Inselgötter. Reinhard Pelte

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Inselgötter - Reinhard Pelte

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Er war überzeugt, es besser zu wissen. Besser als alle Korrespondenten und Nachrichtenagenturen zusammen. Sie gaben nur weiter, was ihre bezahlten Gewährsträger ihnen zuflüsterten. Woher die ihr Wissen hatten, interessierte überhaupt nicht. Aus gut unterrichteten Quellen, hieß es gewöhnlich. Einen Scheiß wussten sie.

      Seine Aufmerksamkeit galt dem Regionalteil. Für ihn war es wichtiger zu wissen, mit wem der Wirtschaftsminister oder der Bürgermeister sprach, wohin sie reisten und wen sie trafen. Er versuchte, sich in seine Lektüre zu vertiefen. Zwischendurch sah er auf die Uhr. Die Zeit verging im Schneckentempo. Er war bei den Todesanzeigen angelangt. Er las die Nachrufe. Einige der Toten waren jünger als er. Er faltete die Zeitung zusammen und schlenderte an den Schaukästen vorbei durch den Tunnel, der zu den Bahnsteigen führte. Am Ende machte er kehrt und schlenderte zurück. Er sah auf die Uhr. Es war so weit. Er wählte.

      »Ja«, meldete sich die Stimme von vorhin.

      »Ich bin’s«, sagte er.

      »Was können wir für Sie tun?«

      Er schilderte sein Begehren.

      »Wo finden wir ihn?«

      »Er wird am Donnerstag im Zug von Hamburg nach Westerland sitzen, Ankunft in Westerland 14.04 Uhr.«

      »Diese Woche?«

      »Ja.«

      »Kennen Sie den Mann?«

      »Nein.«

      »Was wissen Sie von ihm?«

      »Er trifft in Westerland einen Mann. Der ist Polizist und heißt Tomas Jung.«

      »Polizist? Was für ein Polizist?«

      »Kripo. Kriminaloberrat.«

      Am anderen Ende herrschte für einen Moment Schweigen.

      »Heute Nachmittag werden Sie Besuch bekommen. Der Mann trägt eine schwarze Laptop-Tasche aus weichem Leder über der Schulter. Es wird teuer werden.«

      »Wie teuer?«

      »Verhalten Sie sich unauffällig. Machen Sie, was Sie immer machen. Plappern Sie nicht.«

      »Was soll das? Ich …«

      »Halten Sie den Mund.«

      Die Leitung war tot. Er schmiss verärgert die Zeitung in den nächsten Papierkorb. Draußen stieg er in seinen Mercedes und fuhr die Bahnhofstraße entlang bis zur Kreuzung. Er bog rechts ab auf den Mühlendamm. Nach der nächsten Kurve gab er Gas und folgte Munketoft bis zur Osttangente. Von da ab war es nicht mehr weit.

      Schrei, so laut du kannst

      War es richtig, was sie tat? Ja, es war richtig. Absolut richtig. Nach ein paar Gläsern Rotwein waren auch ihre letzten Zweifel geschwunden. Er hatte sie hierherbestellt. Und sie war seinem Wunsch gefolgt. Sie hatte ihm ihre Zeit zur Verfügung gestellt, obwohl das nicht zu ihren Pflichten gehörte und obwohl es der letzte Arbeitstag vor ihrem Urlaub war.

      Warum gerade dieser öde, düstere Ort? Dafür gab es überhaupt keinen nachvollziehbaren Grund. Das Gebäude sollte abgerissen werden. Es war längst überfällig. Der Fortgang des Projektes duldete keinen Aufschub. Je schneller, desto besser. Im Erschließungsvertrag war festgelegt worden, dass die Kosten für Sanierung und Infrastruktur zu Lasten der öffentlichen Hand gingen. Also sollte der rasche Abriss eigentlich in seinem ureigensten Interesse liegen. Wenn es um die Einhaltung von Verpflichtungen der Kommune ging, hatte er bislang immer ordentlich Druck gemacht. Verzögerungen kosteten Geld. Und das hatte er nicht. Nicht einen einzigen Cent. Die Kassen waren leer und mussten gefüllt werden. Andernfalls würde dem Laden schon in allernächster Zeit die Luft ausgehen.

