren worden. Sah man es jedoch genau an, schien es noch so, als hätte die Iris darunter nie an Schärfe und Sehkraft verloren; es schien nun vielmehr und viel eindringlicher die Welt um sich zu beobachten – nein, nicht mehr nur zu beobachten, gerade fremde Menschen viel eher zu durchbohren. Von den schwarzen Schatten großer Anstrengung untermalt, schien Aigonn somit um Jahre gealtert. Und je länger er Zeit fand, um zur Ruhe zu kommen und das kürzlich Erlebte zu überdenken, desto mehr schien es ihm, als wäre die Belastung dafür nicht der einzige Grund.
Rowilan für seinen Teil entgegnete Nawos auf seinen Einwand nur einen vielsagenden Blick, der Aigonns Vermutung bestätigte, dass seine Gedanken nicht wirklich bei der Sache waren.
„Wir können nicht mehr tun, als ihm dieses Angebot zu unterbreiten. Da Fewiros noch immer keinen einzigen Boten geschickt hat, können wir nicht davon ausgehen, dass in nächster Zeit Hilfe für eine kriegerische Durchsetzung unserer Forderungen kommen wird. Wir haben keine Wahl! Wer weiß, was mit unseren Leuten geschieht, wenn wir noch länger warten. Khomal wird, wie du bereits sagtest, über den Zwischenfall nicht erfreut gewesen sein.“
„Allerdings!“ Diesmal sagte allein der Ton in Nawos’ Stimme mehr als jedes Wort. Warum musstet ihr ausgerechnet diese sonderbare Frau retten, die Lhenia ist, aber auf eine gewisse Weise doch nicht? Was führt ihr drei im Schilde, dass keiner von euch uns einweiht und wir unser Leben vertun, ohne zu wissen wofür?
Der Blick, der den Greis daraufhin von Aigonns Seite her traf, ließ ihn unwillkürlich zusammenzucken. Auf eine gewisse Weise konnte er ja verstehen, was die Menschen des Dorfes bewegte. Nawos selbst hatte den großen Angriff nur unter Verlust eines Armes überstehen können, dessen Stummel er mit aller Würde wie eine Trophäe trug. Die Tatsache, dass er an dem Blutverlust fast gestorben wäre, war unwichtig für ihn.
Rowilan, Aigonn und Anation hatten gemeinsam beschlossen, besser nie jemandem davon zu erzählen, dass es nicht mehr Lhenias Seele war, die ihren Körper bewohnte, und schon gar nicht, wer an ihre Stelle getreten war. Ebenso schwiegen sie über Aehrels wahre Beweggründe und waren dankbar dafür, dass er ihnen dabei nicht in den Rücken fiel. Im Grunde tat er nichts, um sich zu verraten. Den Mantel des stillen Hinnehmens, der ihn seit der Heimreise umhüllte, hatte er nicht mehr abgelegt. Man hatte den Krieger in einem der halb zerstörten Häuser gefesselt und angebunden – auch wenn Aigonn selbst es für unnötig befand. Aehrel leistete keinerlei Gegenwehr und sprach ebenso wenig. Wann immer Aigonn einen Blick in diesen Raum gewagt hatte, hatte sein Onkel stumm ins Leere gestarrt, verschlossen und undurchdringlich, als hätte man ihn eines Teils seiner Seele beraubt. Und vielleicht war dies wirklich auf eine gewisse Weise geschehen.
Aigonn selbst überforderte es, seine Gefühle in die richtigen Bahnen zu lenken. Das Entsetzen über die Ungeheuerlichkeit von Aehrels Taten, des Mannes, der Aigonn und Efoh ein halbes Leben lang groß zu ziehen versucht hatte, schien das Fassungsvermögen seines Schädels zu sprengen. Er sehnte sich danach, wieder seinen Körper zu verlassen, die Grenzen des Menschlichen zu überschreiten, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und gleichzeitig den Schmerzen zu entgehen, die ihn fast schlimmer plagten als zuvor. Die Rippe, der Arm; die großen körperlichen Belastungen hatten sie kaum heilen lassen.
