Die Kunst Einwanderer zu sein. Andrzej Olkiewicz
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ZERSCHLAGENE VORSTELLUNGEN
Während der Zeit des Aufwachsens werden wir von allen Seiten mit Lobesworten über unser eigenes Land gefüttert. In der Familie, in der Schule, von unserer ganzen Umgebung können wir hören, dass dieser oder jener Poet oder Komponist im Ausland hoch geschätzt wird, dass ein besonderes Ereignis in der Geschichte unseres Landes von weltbewegender Bedeutung gewesen ist, dass eine gewisse Stadt oder eines unserer architektonischen Werke für seine Schönheit auch außerhalb der Landesgrenzen gepriesen wird. Wenn wir in ein neues Land kommen, erkennen wir zu unserer Verwunderung, dass unser Land für unsere neuen Landsleute völlig unbekannt ist, dass sie es vielleicht noch nicht einmal auf der Landkarte finden, dass sie es verwechseln mit einem anderen Land und weder wissen, welche Sprache dort gesprochen wird, noch den Namen der Hauptstadt kennen. Außerdem bekommen wir schnell heraus, dass das, was in unserem Heimatland geschieht, oft nur von geringem Interesse für sie ist.
Olle Westberg berichtet:
Als ich schwedischer Generalkonsul in New York war, sagte ich immer, es war ein schlechter Tag, wenn Leute unser Büro angerufen hatten, die nach einem Visum für die Schweiz fragten oder noch schlimmer, wenn sie ein Visum für Swaziland haben wollten. […] So traf ich einen Akademiker, der vorsichtig fragte: „Schweden, ist das die Hauptstadt von Wien?“. […] Schweden ist vielleicht doch nicht so bekannt, wie wir glauben. 26
Manchmal entdecken wir, dass es das, von dem wir glaubten, es sei eine Besonderheit unseres Landes und unserer Kultur – etwa eine Speise oder ein Tanz – in dem neuen Land auch gibt. Vielleicht versuchen wir dann, die anderen davon zu überzeugen, dass dieses Phänomen eigentlich seinen Ursprung in unserem Land hat und eine Besonderheit unserer Kultur ist. Aber wir kämpfen einen hoffnungslosen Kampf. Wir verstehen nicht, dass nichts in der Welt wirklich einzigartig ist, dass alles mehr oder weniger entliehen, kopiert und zu „eigen“ umgewandelt wurde.
Obendrein wird uns klar, dass gewisse Vorteile in unserem Land für unsere Gastgeber nicht nur völlig unbekannt sind, sondern auch so wesensfremd, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen können, sich diese anzueignen. Eine Tradition, die für uns wichtig ist, wird von der Bevölkerung des Gastlandes als merkwürdiges Schauspiel angesehen, unsere Musik kann in ihren Ohren unangenehm klingen und den Speisen, die wir mögen, begegnen sie mit Ekel.
Es kann sein, dass wir um eine Antwort verlegen sind, wenn ahnungslose oder vorurteilsvolle Fragen über unser Land an uns gestellt werden. Wir wundern uns über die Dummheit oder Unwissenheit, die wir antreffen und fühlen uns verletzt, weil wir denken, dass dies Dinge sind, über die alle Bescheid wissen müssten. Besonders, weil wir selbst so vielmehr über deren Land wissen. Wir kommen leicht zu der Schlussfolgerung, dass unsere neuen Landsleute Ahnungslose und Ignoranten sind. Nur vergessen wir hierbei leicht, wie wenig wir selbst wussten über das Land, das wir auswählten, um uns dort niederzulassen und dass wir es erst kennen lernten, nachdem wir eine Weile hier gewohnt haben. Aus dieser Perspektive gesehen ist es ungerecht, den Wissensmangel der Einheimischen zu verurteilen, weil sie unser Land vielleicht noch nicht einmal besucht haben. Wir sollten uns auch daran erinnern, dass der vorurteilsvollen, unkundigen und andeutungsvollen Fragen wenige sind und dass Situationen dieses Schlages nicht sehr oft entstehen. Deshalb ist es unrecht alle als etwas einfältig zu beurteilen.
