Die Kunst Einwanderer zu sein. Andrzej Olkiewicz

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Die Kunst Einwanderer zu sein - Andrzej Olkiewicz

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      Nicht selten handelt es sich um eine Befreiung von den Eltern, die immer noch die Kontrolle ausüben. Eine junge Frau aus Venezuela sagte kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Schweden: „Wenn ich überleben wollte, war ich gezwungen, mindestens ein oder zwei Kontinente zwischen mich und meine Mutter zu bringen.“

      Was man hinter sich lassen möchte, ist das Negative, das hinderlich ist für die eigene Entwicklung zu dem, was man gerne werden möchte. Es wird häufig nach Möglichkeiten gesucht, seine Träume zu verwirklichen. Die Medaille hat sozusagen zwei Seiten: Einerseits das, was ich verlassen und andererseits das, was ich erreichen will. Manchmal ist man sich über die beiden Seiten im Klaren, manchmal nicht.

      Der herausragende ugandische Verfasser Moses Isegava beschreibt diese beiden Seiten:

       Seit den 1980er Jahren und danach wusste ich mit Sicherheit, dass ich früher oder später Uganda verlassen musste. Das Gefühl wuchs langsam aber sicher, zum Schluss beherrschte es mich rein physisch. Ich wollte neue Horizonte entdecken, mich selbst ausprobieren, um zu sehen, ob ich es schaffen würde, ein Buch zu schreiben. Ich sehnte mich nach einem Platz, der alles war, was mein berechenbares Uganda nicht war, ein Platz, wo ich meine Flügel entwickeln und fliegen könnte, um eine andere Art des Lebens und Daseins zu entdecken. Ich sehnte mich nach einem Platz, wo niemand mich kannte … 13

      Heutzutage verlassen viele junge Menschen ihre Heimat für eine kürzere oder längere Zeit. Eine neue Welt hat sich geöffnet, mit neuen Kontinenten, wo man sich niederlassen kann. In dem neuen Europa mit den Möglichkeiten der Freizügigkeit, verändert sich die Gestalt der Emigration, zumindest äußerlich.

      Es ist die Frage, weshalb einige Menschen ihre Heimat verlassen, obwohl sie in florierenden, freien, demokratischen Ländern wohnen.

      Zwei schwedische Journalistinnen, Lisa Irenius und Madelaine Levy, haben junge Schweden im Alter von 20 bis 30 Jahren in Paris, London, Barcelona, Berlin und anderen Städten beobachtet. Sie stellten fest, dass nicht in erster Linie die Hoffnung auf wirtschaftlichen Profit diese jungen Leute dazu bewegt hatte, sich in anderen Ländern niederzulassen. Vielmehr lebten viele im Ausland in ganz miserablen Verhältnissen und hatten es wirtschaftlich deutlich schlechter, als sie es in Schweden gehabt hätten. Stattdessen lagen hauptsächlich persönliche und gefühlsmäßige Ursachen hinter der Emigration. Sie hatten auch jenen Traum von einem wunderbaren Leben:

       Viele von denen, die außer Landes zogen, wirkten wie von einer bemerkenswert starken Kraft getrieben – der Vision von dem perfekten Leben in der Stadt der Träume. […] Die Stadt, in der du aufgewachsen bist, ist befleckt mit peinlichen und glanzlosen Teenager-Erinnerungen. Demgegenüber verspricht die ausländische Metropole, von der du immer geträumt hast, ein ganz anderes Leben. 14

      Der Wunsch, eine neue Gemeinschaft zu finden, ist ebenfalls eine Triebkraft für einen Teil dieser jungen Menschen. Hinter der Emigration steht vielleicht die Trennung der Eltern oder der Freundeskreis, in den man glaubte, nie richtig hineingepasst zu haben.

      Den Verfassern zufolge, ist es der Traum, sich andere und bessere soziale Beziehungen als in der Heimat zu schaffen:

       Und wenn das nicht geht, so lässt sich ein Leben als Außenseiter im Ausland auf jeden Fall legitimer und angenehmer leben, als ein Außenseiterleben daheim in Schweden. 15

       Die Fremdheit der zweiten Generation

      Ich bin oft Menschen begegnet, die in einem anderen als dem Heimatland der Eltern aufgewachsen sind. Einige von ihnen habe ich als Emigranten in anderen Ländern getroffen. Zu Beginn der 1970er Jahre arbeitete ich in Saudi-Arabien. Dort traf ich viele Holländer, Briten, Franzosen und Italiener, die in den ehemaligen Kolonien in Afrika und Asien aufgewachsen waren. Einen Teil ihrer Ausbildung hatten sie in der Heimat der Eltern bekommen. Dort hatten sie es meist schwer gehabt, sich zurecht zu finden. Gleichzeitig war der Rückzug in das Land, in dem sie aufgewachsen waren, nicht möglich. Diesen Menschen war gemeinsam, dass sie sich in ganz anderen Ländern niederließen, für kürzere oder längere Zeit.