Rowilans Stimme klang in Aigonns Ohren fast störend, als der Schamane weitersprach: „Wir müssen es versuchen; es bleibt uns keine andere Wahl! Mit Krieg allein können wir sie nicht befreien. Ein solches Unterfangen wäre sinnlos! Wenn wir noch länger warten, wird er sie womöglich in die Leibeigenschaft zwingen, vielleicht sogar bei einem ganz anderen Stamm. Uns rennt die Zeit davon!“
„Nun gut.“ Nawos’ verkniffene Lippen verrieten das Missfallen über Rowilans so spontan entwickelten Plan. Doch da er scheinbar keine bessere Lösung zu bieten hatte, meinte er: „Schick einen Boten zu Khomal. Vereinbare mit ihm einen Treffpunkt, um Aehrel gegen unsere Leute einzutauschen!“
Damit erhob er sich von dem Schemel, nickte den beiden Männern zum Abschied zu und verschwand in den wolkenverhangenen Sommertag. Noch drei Tage bis zur Sonnenwende. Der Gedanke allein, mit Efoh dieses Fest begehen zu können, war Aigonn ein Trost, um den es sich zu kämpfen lohnte. Der Schamane schien seine Idee erraten zu haben, als er sagte: „Ich werde beten, dass Khomal sich auf unseren Handel einlässt. Solange wir Aehrel haben, ist nichts verloren.“
Aehrel. Es schauerte Aigonn bei jedem Mal, wenn er die Kälte hören konnte, mit welcher Rowilan den Namen ausspuckte. Die Jahre hatten eine tödliche Wut unter seinem Schädel wachsen lassen, die jeden Moment zu explodieren drohte. Es war das erste Mal, dass Aigonn glaubte, beurteilen zu können, wie sehr Rowilan Derona geliebt hatte. Und es berührte ihn genauso, wie es ihn noch immer beschämte. Er hatte dem Schamanen furchtbares Unrecht getan, als er geglaubt hatte, Rowilan selbst hätte seine Schwester in den Tod treiben können.
Doch auf eine gewisse Weise hatte die Klarheit etwas Erlösendes. Sie war der erste Schritt, mit einem Kapitel seines Lebens abzuschließen, das ihn lange belastet hatte. Nur noch ein einziger Schritt … Aigonns Gedanken schweiften ab. Er hatte seit ihrer Rückkehr nicht mehr mit Anation gesprochen. Sie hatte sich unmittelbar nach der Ankunft am späten Nachmittag zurückgezogen und war Aigonn seitdem nicht mehr unter die Augen gekommen. Nun, da der Abend dämmerte, konnte er sich nicht mehr allein mit dem Gedanken befriedigen, sie bräuchte Ruhe nach der großen Anstrengung. Das allein war es nicht. Anation war nicht mehr nur Anation. Sie war wieder Haelinon, ein ganzes Leben, das unvorstellbare vierundsechzig Jahre überdauert hatte. Etwas Derartiges konnte nicht binnen eines Tages aufgeholt und gleichzeitig verarbeitet werden. Aigonn war sich bewusst, dass ihn diese Dinge im Grunde nichts angingen. Doch je länger er wartete, desto schwerer fiel es ihm, sich zurückzuhalten.
„Du wirst ihr helfen, Aigonn, wenn du sie erst einmal mit ihren Gedanken allein lässt. Anation hat ein ganzes Leben zu verarbeiten, an dem du nicht einmal ansatzweise Teil hattest. Diese Prüfung muss sie ganz allein bestehen!“
Langsam drehte Aigonn den Kopf zur Seite. Rowilan stand zwei Schritte entfernt vor der Bettstatt, die Arme vor der Brust verschränkt, jedoch einen Ausdruck in den Augen, der keinerlei Strenge zeigte.
Aigonn schmunzelte matt, als er dem Schamanen entgegnete: „Haben die Götter dir beigebracht, die Gedanken anderer Menschen zu lesen?“
„Die Gedanken vielleicht nicht, aber ihre Gefühle. Du wirst es auch erlernen können, wenn ich endlich mit deiner Ausbildung beginnen darf!“
Diese Worte ließen Aigonn stutzen. Er brauchte einen kurzen Moment, um sich ihrer wahren Bedeutung bewusst zu werden, bis er nachhakte: „Ist das … ein Angebot?“
„Ein Angebot, dass ich seit sieben Jahren nicht zurückgenommen habe. Im Grunde bist du viel zu alt, um eine Unterweisung auch nur ansatzweise stattfinden zu lassen. Aber ich glaube, die Größe deiner Fähigkeiten erfordert es, ganz egal, welcher Meinung die alten Meister waren.“
Diese Zusicherung trieb Aigonn ein Lächeln auf die Lippen. Auf eine gewisse Weise hatte er nicht mehr daran geglaubt, nach allem, was geschehen war, dass Rowilan ihn dennoch als Schüler bei sich aufnehmen würde. Und er war froh darüber, nein, mehr als froh, dass der Schamane seine Meinung nicht geändert hatte. Doch obwohl er bereits die Lippen geöffnet hatte, um zuzusagen, überschattete seine Freude plötzlich ein einzelner Gedanke.
Rowilan bemerkte sein Zögern. Stirnrunzelnd legte er den Kopf schief, eine Frage auf