Es ist besser, unsere Nerven zu schonen und es ruhig zu nehmen, wenn jemand fragt, ob Eisbären oder Löwen durch die Straßen in unseren Heimatländern spazieren. Vielleicht können wir stattdessen einen Globus hernehmen, ihn drehen, die Augen schließen und mit dem Finger irgendwo auf unsere Erdkugel tippen. Dann können wir ja mal alles erzählen, was wir über das Land wissen, auf das unser Finger gerade zeigt. Wir können das mehrfach wiederholen. Wenn wir vielleicht etwas über die ausgesuchten Länder wissen, sollten wir einmal überprüfen, wie viel davon wahr ist und wie viel auf Sagen und Vorurteilen beruht. Wenn wir unser Wissen an Fakten messen, hören wir vielleicht auf, andere zu verurteilen.
Selbsteinsicht macht das Leben immer leichter.
Es gibt keine Heimat, keine Identität, keine Kultur, keinen Wert, der für alle Menschen passt, aber alle teilen eine universelle Sehnsucht.
Stefan Jonsson27
ZWEI ANPASSUNGSSTRATEGIEN
Ich hatte nie wirklich vor, im Ausland zu bleiben und absolut nicht in Schweden. Wollte weit fort, dem blauen Horizont entgegen, hinaus auf die sieben Weltmeere. Alles war ein großes Abenteuer, von dem ich nach meiner Heimkehr erzählen würde.
Viele, die auswandern – und ich gehörte dazu – sahen ihren Auslandsaufenthalt als etwas Vorübergehendes an, begrenzt auf einige wenige Jahre, drei, fünf, sieben … Ich wollte nach Hause kommen mit Berichten über meine Abenteuer. Wieder andere wollten so viel Geld wie möglich erarbeiten, um sich ein Haus zu bauen oder sich selbstständig machen zu können. Uns allen gemeinsam war die Überzeugung, dass der Aufenthalt im Ausland vorübergehend sei und dass wir unsere wirkliche Zukunft in der Heimat hätten.
Es gab auch andere mit einer recht gegensätzlichen Einstellung – die schon von Anfang an fest entschlossen waren, nie zurückzukehren. Sie gingen schon von Beginn an zielbewusst daran, sich ein neues Leben im Ausland zu schaffen, sich die Sprache anzueignen und sich vor allem sozial und beruflich zu etablieren.
Ohne es zu erkennen, geschweige denn zu hinterfragen, ging ich meist mit Leuten um, die wie ich waren: Rastlos und wie darauf eingerichtet, irgendwann einmal nach Hause zurückzukehren. Wir sahen mit Misstrauen auf jene, die sich dafür entschieden, sich in dem Neuen zu verwurzeln, betrachteten sie als Verräter an unserem gemeinsamen Ursprung und fanden, dass sie das neue Land idealisierten, von welchem wir unsererseits meinten, es sei schlechter als jenes, welches wir hinter uns gelassen hatten. Gleichzeitig erkannten wir, dass sie ihrerseits uns geringschätzten. Sie vertraten die Ansicht, dass wir das Vergangene idealisierten, das sie selbst loswerden wollten. Schon in einem frühen Stadium gehen die beiden Gruppen in unterschiedliche Richtungen. Die Trennung ist spontan und steuert auf gegenseitige Abneigung hin.
Zum damaligen Zeitpunkt und auch lange später begriff ich dafür nicht die Ursache. Nun glaube ich zu verstehen, worum es sich dabei eigentlich handelte: Nämlich um den eigenen Beschluss, zurückzukehren oder zu bleiben. Das war es, was die Wahl unserer Anpassungsstrategie steuerte.
Auf dieser Basis möchte ich die Emigranten aufteilen in zwei Hauptgruppen, „die Anpasser“ und „die Nostalgiker“.
Die Anpasser
Die Anpasser haben schon von Anfang an für sich geklärt, dass sie ihr Land endgültig verlassen und sich eine dauerhafte Bleibe in dem neuen Land schaffen wollen.
Weil sie beschlossen haben, nie zurückzukehren, wollen sie mit der neuen Umgebung so schnell wie möglich verschmelzen. Deshalb sind sie stark motiviert, die neue Sprache zu erlernen. Sie lernen sie auch schnell und oftmals mit guter Aussprache. Ihre Einstellung gegenüber dem Neuen ist positiv, sie agieren in der Regel zielorientiert und werden mit den richtigen Voraussetzungen meist erfolgreich in ihren jeweiligen Berufen. Sie wohnen vorzugsweise in sozial „besserem“ Umfeld. Auch Einwanderer, die ihren Namen ändern, gehören meist zu dieser Gruppe.
Die sozialen Kontakte sind vielfältig und bestehen sowohl aus Repräsentanten der Landesbevölkerung als auch aus Landsleuten oder anderen Einwanderern. Manche gehen ausschließlich mit Leuten aus dem alten Land um, andere