      Manchmal kann die Idealisierung des Heimatlandes durch die Eltern dazu führen, dass sich die Kinder schwertun, sich in dem neuen Land zu verwurzeln. Der schwedische Schriftsteller Zbigniew Kuklarz (Pseudonym) schreibt in seinem autobiografischen Buch, wie er in einer polnischen Familie in Schweden aufgewachsen ist mit starken Verbindungen zum Heimatland, wo man gerne das Polnische für kostbarer als das Schwedische glorifizierte. Das schaffte in ihm einen Konflikt, als er sich, wie alle Kinder, mit der ihn umgebenden schwedischen Gesellschaft identifizieren wollte. Diesen Interessenkonflikt trug er bis weit hinein ins Erwachsenenalter. Das erste Mal, dass er einen Platz fand, wo er sich selbst innerhalb und normal fühlte, war, als er in San Francisco arbeitete.

       Zwischen Chinesen, Mexikanern, Schwulen und Hippies. Da waren alle anders und ich nur einer in der Menge. […] Ein unglaublich behagliches Gefühl, einzuschmelzen.[…] Nicht eine einzige verdammte heile Identität. 16

      Während meines Lebens habe ich viele Menschen wie Zbigniew getroffen. In ihrer Suche nach einer Identität wählen sie ein drittes Land; nicht das, in dem sie aufgewachsen sind, und auch nicht das Heimatland der Eltern.

      Nicht immer ist die Ansiedlung in einem dritten Land die Lösung für einen solchen Konflikt. Matti wählte eine andere, originellere Art. Er war 15 Jahre alt, als seine Familie von Finnland nach Schweden umzog. Als er 20 Jahre alt war, brach er begeistert auf, um dem Einberufungsbefehl zum Militärdienst in Finnland Folge zu leisten. Er hasste Schweden und die Schweden. Unter dem Einfluss seiner Eltern und der finnischen Siedlung war er von Finnlands heroischer Geschichte stark beeindruckt.

      Nun sollte er seine Pflicht tun für das Heimatland und danach für immer dortbleiben, aber:

       „Das Verhalten der Offiziere mir gegenüber war, 'den verdammten Schweden da hinauszudrängen'. Der Autoritätsglaube, der in der finnischen Armee herrschte und von dem ich in Schweden verschont geblieben war, bewirkte, dass ich nach Abschluss der Wehrpflicht nach Schweden zurückkam. Obwohl diese Erlebnisse negativ waren, bewirkten sie, dass ich die Welt nuancierter zu sehen begann. Dies trug auch dazu bei, dass ich so allmählich meine innere Balance zwischen dem Finnischen und dem Schwedischen fand.“

      Nach ein paar Jahren beschloss er, nach Australien auszuwandern. Als er gerade das Visum beantragt, Reisetickets gebucht und die Eigentumswohnung verkauft hatte, begegnete ihm Maria, ein Mädchen aus Spanien. Er heiratete sie und sie lebten glücklich in Schweden. „Ihr Spanischsein war meine Emigration.“

       Motive für den Umzug

      Die Frage ist, ob es immer etwas im persönlichen Hintergrund geben muss, das bewirkt, dass man umzieht. Ich glaube das nicht. Nicht für den Deportierten, nicht für den Vertriebenen, für den Flüchtling und Emigranten und auch nicht für den, dessen einzige Überlebenschance darin bestand, die Heimat zu verlassen. Auch nicht für diejenigen, meistens Frauen und natürlich Kinder, die kaum eine Wahl haben, wenn ihr Partner oder ihre Eltern auswandern. Aber wie ist das mit uns anderen?

      Man wünscht sich vielleicht, dass es ausschließlich rationale, vernünftige Ursachen für einen Umzug gibt. Aber wenn dem nicht so ist? Es gibt viele verschiedene Motive dafür, zu emigrieren, sowohl gefühlsmäßige als auch äußere Gründe.

      Ein kosovo-albanischer Flüchtling fragt:

       Weshalb man geflohen ist, kann man nicht mit Worten beschreiben. Reicht es nicht damit: Dass man sein Leben verlassen hat?

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