Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle - Astrid Rauner страница 75
Anation ging neben Rowilan und Aigonn in die Knie. „Geh beiseite!“ Der Schamane machte ihr Platz. Seine Augen musterten die junge Frau durchdringend, während sie sich zu Aigonn hinunterbeugte, ihr Gesicht sich dem seinen immer weiter näherte. Als ihrer beider Atem sich jedoch traf, hielt sie inne.
Anation. Dieser Name hallte in ihrem Kopf. Er erinnerte sie daran, was sie getan, was dieses Leben, dieses, bisher ausgemacht hatte. Es lag an ihr, Aigonn zurückzuholen. Sie wusste es. Ihre Aufgabe wurde zu einer Verantwortung, die ihr das Atmen schwer machte. Aigonn. Behutsam legten sich ihre Hände auf seine Wangen. Die fast todesgleiche Kälte seiner Haut wollte sie im ersten Moment zurückzucken lassen. Doch sie riss sich zusammen.
Sie sandte all ihre Sinne aus. Anations Geist löste sich so mühelos von ihrem Körper, dass sie fast einen Rückzug versuchen wollte. Der pulsierende Lebensfaden aber, der von Aigonn hinweg durch die steinernen Wände der Grotte, über den Wald hinaus bis ins Moor reichte, ließ Zweifel zu Funken verglühen. Ihre Gedanken standen still, als sie den warmen, dünnen Lichtstrahl erfasste, sich an ihm entlang tastete, hinaus, in den Wald. Das Gewicht der Welt war nicht mehr vorhanden. Von Schwerelosigkeit beflügelt, schwebte ihr Geist davon. Je näher sie dem Moor kam, desto mehr spürte sie die vibrierende Macht des Tores, das in dem Moorauge geöffnet den Weg in die Andere Welt bot. Ungewohnt, aber vertraut.
Erst in diesem Moment, da die Kraftströme des Tores nach ihr zu greifen begannen, reserviert, aber neugierig, als wäre es ein ganz eigenes Bewusstsein, bremste Anation ihr Vordringen. Hier war die Grenze. Sie würde den Übergang nicht wagen dürfen. Die Götter würden es nicht zulassen, dass sie die Grenze zur Anderen Welt überquerte. Doch sie hatte schon früher gelernt, welche Gefahren ihr drohten, abgesehen davon. Sie konnte die Orientierung verlieren, die Verbundenheit mit ihrem Geist. In der Welt der Menschen konnte sie verloren sein, während ihr Körper einen Kampf führen musste, den er nicht gewinnen konnte. Wenn das Band riss, würde sie selbst die heimatlose Seele sein. Es gab schlimmere Wege zu sterben als durch Folter und Hinrichtung.
Weit entfernt fühlte Anation, wie ihr Herz vor Aufregung gegen den Brustkorb hämmerte. Als hätte man die Verbindung zwischen Aigonns Seele und seinem Körper längst gelöst, ertastete sie die unsichtbare Grenze der Menschenwelt, die sie zweifeln ließ, ob sie ihn überhaupt erreichen konnte.
Nach einem Moment des Innehaltens nahm Anation all ihre Kraft zusammen. Sie schickte ihre Sinne aus, versuchte so weit sie konnte an die Grenze heranzutreten. Dann schrie ihre Seele mit aller Gewalt einen Namen in die Andere Welt: „AIGONN!“
„Es ist an der Zeit.“
Es fiel Aigonn schwer, seine Gedanken auf die Welt um ihn zu richten. Das Gefühl, das er empfand, hatte keinen Namen. Er wusste es, und eben deshalb versuchte er erst gar nicht, es mit menschlichen Worten zu umschreiben.
Die Götter hatten zu verblassen begonnen. Seine Stimme schien präsenter als seine Gestalt, als der Herr Des Lichtes aussprach: „Die Zeiten werden sich ändern. Noch nie stand der Lauf der Völker still, noch nie blieb ein Stamm für alle Zeit am selben Ort. Es werden andere Menschen kommen mit anderen Sitten und anderen Namen für ihre Götter. Doch vergiss niemals, Aigonn, nur weil Namen und Formen sich ändern, werden wir immer die bleiben, die wir heute sind und die wir immer waren.“
In diesem Moment glomm das Gesicht des Gottes so deutlich auf, dass die Klarheit in Aigonns Augen schmerzte. Für einen Moment erkannte er jede Kontur, jede Feinheit, die seine Vorstellungen aus Kindertagen, die er sich immer von seinen Göttern gemacht hatte, in jeder Weise darstellte. Doch dann veränderte sich das Antlitz. Es wurde alt, menschlicher, verwandelte sich in das Gesicht eines narbengezeichneten Mannes mit rauschendem Bart und langen, grauen Haaren, die mit einer Strähne ein Auge verdeckten. So, wie die Krieger es zu tun pflegten, wenn sie in der Schlacht ein solches verloren.