      *

      Es war nicht schwer gewesen herauszufinden, wie kritisch die Lage war. Schon in ihrer Probezeit hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, nach Dienstschluss im Büro zu bleiben. Auf seine erstaunte Nachfrage hatte sie erwidert, dass sie es für ihre Pflicht hielt, vor Feierabend aufzuräumen und die liegen gebliebenen Papiere zu ordnen. So war sie nun einfach mal. Er hatte keine Ahnung, wer sie wirklich war. Wahrscheinlich war er viel zu besoffen gewesen. Aber sie wusste genau, wer er war. Sie würde ihn nie im Leben vergessen.

      Fleiß kam bei den Chefs immer gut an. Ehrlich gesagt waren es zu viele Chefs gewesen, gab sie insgeheim zu. Aber dieses Mal hielt sie die Trümpfe in der Hand. Daran hatte sie keinen Zweifel, seit sie an einem Sonntag auf einem ihrer üblichen Kontrollgänge den Brief auf seinem Schreibtisch gefunden hatte. Er lag zur Unterschrift in der Mappe. Was hatte ihn bewogen, in diesem Fall auf die Bremse zu treten? Welches Geheimnis barg das alte Wachhaus aus düsteren Nazi-Zeiten?

      *

      Sie war mit Absicht zu früh. An die Schlüssel zu kommen, war kein Problem gewesen. Schließlich war sie als Kontrollmanagerin über jeden Verdacht erhaben. Selbst den Job zu ergattern, war ein Leichtes gewesen. Ihre Fähigkeiten, ihre ganze Natur, ihr Charakter waren danach. Sie war motiviert und einsatzbereit und hatte alle anderen Bewerber aus dem Feld geschlagen. Sie wusste genau, mit wem sie es zu tun hatte. Es hatte sie verwundert, dass sein Sohn so ganz anders war. Mit ihm verband sie von Anfang an eine geheimnisvolle Nähe, ein Band, das ihr sowohl angenehm als auch befremdlich war. Sie war auf Distanz geblieben. Dennoch hatte sie ihm einen Umschlag anvertraut, den er im Fall, dass ihr etwas zustoßen würde, öffnen und dann selbst entscheiden solle, was zu tun sei. Er hatte ihr intensiv in die Augen gesehen, aber kein Wort verloren.

      Sie schloss die Tür zum Wachlokal auf. Es roch muffig. Das Fensterglas war zerbrochen, die Fensterhöhlen verbrettert. Putz blätterte von den Wänden. Nichts außer Staub und Schutt.

      Die nächste Tür führte in einen größeren Raum. Ein großes Bullauge sorgte für Tageslicht. Vermutlich der Aufenthaltsraum für die Wachmannschaften. Die Mauern sind verdammt dick, dachte sie, als sie durch das Gitterfenster nach draußen blickte. Die Nazis waren für ihre Gründlichkeit bekannt. Und misstrauisch müssen sie auch gewesen sein, ging ihr beiläufig durch den Kopf.

      Der nächste Raum war fensterlos. In dem fahlen Licht, das vom Flur hereindrang, konnte sie ein verrostetes Bettgestell mit durchgelegener Sprungfedermatratze ausmachen. Wahrscheinlich der Ruheraum für die Freiwache. So genau kannte sie sich beim Militär nicht aus.

      Sie schloss die Tür und wandte sich dem dunklen Gang zu, der in den hinteren Teil des Gebäudes führte. Es war stickig und unangenehm warm.

      Als Erstes betrat sie die Waffenkammer. Das große Bullauge war vergittert und in die seitlichen Wände waren Gewehrständer eingelassen.

      Die nächste Tür den Gang runter war nicht abgeschlossen, aber mit einem Fallriegel auf der Gangseite gesichert. Sie entriegelte die Eisentür. Es kostete sie Kraft, sie aufzustoßen. Sie zog ihr Smartphone aus der Jackentasche und suchte die Taschenlampe. In dem gleißenden LED-Strahl sah sie auf eine Szene, die sie erzittern ließ. Der Anblick entfesselte Bilder in ihrem Kopf, Bilder, an die sie nicht erinnert werden wollte, Bilder, die immer wieder in ihren Träumen auftauchten, Albträumen, aus denen sie schweißgebadet aufwachte. Ein Raum ohne Licht, kahl und glatt, eine karge Zelle, deren dicke Mauern jeden Schrei erstickten. Sie holte tief Luft und atmete hörbar aus. Was war das hier? Vielleicht eine Verhörzelle für widerspenstige Soldaten, die den Zapfenstreich verpasst hatten, betrunken vom Ausgang zurückgekehrt waren oder sonst wie gegen Befehle verstoßen hatten?

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