Nachdenklich legte Aigonn die Stirn in Falten. Seine Gedanken sogen das Bild auf, prägten es sich ein, was immer es zu bedeuten hatte. Dann begannen die Götter zu verschwimmen. Wo Aigonn bisher noch Gestalten hatte wahrnehmen können, glommen Lichtscheine von blendender Gewalt, die seine Augen jedoch erfassen konnten, als wäre er selbst Teil davon. Sein Körper, sein Geist schienen schwerelos und von einer klärenden Leere erfüllt, die nicht genug Raum ließ, um über das eben Erlebte spekulieren zu können. Aigonn wusste, dass etwas geschehen war. Doch um sich dessen bewusst zu werden, war es noch nicht an der Zeit.
Die Gestalt seiner Mutter war wieder zu sehen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und beschwor damit eine Wärme, die ihn wehmütig werden ließ. „Du musst gehen, Aigonn. Du kannst nicht bleiben.“
Es dauerte, bis diese Tatsache seine Gedanken erreichte. Die Präsenz der Götter, die noch immer in der Luft hing wie ein Funkenregen, machte es ihm schwer, die Realität ins Auge zu fassen, die ihm nie entfernter erschienen war als in diesem Moment.
„Und wie komme ich zurück?“
„Hör hin, Aigonn“, flüsterte sie. „Höre sie!“
Aigonn schloss die Augen. Alles an ihm wehrte sich dagegen, dies zu tun. Er wollte nicht fort, wollte bleiben. Das Gefühl von Ruhe und Ausgeglichenheit, das seinen Geist erfasst hatte, machte bloß den Gedanken an die Welt der Menschen abstoßend und unerträglich. Doch er wusste, dass es keinen Sinn hatte. Die Götter hatten ihm eine Gabe geschenkt, die in der Anderen Welt keinen Zweck haben würde. Sie war den Toten nicht von Nutzen, sondern für sein eigenes Volk bestimmt. Sein Kopf war noch nicht in der Lage, all dies in seinem vollen Ausmaß zu erfassen. Doch er spürte, dass er den Weg zurückfinden musste, musste!
Dann auf einmal hörte er sie. Sie schien so unendlich weit entfernt, doch erweckte in ihm eine Erinnerung, die lebendiger zu lodern begann als alles, das ihn soeben noch umgeben hatte. Die Götter selbst boten ihr die Möglichkeit dazu. Und Aigonn wusste, dass er ihr folgen konnte.
„AIGONN! KOMM ZURÜCK ZU MIR!“
„Anation.“ Ihr Name war nur ein Flüstern gewesen, doch er holte den Gedanken an sein Leben zurück. Die Stimme wurde zu einem Wegweiser, führte ihn. Wie von selbst machte Aigonn einen Schritt nach vorn. Er spürte das Lächeln seiner Mutter im Rücken.
Auf einmal aber stutzte er, wirbelte herum und fasste Moribe am Arm. Seine Lippen begannen eine Frage zu formen, seine Mutter jedoch brachte ihn mit einer Geste zum Innehalten.
„Ich werde dich nicht allein lassen, auch jetzt nicht. Das verspreche ich dir. Dir und Efoh.“
Damit begann ihre Gestalt zu verschwinden. Aigonn wehrte sich nicht gegen die Kraft, die nach ihm langte. Sie war nur ein Funken, ein dünner Schimmer von dem, was er nie so hatte begreifen können, aber von dem er immer gewusst hatte, dass es da war. Die Wehmut darüber, diesen Ort verlassen zu müssen, zerfloss in schimmernden Lichtstrahlen, während er sich umdrehte, zu laufen begann. Die Andere Welt verlor ihre Konturen. Er kehrte in die gestaltlose Leere zurück, die ihn empfangen hatte. Der leuchtende Wirbel erschien vor ihm, der dünne Strahl seines Lebens, eine Stimme.
„Aigonn!“ Rowilan tätschelte aufgeregt seine Wange. Anation